Bayerische Staatsoper

Es lebe die Opulenz!

von Maria Goeth

25. Mai 2017

Ein wabernder, pulsierender Venus-Fleischberg wölbt sich über die halbe Bühnenbreite. Seine gedunsenen Wülste sondern großflächig Sekrete ab. Es ist ein Bild, das anekelt und den Überdruss des Helden an dieser Umgebung plausibel macht.

Ein wabernder, pulsie­render Venus-Fleisch­berg wölbt sich über die halbe Bühnen­breite. Seine gedun­senen Wülste sondern groß­flä­chig Sekrete ab. Es ist ein Bild, das anekelt und den Über­druss des Helden an dieser Umge­bung plau­sibel macht. Es ist aber auch ein Bild, das in seiner Über­fülle und Plaka­ti­vität faszi­niert und eine eigen­tüm­liche, verfüh­re­ri­sche Ästhetik entwi­ckelt. Anhand der aktu­ellen „Tannhäuser“-Inszenierung von Romeo Castel­lucci an der Baye­ri­schen Staats­oper hat sich unsere Autorin Gedanken zur neuen Bilder­sprache in der Oper und zur Zukunft des Regie­thea­ters gemacht.

Über­satt hat man sich in den vergan­genen Jahren an der kargen, kahlen Optik des perso­nen­zen­trierten Regie­thea­ters gesehen. Und schon wieder öffnete man die Saaltür – der Vorhang war längst abge­schafft – zu einer farb- und freud­losen, weit­ge­hend unmö­blierten, grim­migen, geome­tri­schen Schwarz-Weiß-Welt. Es regierte der graue Anzug – oder die Nackt­heit. Die einzige Unmä­ßig­keit lag in zuweilen groß­flä­chig über weiße Wände verteilten Mengen Thea­ter­bluts oder unmo­ti­viert verschmierten Bühnen­ex­kre­menten. Kein Platz für Bunt­heit. Kein Platz für echte Bild­ge­walt. Der Zuschauer sollte ganz auf die Aktion geworfen sein. Auf die bedeu­tungs­schwere Inter­ak­tion der Darsteller. Mit Erschre­cken bemerkte man im ablen­kungs­freien Raum die Absur­dität eines 300 Kilo schweren Lohen­grins oder einer bewe­gungs­un­wil­ligen Prima­donna. Plötz­lich sollten sie schön und jung sein, die Sänge­rinnen und Sänger. Und spielen sollten sie können wie ihre Kollegen vom Sprech­theater. Ob das hohe F bäuch­lings und über­hän­gend über­haupt noch zu singen sei, war ein immer­wäh­render Kampf zwischen musi­ka­li­scher und szeni­scher Leitung.

Es war keine schlechte Zeit. Aus Rampen wurden Bühnen­räume – leere zwar, aber tapfer und bedeu­tungs­voll durch­schrit­tene. Zuweilen wurde es eintönig, saß man doch oft gut und gerne 30 Meter vom Geschehen entfernt und konnte die fili­grane Regie­ar­beit in der linken Hand der Prot­ago­nistin nur einge­schränkt goutieren.

Am Sonntag hatte an der Baye­ri­schen Staats­oper der neue „Tann­häuser“ in der Regie von Première. Seine Bild­mäch­tig­keit steht für einen aktu­ellen Trend. Castel­lucci kommt von der Bildenden Kunst, und viele seiner Szenen erin­nern an Gemälde: Die nackt­brüs­tige, lang­haa­rige Amazonen-Armada im Venus­berg, die mit ihren pech­schwarzen Jagd­bögen erst das Bild eines gewal­tigen Auges, dann eines Ohres mit ihren Pfeilen beschießt. Die Pilger­schar, die einen gigan­ti­schen Gold­klumpen nach trägt, um mit indi­vi­du­ellen kleinen Gold­klumpen zurück­zu­kehren. Die Wart­burg, die selbst zum Orga­nismus wird, indem sich ihre riesigen, wehenden Gaze-Schleier perma­nent bewegen, neu sortieren, Räume schaffen. Oder die visu­elle Über­la­ge­rung dreier Zeit­ebenen im dritten Aufzug: Die noch „lebenden“ Sänger im Vorder­grund, ihre zuneh­mend verwe­senden Leichen aufge­bahrt in der Mitte und völlig ad absurdum getriebe Zeit­an­gaben („Hier vergehen hundert Millionen Milli­arden Milli­arden Milli­arden Jahre“ etc.) im Hinter­grund. Zwar darf das Thea­ter­blut auch bei Castel­lucci nicht fehlen, doch kreiert es aus einem Rohr auf eine kolos­sale Dreh­scheibe gespritzt im symme­tri­schen Zerfließen eine form­voll­endete Blut­sonne. Dass da zwischen­durch ein echtes Pferd über die Bühne trap­pelt, fällt kaum mehr auf.

Foto: Wilfried Hösl

Das Auge ist zurück. Die Bild­macht ist zurück und viel­leicht so stark wie nie. Das hat sich an der Baye­ri­schen Staats­oper noch vor der Inten­danz Bachler mit den poppigen Barock-Comic­welten unter David Aldens Regie ange­kün­digt, später mit Produk­tionen wie Hermann Nitschs vom Bild her gedachter Insze­nie­rung von Messiaens „Saint Fran­çois d’As­sise“ fort­ge­setzt und natür­lich im Neo-Zirkus – inklu­sive 3D-Brillen und einem schlitt­schuh­fah­renden Opern­chor – etwa in „Turandot“ der fabel­haften Thea­ter­gruppe . Doch im Gegen­satz zu Castel­lucci gelingt letz­teren ein unge­hemmter Fluss zwischen den Bildern. Das Bild wird Prozess.

Dagegen versagt Castel­lucci. Zwischen Gemälde und Gemälde schafft er keinen Über­gang. Statt Entwick­lung herrscht Stagna­tion. So schießen etwa die Amazonen rund 15 Minuten lang in fast iden­ti­scher Weise auf ihr Ziel. Der Venus-Fleisch­klumpen wabert monoton. Der Chor ist eine entin­di­vi­dua­li­sierte Masse. Um Perso­nen­füh­rung hat sich der Italiener nicht geschert. Die Sänger könnten eben­sogut von der Seiten­bühne singen. Da wirkt eine – stimm­lich wie immer zuver­lässig wunder­bare – im Herum­stehen fast geal­tert oder hemmt die mangelnde Agilität einen zwar stimm­starken, aber für einen Tann­häuser zu wenig diffe­ren­zierten und zu Beginn etwas näselnden . Nur bei Chris­tian Gerhaher passt die Statik beinahe zu dessen faszi­nie­render musi­ka­li­scher Neuschöp­fung der Rolle des Wolfram von Eschen­bach. Mit großer Intel­li­genz, radikal vom Text her gedacht und der Klar­heit und Lyrik eines Lied­sän­gers erschafft er einen gerade dadurch starken, berüh­renden Wolfram, der kaum einer Aktion bedarf.

crescendo-Kolum­nist hat in seinem Artikel „Radikal umdenken!“ den Irrwitz eines zwang­haften Regie­thea­ters entlarvt, in dem nahezu patho­lo­gisch jedem Alten eine neue Aussage über­ge­stülpt wird… ob die Vorlage und deren neues Gewand wollen oder nicht! Brüg­ge­mann sieht einen Ausweg in einem rigo­rosen Hinwenden zu zeit­ge­nös­si­schen Opern­kom­po­si­tionen. Das ist eine Lösung, ja! Tatsäch­lich zeichnet sich in den bild­ori­en­tierten Regie­ar­beiten aber bereits eine Abkehr von der hyste­ri­schen Neukon­zept-Verge­wal­ti­gung alter Stoffe ab. Die nächste Wagner-Oper muss nicht im konkreten und dadurch zuweilen trivialen Trump-Tower oder in einer Casting-Show spielen. Über kluge, opulente Bebil­de­rung kann eine andere, packende Art der Abstrak­tion geschaffen werden. Zurück zu einer neuen Sinn­lich­keit! Nur sollte dabei nicht vergessen werden, Bild und Bild auch klug und drama­tur­gisch packend zu verfüh­re­ri­scher Eska­la­tion zu verbinden – denn das konnte Regie­theater ja eigent­lich immer schon ganz gut!

Fotos: Wilfried Hösl