Konti­nuität, Chaos und strah­lende Zukunft

von Axel Brüggemann

2. April 2024

Heute mit guten Zahlen aus Berlin, dem Intendanten-Chaos in Italien, der wachsenden Gewissheit, dass Mäkelä nach Chicago geht und der Beruhigung, dass Gene kein Genie versprechen.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit guten Zahlen aus Berlin, dem Inten­danten-Chaos in Italien, der wach­senden Gewiss­heit, dass Mäkelä nach Chicago geht und der Beru­hi­gung, dass Gene kein Genie verspre­chen. 

Berliner Häuser füllen sich wieder

Die Theater in Berlin sind wieder auf dem Vormarsch: 3,1 Millionen Besu­cher in Oper, Schau­spiel, Tanz und Konzert. Das erfolg­reichste Klassik-Haus ist nach BZ-Infor­ma­tionen nach dem Fried­rich­stadt-Palast und dem Maxim-Gorki-Theater die Staats­oper Unter den Linden (+1,4 Millionen Euro). Die Zeitung hat auch ausge­rechnet, wie viel staat­liche Unter­stüt­zung pro Karte an jedes Haus fließen. In der Komi­schen Oper sind das zum Beispiel 272 Euro (Spit­zen­reiter sind das Ball­haus mit 466 Euro pro Ticket und die Tanz­fa­brik mit 326 Euro). 

Mäkelä nach Chicago?

Die Situa­tion könnte ein wenig absurd werden: Wird Klaus Mäkelä Chef­di­ri­gent in Chicago (und damit Nach­folger von ), bevor er 2027 endlich seine Stelle als Chef­di­ri­gent beim Concert­ge­bou­wor­kest in Amsterdam antritt? Dort wurde er bereits 2022 vorge­stellt, aber man wollte mit seinem Amts­an­tritt warten, bis Mäkeläs Vertrag beim Orchestre de Paris ausläuft. Wenn die aktu­ellen Gerüchte aus Chicago stimmen und sein Enga­ge­ment bald bekannt gegeben wird, wäre das eine Ohrfeige für Amsterdam. Dort hoffte man, dass der erst 28jährige Mäkelä sich voll und ganz auf seinen Job in den Nieder­landen konzen­trieren würde und gewährte ihm auch deshalb eine extrem lange Warte­zeit von fünf Jahren. Mäkelä machte in den letzten Wochen auch deshalb Schlag­zeilen, weil die gemein­samen Konzerte mit der Pianistin absagt wurden. Die beiden hatten sich vor einigen Monaten in den sozialen Medien noch als lust­voll musi­zie­rendes Klassik-Paar präsen­tiert. Nun sagten sie gemein­same Auftritte in Chicago and Cleve­land ab. Wirk­lich span­nend am Mäkelä-Hype ist, dass es von Orches­tern immer wieder heißt, dass es bei der Wahl von Frauen noch nicht genü­gend Diri­gen­tinnen mit genü­gend Erfah­rung gäbe. Gilt dieses Krite­rium bei Männern eigent­lich nicht?

Italie­ni­sche Zustände

Der Inten­dant der Mailänder Scala, , soll das Haus verlassen, wenn es nach Italiens Rechts­re­gie­rung geht. Ein Beschluss der Regie­rung Giorgia Meloni sieht vor, dass Leiter großer Häuser mit 70 Jahren in Ruhe­stand treten sollen. Nun meldet sich das Orchester der Mailänder Scala: »Es scheint uns gut zu sein, wenn Domi­nique Meyer im Amt bleibt, um zu voll­enden, was er bereits für die kommenden Saisons geplant hat. Seinen Vertrag zu verlän­gern würde bedeuten, dass es in Mailand eine künst­le­ri­sche Reise zu voll­enden gäbe.« Die Regie­rung Meloni hatte bereits ange­kün­digt, dass Meyer durch Fort­u­nato Ortom­bina ersetzt werden sollte, der derzeit am La Fenice in Venedig im Amt ist. Ortom­bina hatte aller­dings sofort erklärt, dass er keine Ambi­tionen habe nach Mailand zu wech­seln. Von Domi­nique Meyer heißt es, dass er sich bereits als Inten­dant der Salz­burger Fest­spiele, also als Nach­folger von Markus Hinter­häuser, beworben habe. 

Derweil hat der Maggio Musi­cale in Florenz den Italiener Carlo Fuortes als neuen Inten­danten benannt. Fuortes, ehema­liger RAI-Mann, hatte es eigent­lich auf den Chef­sessel in Neapel abge­sehen. Dort aber setzte sich der alte Inten­dant durch. Nun ersetzt Fuortes also in Florenz. Der musste das Maggio Musi­cale verlassen, nachdem Vorwürfe der Untreue laut wurden. Es ging um über­zo­gene Spesen­rech­nungen: Hotel­über­nach­tungen, Restau­rant­be­suche in Ibiza, einen Heli­ko­pter­flug und teure Einkäufe bei Fisch­händ­lern, Bäcke­reien und Metz­ge­reien. Pereira soll auch einen Fond ange­zapft haben, der eigent­lich für die Tilgung der Schulden am Haus vorge­sehen gewesen sei, um die Löhne der Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter zu bezahlen. Die Ironie der Geschichte: Gegen Fuortes wurde gerade ein Urteil gespro­chen: 16 Monate Haft, da er mitver­ant­wort­lich für den Unfalltod eines Opern-Mitar­bei­ters in der Oper in Rom im Jahre 2017 gewesen ist. Fuortes wurde außerdem zu einer Strafe in Höhe von 220.000 Euro für die Opfer-Familie verklagt. Wie die Regie­rung Meloni bereits in die Klassik-Kultur Italiens eingreift zeigt sich an der Diri­gentin Beatrice Venezi im Orchestra Sinfo­nica Sici­liana in Palermo. Sie ist begeis­terte Meloni-Anhän­gerin, ihr Vater hat die neurechte Partei in Italien gegründet. Nun haben Musi­ke­rinnen und Musiker des Orches­ters gegen sie aufbe­gehrt – drei wurden für mehrere Tage suspen­diert. Angst macht sich breit.

Netrebkos neuer Traum­mann

Nach den Salz­burger Oster­fest­spielen sind und nun auch das Opern-Traum­paar bei der kommenden Scala-Eröff­nung. Auf dem Programm steht: La Forza Del Destino mit . Diri­gent ist , insze­nieren wird Leo Muscato. Es ist schon ein wenig lustig zu sehen, wie viele Männer Netrebko in Ihrer Karriere ins Abseits gesungen hat. Am Anfang wurde sie untrennbar mit verbunden, dann lange Zeit mit ihrem dama­ligen Partner, dem Bariton . Zwischen­spiele bestritt sie mit , dann trat sie am liebsten mit ihrem neuen Mann, auf (da ist es inzwi­schen irgendwie ruhiger geworden, er hat eine neue Agentur aufge­baut und ist Inten­dant in Aser­bai­dschan). Nun also immer wieder mit dem nicht mehr ganz taufri­schen Jonas Kauf­mann. Wenn das so weiter geht, könnte Netrebko bald Alban Bergs erste Lulu verkör­pern!

Gene garan­tieren kein Genie 

Die Wissen­schaftler des Max-Planck-Insti­tuts haben Gene aus einer Haar­strähne von analy­siert und heraus­ge­funden: die Gene des Meis­ters aus Bonn unter­schieden sich in Sachen Musi­ka­lität nicht von denen anderer Bevöl­ke­rungs­stich­proben. Als Indi­kator gilt die gene­ti­sche Veran­la­gung zur »Takt­syn­chro­ni­sa­tion« – eine Fähig­keit, die eng mit Musi­ka­lität verbunden ist. Beet­ho­vens Gene sind in dieser Kate­gorie unauf­fällig. Immerhin beru­hi­gend: Üben scheint sich doch zu lohnen.

Perso­na­lien der Woche

Die Theater-Legende Roberto Ciulli erklärte in der Süddeut­schen Zeitung seine Zweifel, ob die Bühne noch immer die Kunst der Zukunft ist. »Der Kampf um Verän­de­rung geht weg von der Bühne«, sagt er, »weg vom Bereich der Kunst, hinaus auf die Straße. (…) Es gibt die Zeit der Lite­ratur, des Romans – und es gibt die Zeit der Mani­feste und der Kampf­an­sagen.« Auf meiner neuen Seite Back­stage­Clas­sical zeichne ich nach, wie die Kunst in den letzten Jahren von über bis zum Zentrum für poli­ti­sche Schön­heit immer mehr auf die Straße gewan­dert ist. +++ Im Pop und Rock-Bereich scheint man einen Groß­teil des Anspru­ches auf poli­ti­sche Botschaften bereits aufge­geben zu haben. Eine Studie von Compu­ter­wis­sen­schaft­lern fand auf jeden Fall heraus, dass die Lyrics in fast allen Genres einfa­cher geworden sind – selbst im Rap. Das Absurde: Rock­fans greifen auch deshalb auf die Klas­siker zurück. +++ Die Bregenzer Fest­spiele eröffnen dieses Jahr mit dem Frei­schütz. Regis­seur Philipp Stölzl wird eine Winter­land­schaft auf den Bodensee zaubern – nun gibt es erste Bilder. »Die Insze­nie­rung spielt in einem Dorf im Winter nach dem 30jährigen Krieg«, erklärt Inten­dantin . »Stölzl spielt auch mit den Verwun­dungen des Krieges – leider sehr aktuell. Er will die Brüche nutzen: Am Bodensee ein Dorf im Winter. Das Unheim­liche, das Drama­ti­sche, aber auch das Verspielte. Diese Gegen­sätze sind im Frei­schütz imma­nent. Man wird hin und herge­rissen zwischen einer Nacht­stim­mung und einer drama­ti­schen Szene.«

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier! In Wahr­heit ist es noch gar nicht da, sondern ledig­lich als kleines Stück­chen Vorfreude auf dem Markt: Der Bariton André Schuen hat gemeinsam mit seinem konge­nialen Klavier­partner Daniel Heide bereits die Die schöne Müllerin und Schwa­nen­ge­sang aufge­nommen – nun erscheint ihre Aufnahme der Winter­reise. Zyklen mit gigan­ti­scher Aufnah­me­ge­schichte. Aber genau an dieser Historie wird auch deut­lich, wie Inter­pre­ta­tionen sich ändern, von über die von mir so heiß geliebten Zyklen von . Schuen stellt sich selbst­ver­ständ­lich in diese Reihe. Bereits auf der Winter­reise-»Single«, die von der Deut­schen Gram­mo­phon bereits ausge­kop­pelt wurde, wird klar: Auch hier führt Schuen Schu­bert wieder in eine stren­gere, aber nicht minder strö­mende Sinn­lich­keit. Nichts lenkt da ab, kein Manie­rismus. Alles ist: Stimme. Alles ist: Knochen. Alles ist: Wesent­lich. Lieder zum zuhören. Lieder, in denen man sich bewegen kann. 

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif. 

Ihr

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Fotos: Marco Borggreve, Oslo Philharmonic, Elbphilharmonie, Kikkas, KI, Wiener Staatsoper, Pöhn, Quelle "Letzte Generation"