KlassikWoche 12/2024

Sieg der Klassik-Whist­le­b­lower

von Axel Brüggemann

18. März 2024

Zwei Whistleblower-Geschichten aus der Musik, Bewegung in Salzburg, Zensur in China, die digitale Zukunft der Oper – und eine Entschuldigung. 

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit zwei Whist­le­b­lower-Geschichten aus der Musik, mit Bewe­gung in Salz­burg, Zensur in China, der digi­talen Zukunft der Oper – und einer Entschul­di­gung. 

Der Erfolg der Whist­le­b­lower in Linz

Span­nend ist, warum es eigent­lich so lange gedauert hat, bis Bruck­ner­haus-Inten­dant letzte Woche frei­ge­stellt wurde. Die offen­sicht­li­chen Gründe wurden von der öster­rei­chi­schen Wochen­zei­tung Der Falter gewis­sen­haft aufge­schrieben: Schon bei seiner Wahl zum Inten­danten sollen Kersch­baum Infor­ma­tionen zuge­spielt worden sein; er geneh­migte sich statt­liche Gagen (5.000 Euro für den »Avents­ka­lender« statt 200 Euro wie bei anderen Betei­ligten), und er lagerte die drama­tur­gi­sche Arbeit des Bruck­ner­hauses an eine inter­na­tio­nale Agentur aus, die so Einblick in die Arbeit anderer Agen­turen bekam. Einigen Jour­na­listen (auch mir) wurde letzte Woche bereits der Vertrag zwischen dem Bruck­ner­haus und dem Drama­turgen Daniel-Frédéric Lebon zuge­spielt – von einer anonymen E‑Mail-Adresse. Offen­sicht­lich waren derar­tige Whist­le­b­lower-Methoden nötig, um ein typisch öster­rei­chi­sches Selbst­be­die­nungs­ge­schäft aufzu­de­cken. Eben­falls frei­ge­stellt wurde auch der Kauf­män­ni­sche Vorstand Rainer Stadler, hier habe das Vier-Augen-System offen­sicht­lich versagt. Es bleibt nun aller­dings auch die Rolle von Bürger­meister Klaus Luger (er war gerade auf New York-Reise mit Kersch­baum) aufzu­klären. Offen­sicht­lich wusste er sowohl von den Unge­reimt­heiten bei Kersch­baums Bestel­lung, als auch vom Outsour­cing der Programm­pla­nung und Drama­turgie. Dass nun ein Whist­le­b­lower nötig war, um die Debatte öffent­lich zu machen, spricht nicht für die kultur­po­li­ti­sche Verant­wor­tung in Linz. Und das scheint in Ober­ös­ter­reich Tradi­tion zu haben. Auch Kersch­baums Vorgänger, , der heute Inten­dant im russi­schen Sotschi ist, verstand das Haus in Linz mehr oder weniger als Spiel­platz seiner eigenen Russ­land-Netz­werke. Eine weitere Recherche sollte viel­leicht noch einmal genau den vergan­genen Reisen (beson­ders nach Russ­land) des Wirt­schafts­fo­rums nach­gehen, das Frey und Chris­toph Leitl (ehema­liger Präsi­dent der Öster­rei­chi­schen Wirt­schafts­kammer und Vorsit­zender des Sotschi-Dialogs) für das Bruck­ner­haus gegrün­dete haben.

Anonyme Vorwürfe wegen sexu­ellen Miss­brauchs

Eine andere Art Whist­le­b­lo­wing ist auch die breit ange­legte Aktion eines Netz­werkes gegen Macht­miss­brauch an Musik­hoch­schulen. Eine Gruppe hat einigen von uns Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen eine Liste mit 414 Vorfällen von 108 Studie­renden im Zeit­raum von Juni bis Oktober 2023 in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz zuge­schickt. Darunter einige durchaus erschüt­ternde Erfah­rungen, andere – trotz Anony­mität – eher allge­mein gehalten. Für Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen ist es schwer, mit derar­tigen Infor­ma­tionen umzu­gehen, die keine Täter und Opfer benennen – und deshalb auch nicht nach­voll­ziehbar sind. Besten­falls dienen sie als Sitten­bild. Und das sieht nicht sonder­lich gut aus: Es gibt einen Teil von Studie­renden, die nach wie vor sexis­ti­sche Über­griffe an deut­schen Hoch­schulen wahr­nehmen. Die taz hat sich entschlossen, eine der Betrof­fenen (eben­falls anonym) zu Worte kommen zu lassen. Sie stellt dabei weit­ge­hend bekannte Forde­rungen auf und fasst die Studie am Ende so zusammen: »Uns erreichten Beschrei­bungen von Studie­renden, deren Lehrende sie vor anderen anschreien, rassis­ti­sche Sprüche machen bis zu unpas­senden Berüh­rungen. Eine Lehr­person kann mir auf einer engen Klavier­bank sehr nahe, legte ihre Hände beim Spiel auf meine oder Ähnli­ches. Es gab auch den Fall einer Musik­stu­dentin, die mit verbun­denen Augen spielen sollte. Das kann alles künst­le­risch sinn­voll sein – manchmal ist es ein Vorwand. Es sind diese Grau­zonen, die zeigen, wie undeut­lich die Macht­be­zie­hung defi­niert ist. Und es gibt noch mehr.« Da ist viel Grau­zone, viel Befind­lich­keit, viel Unkon­kretes, und es wäre wünschens­wert, die Debatte auf einem dialo­gi­schen und konkreten Niveau mit den Musik­hoch­schulen fort­zu­setzen. Auch der Spiegel hat inzwi­schen nach­ge­zogen.

Bewe­gung in Salz­burg

Letzte Woche hatte ich an dieser Stelle die Über­le­gung ange­stellt, dass es Münchens amtie­renden Inten­danten even­tuell nach Salz­burg ziehen könnte. Kollege Robert Braun­müller von der Abend­zei­tung wollte es genau wissen: „Der gewöhn­lich gut infor­mierte News­letter von (Crescendo) nannte vor ein paar Tagen die Bewerber für die Nach­folge von Markus Hinter­häuser um die Inten­danz der Salz­burger Fest­spiele, darunter auch Serge Dorny“, hieß es in seinem Text (danke für die Blumen!). Und weiter: „Dorny hat seine Bewer­bung inzwi­schen bestä­tigt. Er sei von der Findungs­kom­mis­sion dazu aufge­for­dert worden.“ Für Braun­müller ist die Bewer­bung vor allen Dingen eine Ohrfeige für Bayerns Kulturm­i­nitser : „Es war ein Fehler, mit der Verlän­ge­rung von Dornys Vertrag so lange zu warten, bis dieser Lust auf Verän­de­rung bekommt.“ Ein Wink auch in Rich­tung Bayreuth, wo die Baye­ri­sche Kultur­po­litik eben­falls unnötig zöger­lich ist: „Blume ist gerade dabei, den Fehler ein zweites Mal zu machen: Auch der bereits 2025 auslau­fende Vertrag von in Bayreuth ist noch nicht verlän­gert. Auch sie plant bereits Fest­spiele, von denen nicht sicher ist, ob sie sie auch verant­worten darf“, kommen­tiert Braun­müller. Oster­fest­spiele-Inten­dant wurde eben­falls als Sommer-Kandidat gehan­delt, hat inzwi­schen aller­dings erklärt, dass er sich nicht beworben habe. Wahr­schein­liche Kandi­daten sind weiterhin Scala-Inten­dant und Stutt­gart-Chef Viktor Schoner. Am hart­nä­ckigsten hält sich derzeit aller­dings noch das Gerücht von letzter Woche, dass Salz­burgs Politik die Hand­bremse zieht und Markus Hinter­häuser even­tuell um drei weitere Jahre verlän­gern will – wenn man da mal nicht den Anschluss verliert.

Im Netz falsch abge­bogen: sorry, Antonia Morin

Ich bin letzte Woche falsch im Internet abge­bogen, und so ist mir ein echter Klops passiert. Ich hatte berichtet, dass die BR-Jour­na­listin Antonia Morin in einem Text zum Frau­entag die Frauen in der Klassik-Kritik gegen homo­se­xu­elle Klassik-Kritiker ausge­spielt habe. Das war natür­lich voll­kom­mener Quatsch! Es handelte sich hier nicht um den Text von Frau Morin, sondern um einen Kommentar vom Anonym Suggia zu ihrem Text. Frau Morin hat mich sofort auf den Fehler aufmerksam gemacht, und als Jour­na­list weiß ich, wie blöde eine solche Situa­tion ist. Deshalb hier auch öffent­lich noch einmal meine dicke Entschul­di­gung. 

Chinas Zensur und Beet­ho­vens Frei­heit 

Chinas Behörden scheinen die Zensur etwas anzu­ziehen. Basels Musik­ma­nager Chris­toph Müller konnte es jeden­falls kaum glauben: für ein Konzert im Juli mit dem Kammer­or­chester Basel in Shanghai musste das Programm der Zensur­be­hörde vorge­legt werden, und auch für eine Tournee 2027 wollte die Agentur Genaueres wissen. Das war in den Zeitungen von CH Media zu lesen. Auf dem Programm soll Beet­ho­vens «Chor­fan­tasie» stehen, mit dem bekannten Text «Schmei­chelnd hold und lieb­lich klingen / unsers Lebens Harmo­nien, / und dem Schön­heits­sinn entschwingen / Blumen sich, die ewig blüh’n». Die Agentur ließ sich den Text im Vorfeld vorlegen. «Für das Orchester und mich ist es bereits skurril, ja erschre­ckend, dass man ein rein sinfo­ni­sches Programm der Zensur­be­hörde vorlegen musste. Aber dass man nun auch noch den Text der Chor­fan­tasie speziell unter­su­chen lassen muss, irri­tiert mich», sagt Müller. 

Die digi­tale Zukunft der Oper 

Das Theater der Zukunft muss nicht unbe­dingt in einem Opern­haus spielen. Für die neue Ausgabe von Alles klar, Klassik? besuche ich die Digital-Sparte am Staats­theater Augs­burg. Wie sieht die Zukunft der Oper aus? Was kann AI schon jetzt? Wie werden Bühnen­räume erwei­tert, und welche Möglich­keiten bietet das Multi­me­dium Oper? Inten­dant kommt ebenso zu Wort wie Gloria Schulz vom Studio Möglich­keiten, Benjamin Seuf­fert und Lukas Joshua Bauer­egger, die die Digital-Sparte des Thea­ters leiten und die Sängerin Priya Pari­yachart. Unbe­dingt Mal rein­hören. (Hier für alle Player, unten für Spotify).

Ameri­ka­ni­sche Vakanzen

Zoff in San Fran­cisco: wird das San Fran­cisco Symphony Orchestra verlassen. Der Grund ist Streit mit der Orches­ter­füh­rung. »In Bezug auf die zukünf­tigen Ziele der Insti­tu­tion teile ich nicht dieselben Ansichten wie der Vorstand«, sagte Salonen in einer Erklä­rung. Der Vorstand selber schweigt. Salonen, der im Juni 66 Jahre alt wird, trat seinen Job im Dezember 2018 an und folgte auf . Trotz Kritik am Manage­ment lobte Salonen das Orchester, er sei »stolz darauf, weiterhin mit den Welt­klasse-Musi­kern zu arbeiten.« Auch in Chicago ist der Job von Riccardo Muti noch immer vakant. Hier gilt Klaus Mäkelä als hoff­nungs­vollster Kandidat. Das Los Angeles Phil­har­monic Orchestra sucht einen Nach­folger für Gustavo , und wird nach der Saison 2026–27 das Cleve­land Orchestra verlassen. In dieser Woche gab außerdem James Conlon bekannt, dass er nach der Saison 2025–26 als musi­ka­li­scher Leiter der Los Angeles Opera zurück­treten werde. Viel Bewe­gung also in den USA. Immerhin: Diri­gent wurde an der Chicago Lyric Opera verlän­gert

Opti­mismus in Groß­bri­tan­nien

Eine groß ange­legte Umfrage in Groß­bri­tan­nien blickt opti­mis­tisch in die Zukunft von Kultur­ver­an­stal­tungen. Die Ticket-Verkäufe von 2023 waren im Vergleich zu 2019 (also vor der Corona-Pandemie) auf 101 Prozent gestiegen. Außerdem hat die Hälfte des Publi­kums 2023 zum ersten Mal ein Kultur-Ticket gebucht. 54 Prozent hatte vorher noch nie in eine Kultur­ver­an­stal­tung besucht. Eine Quote, die ledig­lich 2013 mit 55 Prozent höher war. Die ganze Studie hier

Perso­na­lien der Woche

Rück­schlag für Italiens Rechts-Regie­rung: Giorgia Melonis Kultur­po­li­tiker wollten La Fenice-Inten­dant Fort­u­nato Ortom­bina als Nach­folger von Domi­nique Meyer an der Mailänder Scala instal­lieren. Aber der Italiener erklärte nun in einem Inter­view, dass er kein Inter­esse hätte und nie um diesen Job gebeten habe. Meyer soll sich derweil in Salz­burg um die Fest­spiel­lei­tung beworben haben. Die Scala steht bedröp­pelt da. So demo­lieren Natio­na­listen ihre natio­nalen Kultur­tempel. +++ hat vom Merkur ein span­nendes Inter­view gegeben: »Wir müssen die Oper besser verkaufen«, sagte der Diri­gent: Es gibt viele Menschen, die keine Erfah­rungen mit klas­si­scher Musik haben. Die Schulen bieten immer weniger Gele­gen­heit, sich mit dieser Kunst ausein­an­der­zu­setzen. »Also müssen wir die Dinge erklären. Und das nicht auf eine hoch­tech­ni­sche Art, sondern mit Herz. Und auch mit Elementen des Enter­tain­ments. Ich bin sehr für so etwas zu begeis­tern, auch auf Social Media. Die Gefahr ist nur, dass dort zu wenig Infor­ma­tion vermit­telt wird. Ein TikTok-Beitrag zum Beispiel liefert zu wenige Antworten.« +++ »Stell Dir vor …« ist das Motto der ersten Spiel­zeit von Nora Schmid an der Semper­oper Dresden mit 14 Premieren: Darunter die Dresdner Erst­auf­füh­rung von Arrigo Boitos Mefi­sto­fele mit der Schau­spie­lerin , « Inter­mezzo und eine konzer­tante Neupro­duk­tion von Leonard Bern­steins Candide. An der Baye­ri­schen Staats­oper entsteht ein neuer Ring: Vladimir Jurowski wird ihn diri­gieren, über­nimmt die Insze­nie­rung. +++ Sein grüner Blei­stift war stets gespitzt, die Musik sein eigent­li­cher Lebens­raum – und die Stimme sein Ausdrucks­mittel. «Ohne das Kompo­nieren wüsste ich gar nicht, warum ich hier auf dieser Welt bin», sagte Aribert Reimann einmal. Nun ist er gestorben, mit 88 Jahren. Ich habe versucht meine Gedanken zu Aribert Reimanns Lebens­werk hier zusam­men­zu­fassen.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn, viel­leicht ja hier? Asmik Grigo­rian hat die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss aufge­nommen. Grigo­rian sucht den Seelen­ab­grund in den Liedern um Liebe, Hoff­nung und Tod, ihr dunkles, erdiges Timbre sorgt für mysti­sche Morbi­dität, die Allge­gen­wär­tig­keit des Ster­bens und das andau­ernde Durch­bli­cken silber funkelnden Lebens. In den großen Legat­obögen könnte sich Grigo­rian etwas mehr Zeit nehmen, gelas­sener bleiben. Aber ihre Inter­pre­ta­tion klingt immer nah am Text, klug, ohne die Sinn­lich­keit intel­lek­tuell zu verstellen. Das Beson­dere: Grigo­rian hat den Zyklus gleich zwei Mal aufge­nommen, mit dem Orchestre Phil­har­mo­nique de Radio France unter der atmenden Leitung von und in der Klavier­fas­sung mit einem klug und lust­voll illus­trie­rend aufspie­lenden Markus Hinter­häuser am Flügel. Man mag diese Doppe­lung merk­würdig finden, kann sie aber auch als Erkennt­nis­ge­winn verbu­chen in der Frage um den Kontext einer Stimme in Zeit und Raum. Unbe­dingt Mal rein­hören.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de