Thriller
von Rüdiger Sturm
14. Februar 2020
Katie Mitchell setzt an der Bayerischen Staatsoper unter dem Titel Judith Béla Bartóks einzige Oper Herzog Blaubarts Burg mit dem Konzert für Orchester in Szene.
Katie Mitchell setzt an der Bayerischen Staatsoper in München unter dem Titel Judith Béla Bartóks einzige Oper Herzog Blaubarts Burg mit dem Konzert für Orchester in Szene.
In die Welt der Märchen und Folklore tauchte der junge Béla Bartók in seiner einzigen Oper Herzog Blaubarts Burg thematisch und musikalisch ein. Das war im Jahr 1911. Generator der Massenmythen sind im 21. Jahrhundert indes Kino und Fernsehen. Und so ist es eigentlich folgerichtig, wenn die britische Regisseurin Katie Mitchell beide Welten in ihrer Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper zusammenführt. Und gleichermaßen nachvollziehbar ist es, wenn dieser Ansatz leidenschaftlich bejubelt wird.
Feministische Interpretation des Blaubart-Stoffes
Mitchell stellt sich erklärtermaßen in die feministische Interpretation des Blaubart-Stoffes, des wohl berüchtigtsten Frauenmörders der Märchentradition.
Als Kommissarin lässt Katie Mitchell in ihrer Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper Judith in das Epizentrum männlicher Gewalt vordringen.
(Foto und Foto oben: © Wilfried Hösl)
Aus der Protagonistin Judith macht sie eine Kommissarin. Diese dringt mit klarer Strategie ‚undercover« in das Epizentrum männlicher Gewalt vor. Sie eliminiert den Täter und avanciert zur Retterin für ihrer gefangenen Leidensgenossinnen – während sie in der ursprünglichen Erzählung selbst der Rettung durch ihre Brüder bedarf.
Rückgriff auf Mittel des Films
Das ist als klassischer Thriller ausgelegt – und so ist es nur folgerichtig, wenn Mitchell auch ostentativ auf Mittel des Films zurückgreift. Dem Einakter ist Bartóks Konzert für Orchester aus dem Jahr 1943 vorangestellt, das auch Motive der Oper verwendet.
Filmische Impressionen umreißen die Vorgeschichte von Herzog Blaubart in Katie Mitchells Inszenierung.
(Foto: © Wilfried Hösl)
Es gerät hier zum regelrechten Soundtrack. Denn es wird kombiniert mit filmischen Impressionen, die die Vorgeschichte des Serienkillers und seiner Kontrahentin umreißen.
Grant Gees inszeniertes Leinwandgeflirr
So packend diese Konzeption im Prinzip auch wäre. Es entsteht daraus nicht unbedingt ein kongeniales Zusammenwirken von Bild und Musik. Denn das von Grant Gee inszenierte Leinwandgeflirr beschwört zwar phasenweise eine bedrückende Großstadtatmosphäre. Aber in der Wahl seiner Motive bleibt es banal-beliebig – erzählerisch und visuell. Wer sich der Mittel des Kinos bedient, sollte diese auch ausschöpfen, anstatt auf der Ebene eines Fernsehspiels oder Musikvideos zu bleiben. Wobei ja selbst in diesen Formaten wesentlich originellere und bildstärkere Visionen zu sehen sind.
Durch eine Reihe von guckkastenartigen Räumen kämpft sich die Heldin in den Folterkerker vor.
(Foto: © Wilfried Hösl)
Dieses – einzige – Manko teilt die Operninszenierung nicht, in der sich die Heldin durch eine Reihe von aufeinanderfolgenden, guckkastenartigen Räumen (Szenenbild: Alex Eales), Schritt für Schritt in den Folterkerker vorkämpft. Indes stellt sich die Frage, ob die Oberflächenreize des Genres auch der Komplexität der eigentlichen Oper gerecht werden.
Trips in die düsteren Schichten unseres Bewusstseins
Das Libretto (Béla Bálazs) und die innigeren Passagen der Musik deuten auf eine wesentlich obsessiv-zwiespältigere Beziehung zwischen beiden Protagonisten. Von den Intentionen Bartóks, der „das Bild einer modernen Seele“ malen wollte, ist nicht viel zu spüren. Wenn man der Lesart István Kertész« Glauben schenken will, reflektiert Blaubart vielmehr den Komponisten selbst, der die Geheimnisse seiner Seele nicht preisgeben möchte. Und wer die legendären Beispiele des Thrillers Revue passieren lässt, versteht, dass diese nicht auf schlichte Gut-versus-Böse-Schemata setzen, sondern immer auch Trips in die düsteren Schichten unseres Bewusstseins bieten.
Ein mitreißender Opernabend
Doch wenngleich derlei Möglichkeiten unausgelotet bleiben, so bietet diese neue Version nichtsdestoweniger einen mitreißenden Opernabend. Was zunächst an den Sängern liegt.
Nina Stemme mit dramatischem Sopran und John Lundgren mit tiefem Bariton entwickeln ein sogartiges Zusammenspiel.
(Foto: © Wilfried Hösl)
Nina Stemme verleiht ihrer Ermittlerin mit ihrem dramatischen Sopran Kraft und Würde. In der Souveränität und Nuanciertheit ihrer Interpretation wirkt sie auch nie ansatzweise wie eine Opferfigur, aber zugleich verletzlich. Dank John Lundgrens wuchtigem, tiefem Bariton bekommt sein Blaubart eine düstere, fast tragische Schwere. So entwickelt sich nahezu sogartig ein Zusammenspiel zweier einander ebenbürtiger, durch ein brutales Geheimnis verbundener Personen.
Bringt den Reichtum der verschiedenen Klangfarben zur Entfaltung: Oksana Lyniv am Pult der Bayerischen Staatsoper
(Foto: © Oleh Pavliuchenkov)
Ihre Konfrontation wird mit einer perfekt kontrollierten Dynamik durch ein Orchester vorangetrieben, das seinen Sängern Raum zur Entfaltung lässt und effektvoll rhythmische Akzente setzt. Dirigentin Oksana Lyniv wirkt gewissermaßen wie die eigentliche Drahtzieherin. Sie bringt den Reichtum der verschiedenen Klangfarben zur Entfaltung, lässt die folkloristischen Elemente der Komposition klar erkennen und treibt pointiert das Geschehen bis hin zu seiner letzten Zuspitzung. Der donnernde Applaus am Ende ist nur konsequent.
Informationen zu weiteren Aufführungen: www.staatsoper.de
Bis 10. März 2020 ist die Inszenierung zudem auf STAATSOPER.TV zu sehen.
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