In Annaberg endet Flotows „Martha“ politisch

Equal Pay Day mit Happy End

von Roland H. Dippel

7. Mai 2018

Nur in ganz wenigen Opern schlagen Hörer­herzen so hoch, dass man die Hits bei laufender Vorstel­lung inbrünstig mitsummt. Einer dieser Ever­greens ist „Martha“, die trotz aller skru­pu­lösen Bedenken seit 1847 noch immer volle Häuser macht, obwohl Fried­rich von Flotows Fetzer durchaus etwas gedank­li­ches Schmieröl in den Versen Fried­rich Wilhelm Rieses hätte vertragen können.

Zum 125-Jahre-Jubi­läum des Eduard-von-Winter­stein-Thea­ters in Anna­berg-Buch­holz umschiffen und ihre Ausstat­terin Kris­tina Böcher alle Fallen dieses bieder­mei­er­li­chen Rosen­kriegs. Sie machen kein allzu großes Drama aus der Schmon­zette vom gelang­weilten könig­li­chen Edel­fräu­lein, das als vorgeb­liche Magd in pres­tige- und stan­des­be­dingten Verwick­lungen Herz und Hand verliert. Und sie haben enormen Erfolg damit, indem sie jeden der vier Akte einem anderen Genre zuspielen.

Zuerst wirkt alles wie eine Remi­nis­zenz an die seit Jahr­zehnten von Thea­tern über­nom­mene „Martha“-Inszenierung von . Doch dann wird alles ganz anders.

Die gerade Wagners „Ring“ in Odense insze­nie­rende Jasmin Solfag­hari kennt genauso alle Kniffe des Komö­di­en­me­tiers. Im adeligen Boudoir, aus dem sich Lady Harriet mit ihrer ideen­rei­chen Vertrauten Nancy in den alter­na­tiven Iden­ti­täten einer „Martha“ bzw. “Julia“ Rich­tung Markt von Rich­mond trollt, wirkt das erst wie eine Remi­nis­zenz an die seit Jahr­zehnten von mehreren Thea­tern über­nom­mene „Martha“-Inszenierung von Loriot. Doch dann wird alles ganz anders. Die Glei­chung „Mägde­markt“ gleich „Heirats­markt“ gleich „Arbeits­markt“ wird gründ­lich auf die Faktoren Sympa­thie, Konflikt­be­wäl­ti­gung und emotio­nale Zukunfts­fä­hig­keit abge­klopft. Denn auf dem Markt, wo sich die Mägde verdingen, geht es nicht nur um Arbeit, sondern auch um Privates. Zum Beispiel bei den verwaisten Halb­brü­dern Plum­kett und Lyonel, die welt­fremd und uner­fahren genug sind, gerade die zwei etwas über­zogen ausstaf­fierten Möch­te­gern-Mägde anzu­werben. Die Jungs wirken herzig progressiv und leben in einem liebens­werten Verhau aus Depot von selbst­pro­du­zierten Garnen und Wohn­zimmer, was ihnen beim stak­sigen Anban­deln nicht recht weiter­hilft.

Nach dem dritten Akt, hier das opulente Inter­mezzo wie aus einem Adels­roman, zeigt das Edel­fräu­lein Flagge. Wenn sie mit der Eins-zu-Eins Ablich­tung der Dienst­bo­ten­börse, dem Ort ihrer ersten Begeg­nung um ihren Lyonel kämpft, gewinnt sie dem Ganzen sogar eine poli­ti­sche Kompo­nente ab. Die Kolle­ginnen, längst zu Ehefrauen (oder legi­timen Haus­an­ge­stellten) aufge­stiegen, machen Druck und fordern, schöner Gruß vom „Equal Pay Day“, Lohn­gleich­heit. Die Demo-Runde endet mit einem Vergleich, der die Bezie­hungen zwischen arbeits­su­chenden Frauen und rattigen Arbeit­ge­bern nicht ernst­lich erschüt­tert.

Die Solisten profi­tieren alle­samt davon, dass man sie listig von den szeni­schen Rollen­kli­schees befreit

Heraus­ge­kommen ist ein spiel­in­ten­siver Thea­ter­abend, dem der akti­ons­süch­tige und von Uwe Hanke treff­si­cher studierte Chor und Jason-Nandor Tomory als splee­niger Lord Tristan lust­voll mehrere Krön­chen aufsetzen. GMD favo­ri­siert mit der Erzge­bir­gi­schen Phil­har­monie Aue lieber die aufju­belnden als die schmel­zenden Perlen der Partitur. Die Solisten profi­tieren alle­samt davon, dass man sie listig von den szeni­schen Rollen­kli­schees befreit. Bei den Damen fällt die eindi­men­sio­nale Grenz­linie zwischen quir­liger Freundin und der von Stan­des­be­wusst­sein aufge­rie­benen Lady: Von Anna Bineta Diouf hätte man auch gerne das gestri­chene Jagd­lied gehört und gehört als Plum­kett ganz bestimmt nicht zu den Guts­herren, die ihre Feier­bande mit Dosen­bier vor der Glotze verbringen.

An der Entwick­lung der Bezie­hungs- und Liebes­fä­hig­keit des Haupt­paares zeigt sich der innere Gehalt dieser Auffüh­rung am deut­lichsten: Made­laine Vogt und Frank Unger liegt viel mehr an den Seelen­tönen unter Flotows dahin­per­lenden Komö­di­en­tönen als am Klamauk. Hier wird deut­lich, welcher Anstren­gung es oft bedarf, sich aus den Fesseln des Altver­trauten zu befreien und seinem Glück eine echte Chance zu geben. Die schönen Melo­dien um die berühmte „Letzte Rose“ gewinnen also mehr Glaub­haf­tig­keit. Nach zwei unter­halt­samen Stunden kommen mensch­liche und wirt­schaft­liche Chan­cen­gleich­heit in bestes Einver­nehmen. Viel Applaus für ein mitrei­ßendes Ensemble in Sonn­tags­laune.

Wieder am Mi 02.05. /19:30 – So 06.05./15:00 – Do 10.05./19:30 – So 13.05./15:00 – https://​www​.winter​stein​-theater​.de – Telefon 03733–1407131

Fotos: Christian Dageförde/BUR-Werbung