Klang­bett aus Stachel­draht

von Axel Brüggemann

23. März 2024

Die Berliner Phil­har­mo­niker und haben »Elektra« bei den Oster­fest­spielen in Baden-Baden aufge­führt. Es gab Stan­ding Ovations.

»Die Zeit, sie dehnt sich wie ein fins­t’rer Schlund« – so heißt es bei »Elektra«, und so steht es am Ende auch blutrot auf den düsteren Treppen am Hofe des Agamemnon. Seit der alte Herr­scher gemeu­chelt wurde und seine Frau Klytäm­nestra ihren Lieb­haber Aegisth geehe­licht hat, regieren hier die puren Egoismen: blutige Macht, deka­denter Rausch, perverse Knecht­schaft, unge­liebte Lebens­sucht und unge­bän­digte Rachewut. 

hat diese Fami­lien-Dystopie in düsterste Musik gehüllt. Ein schriller, atem­loser Rausch, der vor nichts Halt macht – nicht einmal vor der Atona­lität. Wenn Kirill Petrenko und die Berliner Phil­har­mo­niker sich bei den Oster­fest­spielen in Baden-Baden nun durch die Partitur spielen, klingt das Dunkel metallen silber, tödlich dumpf das Schlag­werk und die Strei­cher treiben das Ganze peit­schend voran. Petrenkos Hofstaat ist ein perfekt geölter Abgrund, in dem sich die indi­vi­du­elle Exzen­trik in musi­ka­li­scher Perfek­tion Bahnen bricht. 

»In großen Bögen und mit großem Atem legt Stemme sich auf den Klang­tep­pich aus Stachel­draht, den die Berliner Phil­har­mo­niker ihr liebe­voll ausbreiten.«

Dafür steht ihm ein fulmi­nantes Vokal­ensemble zur Seite. Es ist vor allen Dingen der Abend der . Mit feuer­rotem Haar (und ganz ohne Beil) wütet sie knappe zwei Stunden über die sich andau­ernd verschie­benden Trep­pen­schluchten, die Regis­seur und Bühnen­bildner gemeinsam mit Regis­seur Philipp M. Krenn aufge­baut hat. Stemme wirkt in diesem Parforce­ritt nie stra­pa­ziert, ihre Wut ist perfekt kalku­lierte Emotion, ihr Hoffen, ihr Erkennen, ihr archai­scher Wunsch nach Rache wird fast schon lyrisch getragen. In großen Bögen und mit großem Atem legt sie sich auf den Klang­tep­pich aus Stachel­draht, den die Berliner Phil­har­mo­niker ihr liebe­voll ausbreiten.

Die lebendig lyri­sche Sehn­sucht nach Leben, nach Kindern, nach Norma­lität und dem kleinen, spie­ßigen Eheglück ihrer Schwester Chry­so­t­hemis ist dieser Elektra fremd. singt die Rolle mit kluger Naivität, mit innbrüns­tigem Glauben in der Stimme, dass alles gut werden könnte – irgendwie und irgend­wann.

Foto: Fest­spiel­haus Baden-Baden, Monika Ritter­haus

Dass diese Möglich­keit nicht besteht, machen Michaela Schus­ters Klytäm­nestra und Wolf­gang Ablinger-Sper­r­ha­ckes Aegisth als fast schon buffo­haftes Herr­scher­paar in jeder Phrase deut­lich. Und auch der im Krieg versehrte, mit steifem Bein und Krücken zurück­keh­rende Bruder Orest kann und will die Fami­lien-Endzeit nicht stoppen und schreitet zum Doppel­mord. 

Der volle Bariton von Johan Reuter legt die Grund­lage dafür, dass sich selbst Petrenkos stäh­lerne Diszi­plin in der Erken­nungs­szene ein biss­chen erwei­chen lässt. Für einen Moment scheint ein wenig Sonnen­licht in den dunklen Schlund der Zeit zu fallen.

Dass diese musi­ka­li­sche Welt­klasse am Ende dann doch nicht ihre volle Wirkung entfaltet, liegt an einer Insze­nie­rungs-Idee, die sich in Baden-Baden hoffent­lich ein für alle Mal als Sack­gasse entpuppt hat: Stölzl proji­ziert das gesamte Elektra-Libretto auf seine Stufen-Bühne, andau­ernd, ohne Unter­lass, in Giga-Lettern und unter­schied­li­chen Schrift-Typos. Es ist erschre­ckend, wie das andau­ernd abge­lenkte Auge das Hören so verhin­dert. Ganz abge­sehen davon, dass Stemmes Arti­ku­la­ti­ons­schwie­rig­keiten so erst offen­sicht­lich werden. Und vor allen Dingen: dass sich alles doppelt, denn der Text wird auch in der Über­ti­telung ange­zeigt. Das ist, als würde in dieser Kritik noch einmal erklärt werden, dass die Texte doppelt gezeigt werden, da sie auch in der Über­ti­telung ange­zeigt werden (Sie sehen das Problem?!?). Warum hat die Regie hier nicht genug darin gefunden, die Worte in Szene zu setzen, statt sie in die Szene zu schreiben? 

Am Ende wird natür­lich gar nichts gut. Alle liegen tot im Treppen-Mauso­leum, das Licht geht aus. Allein Chry­so­t­hemis beweint noch, dass ihr das echte Leben geraubt wurde, bevor auch sie ihr Dasein aushaucht und der fins­tere Schlund endgültig die Zeit verschlingt. 

Fotos: Nina Stemme als Elektra (Foto: Baden-Baden, Monika Ritterhaus)