Eldbjørg Hemsing

Eine glück­liche Stadt

von Teresa Pieschacón Raphael

29. November 2018

Es ist ein glückliches Land, dieses Norwegen. Vielleicht liegt es an der Stille der Natur, die hier eine Art Religion ist. Aus dieser Kraft schöpft auch die Geigerin Eldbjørg Hemsing – und das kann man spüren. Ein Spaziergang durch ihre Hauptstadt.

Es ist ein glück­li­ches Land, dieses Norwegen. Viel­leicht liegt es an der unbe­rührten Stille der Natur, die hier eine Art Reli­gion ist. Aus dieser Kraft schöpft auch die junge Geigerin Eldbjørg Hemsing – und das kann man spüren. Ein Spazier­gang durch ihre Haupt­stadt.

Es wirkt wie ein Gemälde: Inmitten eines norwe­gi­schen Fjords sitzt auf einem Fels­vor­sprung barfuß eine Frau mit ihrer Geige. Wild peit­schen die Wasser­massen an das Gestein, während der Wind ihr flachs­blondes Haar durch­ein­an­der­wir­belt. Sie lacht. Ja, so stellt man sich eine wasch­echte Norwe­gerin vor. Schließ­lich steht das Land laut dem World Happi­ness Report 2017 auf Platz eins, wenn es um Glück und Zufrie­den­heit geht.

Die Frau auf dem Bild ist keine andere als die Geigerin . Beim Inter­view im Hotel in erzählt sie fröh­lich von ihrer Kind­heit in , einem kleinen Berg­dorf tief im Süden Norwe­gens, fast 300 Kilo­meter von Oslo entfernt. 700 Einwohner, eine Kirche und die „unbe­rührte stille Natur“, die fast allen Norweger eine Art Reli­gion ist. Als Kind beglei­tete sie ihren Vater, einen Berg­auf­seher, wenn er die Lawi­nen­ge­fahr einzu­schätzen hatte oder die Fisch­be­stände maß. Von ihm lernte sie, „am Lager­feuer Mahl­zeiten zuzu­be­reiten“. Für die Musik sorgte die Mutter, eine Geigerin. Jeden Abend, 15 Minuten vor Beginn des Kinder­fern­seh­pro­gramms, hieß es für die Kinder, auf der Hardån­ger­fiedel zu üben – einer der Violine ähnli­chen Kasten­hals­laute. Heute spielt sie auf einer klas­si­schen Guad­a­gnini-Geige von 1754 und ist amüsiert bei dem Gedanken, dass es Hardån­ger­fie­deln gibt, die wesent­lich älter sind als jede Stra­di­vari.

„Sehen Sie das Gebäude dort?“, fragt sie und zeigt auf einen neoklas­si­zis­ti­schen Bau. Dort, im Osloer Natio­nal­theater, stand sie mit ihrer Schwester Ragnhild am norwe­gi­schen Feiertag in Volks­tracht auf der Bühne, als sie sechs Jahre alt war – vor der könig­li­chen Familie. „Ich weiß nicht, wie wir geklungen haben. Wir sorgten uns, ob wir den Hofknicks schaffen!“ Jetzt zeigt sie auf ein Denkmal vor dem Theater. „Unser Urvater “, sagt sie ernst. Seine Dramen waren mehr als Schul­stoff. „Sie haben bei uns Frauen durchaus etwas bewirkt.“ Nur einen Stein­wurf vom Theater entfernt hat der Dichter gewohnt. Das nahe gele­gene Grand Café, in dem man Ibsens Stamm­tisch und seinen Original-Zylinder besich­tigen konnte, ist seit 2015 geschlossen.

Weiter geht’s in die Lyder Sagens gate 2, wo sich das Barratt Due Insti­tute of Music befindet. Keine furcht­ein­flö­ßende ehrwür­dige Akademie, sondern ein schmu­ckes, schlichtes Holz­haus in Rot, ein Ort „voll bis obenhin mit Glück“. Jeden Freitag brachte sie die Mutter aus Aurdal hierher: drei Stunden Auto­fahrt hin und drei zurück, bergauf und bergab durch den tief­dunklen Winter, der hier durchaus auch mal ein halbes Jahr andauern kann. Damals noch nicht im komfor­ta­blen Elek­tro­auto, das heute in Stan­dard ist. „Es ging nur um die Freude an der Musik, nie um Leis­tungs­druck oder Versa­gens­angst.“

Tatsäch­lich sind die Hier­ar­chien in Norwegen flacher als anderswo, steht man auf du und du mit dem Premier­mi­nister und hat trotz hoher Lebens­hal­tungs­kosten den Eindruck, das Geld sei gerecht verteilt. Ganz anders als zu Zeiten Edvard Munchs. Mörde­rinnen hat er gemalt und Ster­bens­kranke mit irrlich­ternden Augen. In psychi­sche Abgründe hat er geblickt, sie in düsteren Farben ausge­leuchtet und mit Der Schrei die Exis­tenz­angst auf Lein­wand gebannt. Und dennoch kommt Eldbjørg ins Schwärmen: „Diese Farben, diese Flui­dität der Bewe­gung!“

Ein Munch hängt auch im Rathaus, einem roten Klinker-Koloss mit zwei Türmen am Oslo­fjord, wo an jedem 10. Dezember die Verlei­hung des Frie­dens­no­bel­preises statt­findet. Als er 2012 an die EU ging, fragte man Eldbjørg, ob sie spielen könne. Sehr gerührt war sie da­rüber und erin­nert sich lebhaft, wie sich 23 Minis­ter­prä­si­denten samt Entou­rage, umgeben von Tausenden Jour­na­listen mit TV-Kameras, durch die riesige Eingangs­halle schoben, ohne einen Blick auf die Wand­ma­le­reien zu werfen, die wie ein Bilder­buch ein Stück norwe­gi­scher Geschichte erzählen: von den Wikin­gern über den Heiligen Hall­vard, der im 11. Jahr­hun­dert als Märtyrer starb, bis hin zur Arbei­ter­be­we­gung und die Nazi-Besat­zung.

Auch wenn Eldbjørg heute in Berlin lebt, kommt sie oft nach Norwegen. Schließ­lich leitet sie zusammen mit ihrer Schwester Ragnhild ein Kammer­mu­sik­fes­tival in Aurdal. Der rasante Wandel von Oslos Hafen während der letzten Jahre faszi­niert sie, insbe­son­dere die futu­ris­tisch verschach­telten Gebäude auf der Halb­insel Tjuv­holmen. Der Name war Programm: „Tjuv“ heißt Dieb – hier waren früher Gauner und Prosti­tu­ierte unter­wegs. Heute beherr­schen hippe Gale­rien und Shops das Bild sowie Bars, in denen Drinks im Labor­kittel serviert werden. Herz­stück des Vier­tels ist das Astrup Fear­nley Museum of Modern Art, dessen markantes Glas­dach sich wie ein Segel über drei Pavil­lons spannt. Nebenan: ein kleiner Bade­strand. „Egal, welche Tempe­ratur – wir gehen schwimmen!“, schmun­zelt Eldbjørg.

Leider aber muss sie jetzt weiter – nicht ohne einen Blick auf das Opern­haus in der Bjør­vika-Bucht zu empfehlen. Windig ist es hier, und die Luft riecht salzig. Wie ein auf Grund gelau­fener Eisberg liegt der Bau aus schnee­weißem Carrara-Marmor im Wasser. Dahinter ein abge­knickter Glas­kubus, das neue Munch Museum, das 2020 eröffnet wird. Vom schrägen Dach der Oper hat man freien Blick auf Stadt und Fjord – und Monica Bonvicinis Glas­skulptur Hun ligger, die mit ihren „aufge­türmten Eismassen“ aus dem Wasser ragt und Caspar Fried­richs Eismeer nach­emp­funden ist.

2012 ließ die Perfor­mance­künst­lerin in Oslos Ekeberg­park übri­gens einen über­di­men­sio­nalen Rahmen zurück, durch den die Osloer schreien können – wie in Munchs Bild. „Ich habe das aber noch nicht gebraucht“, lacht Eldbjørg.

Musik & Kunst

Munch-Museum Oslo
Munch-Museum Oslo ©VisitOSLO/​TordBaklund

Oper, Natio­nal­theater und Osloer Konzert­haus bieten all das, was es anderswo auch gibt. Inklu­sive Topor­chester – dem Wahl­münchner Mariss Jansons, der lange hier wirkte, sei Dank. Kirche und Jazz? In Oslo kein Wider­spruch. Die inno­va­tivsten Programme finden in der Kultur­kirche St. Jakob statt. Wo man hinsieht, Munchs Der Schrei: auf ­Kaffee­tassen, Taschen oder Handy­hüllen. Das Original hängt in der Natio­nal­ga­lerie. ­Einzig­artig auch Gustav Vige­lands bizarrer Park mit 212 Skulp­turen aus Bronze und ­Granit. Ein Muss für Oslo-Besu­cher: das ­Wikin­ger­schiffs­mu­seum mit Expo­naten aus dem ­9. Jahr­hun­dert.

Essen & Trinken

Restaurant Maaemo
Restau­rant Maaemo ©VisitOSLO/​AndersHusa

Egal in welchem Preis­seg­ment: Überall geht es zwanglos zu. Ob im Wirts­haus von 1640 auf dem Gelände des Eisen­werks Bærum am Rand von Oslo oder im coolen Maaemo, über­setzt: „Mutter Erde“, das drei Michelin-Sterne hat. Alter­na­tiven: das Street­food-Projekt ­Hitch­hiker im hippen Grüner­løkka, das auch als Prenz­l­berg von Oslo bezeichnet wird – alles­ ­organic und fair trade. Überall schicke Kaffee­bars – aber bitte keinen koffe­in­freien Kaffee bestellen! Erschwing­liche Preise im Arataka, das nach dem Geburtsort des Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gers García Márquez benannt wurde. Bier gibt’s im Olympen: 100 Sorten angeb­lich.

Über­nachten

Hotel TheThief
Hotel The Thief ©TheThief

Andy Warhol, im ­Foyer. Hier lohne sich der Kunst­raub, witzelt man über das Design Hotel The Thief, das seinen Namen nicht deswegen, sondern aufgrund der schmud­de­ligen Vergan­gen­heit Tjuv­hol­mens bekam, in dem es liegt. Billiger wohnt man im Cochs Pens­jonat mit Schloss­park um die Ecke. In der Nähe ­Camillas Hus, ein Bouti­que­hotel in einem Holz­haus im Schweizer Stil. Oslo Gulds­melden ist ein char­mantes Hotel im Norwegen-meets-Bali-Dekor, das Scandic Holmen­kollen Park ein archi­tek­to­ni­sches Meis­ter­werk mit Blick auf den Oslo-Fjord.

Fotos: VisitOSLO/Tord Baklund