Corona-Chaos an der Oper in der Normandie

von Axel Brüggemann

1. Oktober 2020

Leichtfertige Sicherheitsvorkehrungen haben dazu geführt, dass ein Teil des „Tannhäuser“-Ensembles mit Covid-19 infiziert ist.

„Die Welt wird auf Berlin schauen und auf die Normandie“, hieß es letzte Woche noch bei den Proben an der Opéra de Rouen. An beiden Orten sollten spek­ta­ku­läre Wagner-Produk­tionen unter weit­ge­hend normalen Bedin­gungen über die Bühne gehen. Doch während über Stefan Herheims Berliner „Walküre“ bereits ästhe­tisch gestritten wird, wurde der „Tann­häuser“ in der Normandie kurz­fristig abge­sagt. Inzwi­schen tobt an der Opéra de Rouen ein heil­loses Corona-Chaos, und Ensemble-Mitglieder erheben schwere Vorwürfe gegen Inten­dant Loïc Lachenal, der es mit den Covid-Regeln wohl nicht ganz so ernst genommen hat. Er wollte um jeden Preis, dass sich der Vorhang zur „Tannhäuser“-Vorstellung an seinem Haus hebt.

Während die Proben für die Berliner „Walküre“ nur ange­setzt wurden, wenn ein Gurgel­test bei allen Betei­ligten negativ ausge­fallen war, fanden Covid-Tests in Rouen ledig­lich auf frei­wil­liger Basis statt (es bestand ein Mal pro Woche die Möglich­keit zum Test). Eine Sängerin ließ sich erst testen, nachdem ihr bereits schwere Symptome zu schaffen machten. Zu spät für andere Mitwir­kende der „Tannhäuser“-Produktion. Tenor (er sollte die Titel­rolle singen) hat sich wahr­schein­lich bereits während der Proben bei einer Kollegin infi­ziert. Auf Nach­frage von CRESCENDO hat er bestä­tigt, dass er inzwi­schen positiv getestet wurde. 

Es wurde viel zu spät getestet

All das war für den Inten­danten in Rouen aller­dings noch kein Grund, die Hand­bremse zu ziehen. Statt die Vorstel­lung abzu­sagen, fragte das künst­le­ri­sche Betriebs­büro auch weiterhin Einsprin­ge­rinnen für die erkrankte Sängerin an, ohne diese über die Covid-Fälle an der Oper zu infor­mieren. 

Auf Anfrage von CRESCENDO demen­tierte Inten­dant Loïc Lachenal die Vorwürfe nicht. Er erklärte ledig­lich, dass er sich zu jeder Zeit an fran­zö­si­sches Recht gehalten habe, und dass er gelernt habe, dass man nirgendwo sicher vor dem Virus sein könne. Außerdem schrieb er, dass man sich beim Sicher­heits­kon­zept am Modell der orien­tiert habe. Das aller­dings ist falsch, denn in Salz­burg waren Tests für Musiker und Künstler verpflich­tend. Tatsäch­lich hat auch die „Walküre“ in Berlin gezeigt, dass ein Sicher­heits­kon­zept, das diesen Namen verdient, Oper durchaus möglich machen kann. In Rouen mangelte es einfach an einem vernünf­tigen Konzept und an Verant­wor­tung.

Rouen gefährdet alle Theater

Auf der Home­page der Oper in der Normandie ist derzeit noch immer von „einem Corona-Fall“ die Rede, dabei sind inzwi­schen wohl tatsäch­lich mindes­tens fünf Mitwir­kende des „Tannhäuser“-Ensembles positiv getestet. Auch das unter­scheidet den fran­zö­si­schen Weg im Umgang mit Corona in der Kultur­szene vom deut­schen: Während in voll­kom­mene Trans­pa­renz herrscht, wird in Frank­reich viel hinter verschlos­senen Türen gere­gelt.