KlassikWoche 13/2024

Muss das sein, Herr Müller?

von Axel Brüggemann

25. März 2024

Heute mit einem fatalen Münchner Narrativ, mit Orchester-Solidarität in den USA , Buhrufen in Hamburg und einer großartigen Elektra!

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einem fatalen Münchner Narrativ, mit Orchester-Soli­da­rität in den USA , Buhrufen in Hamburg und einer groß­ar­tigen Elektra!

Pein­lich, lieber Paul Müller!

In der aktu­ellen Saison­bro­schüre der Münchner Phil­har­mo­niker verab­schiedet sich Inten­dant Paul Müller von seinem Publikum – mit einem persön­li­chen Rück­blick. Dabei schreibt er auch über die vergan­genen Chef­di­ri­genten, unter anderem über Valery Gergiev. Müller lobt den Russen für »unver­gess­liche musi­ka­li­sche Momente durch seine unend­liche emotio­nale Über­zeu­gungs­kraft« und fügt hinzu: »Sein großes Enga­ge­ment für die klas­si­sche Musik zollt meinen Respekt und er hat mit seinem Input für die Entste­hung der Isar­phil­har­monie in München dauer­hafte Spuren hinter­lassen.« Kein Wort über Gergievs Unter­stüt­zung von Vladimir Putin, über seine öffent­liche Propa­ganda für die Krim-Anne­xion und von Putins Homo­se­xu­ellen-Gesetzen. Statt­dessen erklärt Müller schlicht: »Gergievs Tätig­keit endete nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine im März 2022.« Und weiter: »Dass wir ihn im Westen nicht mehr erleben, ist ein Verlust, aber den Zeichen der Zeit mit dem Krieg in der Ukraine geschuldet.« 

Das klingt, als sei Gergiev ein Opfer des russi­schen Angriffs­krieges. Müllers Rück­blick ist eine selbst­zu­frie­dene Verwei­ge­rung, histo­ri­sche Verant­wor­tung zu über­nehmen. Bereits im Januar 2015 habe ich zum ersten Mal bei Müller ange­fragt und wollte wissen: »Gergiev hat einen offenen Brief für den Putin-Kurs in der Ukraine unter­schrieben, seine Äuße­rungen zur Homo­se­xua­lität sind zumin­dest ressen­ti­ment­ge­laden, Geor­gien hat er als ‚mörde­risch‘ beschimpft. All das hat dazu geführt, dass Sänge­rinnen wie Karita Mattila nicht mehr mit ihm auftreten wollen.« Ich wollte wissen, ob all das dem Ansehen des Orches­ters nicht schade. In einer weiteren Anfrage ging es um Gergievs homo­phobe Äuße­rungen. Aber ich bekam die stets gleiche Antwort: »Wenn Valery Gergiev sich (…) als Person poli­tisch äußert, macht er von seinem Recht auf freie Meinungs­äu­ße­rung Gebrauch. Wir werden seine poli­ti­schen Äuße­rungen nicht kommen­tieren.« Müllers Abschied in der Saison­bro­schüre wäre eine gute Möglich­keit gewesen, die Vergan­gen­heit zu reflek­tieren, viel­leicht die Frage zu stellen, ob er persön­lich nicht viel zu lange alle Warn­zei­chen über­sehen hat und vor allen Dingen, ob der Inten­dant eines von Steu­er­gel­dern getra­genen Orches­ters nicht viel früher hätte in den kriti­schen Dialog hätte gehen müssen. So bleibt der schale Beigeschmack, dass da jemand nichts aus seiner Verant­wor­tung in der Vergan­gen­heit gelernt hat. Tragisch.

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Zoff um Hamburger Buhrufe

Die Première der neuen Hamburger „Il Trovatore“-Inszenierung von Regis­seur Immo Karaman muss ein Eklat gewesen sein: Massive Buhrufe während einer Verge­wal­ti­gungs­szene auf der Bühne, dem Tenor brach die Stimme weg – und am Ende: ein Miss­fal­lens-Orkan. So heftig, dass es sogar einigen Kriti­kern – unter anderem dem NDR – zu hart war: Joachim Mischke vom Abend­blatt sagte später: »Ein Teil davon ist sicher damit zu begründen, dass man denkt: Ich habe die Karten gekauft und ein gewisses Recht, mich so zu äußern. Aber man sollte immer im Rahmen des Anstands und der Höflich­keit bleiben, denke ich.« Ich habe mit Premieren-Besu­chern gespro­chen, die sich eben­falls über die »mehr dilet­tan­ti­sche als scho­ckie­rende Regie« ausge­spro­chen haben und es okay fanden, wie protes­tiert wurde. Im Podcast »Alles klar, Klassik?« rede ich mit Doro­thea Gregor über die Insze­nie­rung – sie hat die zweite Auffüh­rung gesehen, bei der von Skandal keine Spur mehr war. 

Elektra in Baden-Baden

Lieber Nina Stemme als Anna Netrebko! Wie Kirill Petrenko den Erst­klasse-Sängern in Baden-Baden für Elektra ein Klang­bett aus Stachel­draht ausge­breitet hat, lesen Sie in meiner Kritik hier.

Rück­halt für Esa-Pekka Salonen

Nachdem der Diri­gent Esa-Pekka Salonen seinen Rück­tritt als Chef­di­ri­gent der San Fran­cisco Symphony im Streit mit dem Manage­ment bekannt gegeben hat, spre­chen nun die Musiker: »Wir sind zutiefst betrübt über die Nach­richt, dass Esa-Pekka Salonen aufgrund mangelnder Inves­ti­tionen in inno­va­tive Programme und Tour­neen zurück­treten wird. Es wurde versäumt, in die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Orches­ters zu inves­tieren. Das hat zum Abgang eines Welt­klasse-Maes­tros geführt und wirft Fragen über die Zukunft auf.“ Weiter heißt es im State­ment: »Wir sind der San Fran­cisco Symphony beigetreten, weil dieses Orchester einen Ruf für Inno­va­tion und musi­ka­li­sche Exzel­lenz hat. Esa-Pekka ist ein visio­närer Künstler und eine trei­bende Kraft für die Art von Inno­va­tion und Expe­ri­ment, die unser Orchester für die Zukunft braucht. Es gab viele bahn­bre­chende Dinge, die er in San Fran­cisco tun wollte, und wir freuten uns darauf, ihn auf dieser Reise zu begleiten.«

Lyniv über Waffen­lie­fe­rungen und Anna Netrebko

Oksana Lyniv macht es sich nicht leicht: Sie macht Musik und vertei­digt Ihr Land – gleich­zeitig kämpft sie für die radi­kale Frei­heit der Kunst. Dass sie (zu Recht!) weiterhin Werke von Tschai­kowski aufführt, bringt ihr in der Ukraine Kritik ein, dass auf Grund ihres Protestes gegen Teodor Curr­entzis nun dessen Auftritt bei den Wiener Fest­wo­chen abge­sagt wurde, ärgert die Freunde des Diri­genten. Die New York Times widmet Lyniv nun ein großes Porträt nach ihrem gelun­genen MET-Debüt. Und mit Opern​.News redet die Diri­gentin nun über die in Deutsch­land verbrei­tete Skepsis gegen­über mili­tä­ri­scher Hilfe für die Ukraine: »Solche Stimmen gibt es auch in Italien, viele sind sehr pazi­fis­tisch einge­stellt. Auch manche Kollegen meinen, dass der Verzicht auf Waffen­lie­fe­rung den Krieg stoppen könnte. Ich sehe natür­lich die Last von der Wirt­schafts­krise in der ganzen Welt, aber es ist wichtig zu sagen: Keine dieser Personen kann den Schreck nach­voll­ziehen, wenn man als Zivi­list bombar­diert wird, wenn die Raketen Tag und Nacht fliegen, wenn man die Verwandten in den Krieg schi­cken muss. Die Rake­ten­ab­wehr­sys­teme retten Leben, und um diesen Schutz zu gewähr­leisten, braucht die Ukraine die Unter­stüt­zung von den Part­nern.« Außerdem erklärte Lyniv, warum sie trotz Kritik bei den Maifest­spielen in Wies­baden auftreten wird, wo auch Anna Netrebko gastiert: »Die Idee eines Doppel-Requiems Lyniv vs. Curr­entzis bei den Wiener Fest­wo­chen war für mich inak­zep­tabel, und meine Reak­tion war unmit­telbar und kompro­misslos. Bei den Maifest­spielen in Wies­baden ist die Situa­tion anders. Ich wurde nicht als einzelne Künst­lerin zum Festival einge­laden, sondern bin Teil der gesamten Tosca-Produk­tion vom Teatro Comu­nale di Bologna. Der Name Netrebko steht nicht auf der Beset­zungs­liste unserer Produk­tion. Sie singt in einer anderen Produk­tion, mit einem anderen Diri­genten, mit einem anderen Orchester, am anderen Tag, und ich trage keine Verant­wor­tung dafür.«

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Perso­na­lien der Woche

Vor seinem Abschied aus Dresden schaut Chef­di­ri­gent Chris­tian Thie­le­mann zufrieden zurück. In einem Gespräch mit dem BR spricht er auch über die hohen Umfra­ge­werte der AFD in Sachsen. »Das stimmt einen schon etwas unsi­cher«, sagt Thie­le­mann, »Man weiß ja nie, wie Wahlen ausgehen. Da kann man nur sagen, jetzt warten wir mal ab. Die Arbeit wird nicht beein­träch­tigt. Das ist ein Erbe von früher, denken Sie an die Zeit vor der Wende.« Ob Abwarten eine gute Taktik ist? Mit einem Sieg der AFD würde die deut­sche Kultur­land­schaft grund­le­gend anders aussehen: staat­liche Kultur-Zuschüsse sollen laut AFD-Programm radikal gestri­chen werden. +++ Lange schon redet Bremen darüber, nun scheint die Moder­ni­sie­rung der Glocke Wirk­lich­keit zu werden. Laut erster Schät­zung belaufen sich die Kosten auf 53 Millionen Euro. Die Hälfte der Kosten trägt Bremen und hofft, dass der Bund die andere Hälfte zur Reno­vie­rung beiträgt. +++ Kultur­staats­se­kre­tärin Claudia Roth hat eine Studie zu den geplanten Anti­se­mi­tis­mus­klau­seln in der Kultur beim Rechts­wis­sen­schaftler Chris­toph Möller von der Berliner Humboldt-Univer­sität in Auftrag gegeben. Sein Gutachten liegt der SZ nun vor, zusam­men­ge­fasst sagt er: »So leicht ist das alles nicht.« Es ist sympto­ma­tisch für Roth, dass sie auf der einen Seite eine Klausel plant, bei der Berli­nale-Preis­ver­lei­hung aber gar nicht mitbe­kommen hat, wenn offener Anti­se­mi­tismus vor ihren Augen und Ohren statt­findet. +++ Der unga­ri­sche Kompo­nist Peter Eötvös ist mit 80 Jahren gestorben. Er hat die Oper moder­ni­siert und sie als Multi­me­dium verstanden. Als Diri­gent förderte er zahl­reiche Kolle­ginnen und Kollegen. In einem Gespräch über seine Oper Angels ins America gab er Einblicke in seine Werk­statt und seine Musik-Philo­so­phie. +++ Der italie­ni­sche Pianist Maurizio Pollini ist tot. Er starb am Sams­tag­morgen im Alter von 82 Jahren, wie die Nach­rich­ten­agentur ANSA meldete. Pollini war seit einiger Zeit krank und musste zuletzt seine geplanten Konzerte absagen. Das Teatro alla Scala erklärte, man trauere um »einen der großen Musiker unserer Zeit«.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier. Die Karwoche kommt auf uns zu, und damit auch die Sehn­sucht nach dem Parsifal. Es gibt eine neue (Live)Aufnahme aus Wien. Sie ist gigan­tisch, hat nur ein Problem: Den Diri­genten. Das Ensemble ist Welt­klasse: Für Jonas Kauf­mann ist die Titel­rolle perfekt zuge­schnitten, der Tenor kann mit seiner Stimme Psycho­lo­gien formen, und das tut er auch: naiv zuweilen, dann wieder kämp­fe­risch und verzau­bert. High­light ist Elīna Garančas Kundry. Sie hat in Wien für ihren fulmi­nanten Bayreuth-Auftritt geprobt. Und wie! Selten hört man so viel VerKÖR­PE­RUNG in dieser Rolle, so viel lodernde Verfüh­rung in der Stimme – ein musi­ka­li­scher Funke, der sich im gesamten zweiten Aufzug auf Jonas Kauf­mann über­trägt. Und auch die anderen Rollen sind aus der Stimm-Cham­pi­ons­le­ague besetzt: Georg Zeppe­n­feld verströmt Weis­heit, Suche und Gebro­chen­heit mit seiner Silb­er­stimme als Grals­hüter Gurn­emanz, und Ludovic Tézier erhebt das Leiden als Amfortas zur Tugend. Es war also alles ange­richtet für eine Große Aufnahme. Allein Diri­gent Phil­ippe Jordan verschleppt schon die Ouver­türe. Viel­leicht lag es am leeren Opern­haus, dass der Diri­gent das Orchester der Wiener Staats­oper nicht zwin­gend durch die Leidens- und Erlö­sungs­mo­mente der Partitur führt. Viel­leicht aber auch daran, dass Phil­ippe Jordan sich keine Mühe macht, sich zu fragen, was er mit diesem Parsifal eigent­lich will. Die Zeit wird hier nicht zum Raum, sondern zu einer zähen Ange­le­gen­heit, die sich ohne Akzente, ohne Farb­tiefe und ohne Maß in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit mäan­dert. Schade. 

In diesen Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

P.S.: Hier geht es zum Podcast, in dem Doro­thea Gregor und ich über die Klassik-Woche debat­tieren. Eine neue Folge von Alles klar, Klassik? (Hier für alle Player)

Fotos: Nina Stemme als Elektra (Foto: Baden-Baden, Monika Ritterhaus)