Von Samt und Saiten

von Barbara Schulz

24. Juni 2020

Nils Mönkemeyer und William Youn spielten am 21. Juni 2020 das erste InselKonzert der Saison im Augustiner-Chorherrenstift auf der Insel Herrenchiemsee.

und William Youn spielten am 21. Juni 2020 Insel­Kon­zert der Saison im Augus­tiner-Chor­her­ren­stift auf .

Stern­stunden fallen nicht vom Himmel. Oder doch? Tatsäch­lich hängt der Himmel über dem Chiemsee ein wenig tief. Nah fühlt man sich ihm jedoch während der Über­fahrt nach Herren­chiemsee, weil – ja, weil jenes vertraute, jetzt umso deut­li­cher spür­bare kleine Flim­mern im Bauch kurz vor Theater, Oper, Konzert sich einstellt. Endlich. Nach so vielen Wochen verord­neter Kunst-Quaran­täne wieder ein Konzert. Mit Musi­kern, ohne Bild­schirm. Ein Anfang. Hoffent­lich.

Der barocke Bibliothekssaal im einstigen Kloster der Augustinermönche auf der Insel Herrenchiemsee
Der von dem Maler und Stucka­teur Johann Baptist Zimmer­mann gestal­tete barocke Biblio­theks­saal im eins­tigen Kloster der Augus­ti­ner­mönche auf der Insel Herren­chiemsee

Im Biblio­theks­saal des Augus­tiner-Chor­her­ren­stifts kommt man wieder im echten Leben an. Das Stim­men­ge­wirr vor und im Saal fehlt. Still ist es – wie auch nicht? Ein Flügel, ein Noten­ständer, darum herum ein paar Stühle, Menschen mit Masken, im vorge­schrie­benen Sicher­heits­ab­stand. So geht Konzert also jetzt. Musiker von Welt­rang spielen derzeit vor gerade mal gut zwanzig Zuschauern. Mönke­meyer und Youn (Foto oben: © Irène Zandel) tun es zwei Mal an diesem Tag – macht etwa 50 Zuhörer.

Der erste Bogen­strich

Nils Mönke­meyers erster Bogen­strich auf der Brat­sche: purer Samt. Liegt es daran, dass es der erste „echte“ Ton seit Wochen ist? Verlässt man eine gute Stunde später den Raum so beseelt, weil es das erste „echte“ Konzert war? Nein, all das, was zwischen Anfang und Ende passiert ist, wäre in dieser Wucht auch so geschehen, hätte es weder Shut­down noch Schutz­maske gegeben.

Die Unmit­tel­bar­keit

Nils Mönke­meyer und William Youn, beide künst­le­ri­sche Leiter der Insel­Kon­zerte 2020, spielen ihre feine, be- und aufrüh­rende Stück­aus­wahl mit so viel Zart­heit, Verve und Hingabe, dass jetzt erst zu spüren ist, was über all die Wochen gefehlt hat – die Unmit­tel­bar­keit, die Empfind­sam­keit, die Zart­heit, das Aufbäumen, das Begehren in der Musik.

Nils Mönkemeyer an der Bratsche und William Youn am Klavier
Bezau­bern mit lyri­schem Spiel: Nils Mönke­meyer an der Brat­sche und William Youn am Klavier
(Foto: © BS)

Zurück zum ersten Ton: Er trifft das Innerste. Mendels­sohn-Bartholdys Lied Suleika, im Anschluss das Schilf­lied, hier ohne Worte und doch beredt in der Bear­bei­tung für Brat­sche und Klavier. Mehr Romantik geht nicht. Dabei lässt Mönke­meyer die Brat­sche nicht weinen, sondern gibt der Musik ihren Raum, erzählt nur. William Youn ist nicht einfach Beglei­tung, sondern gestaltet mit Mönke­meyer die Atmo­sphäre, die Dichte, unge­heuer lyrisch beide – Frage, Antwort, Gespräch.

Melan­cholie und Tänzelei

Die Einfüh­rung zu den Werken über­nimmt so lebendig wie anschau­lich Dr. Wolf-Dieter Seif­fert, Vorsit­zender der „Freunde der Insel­kon­zerte auf Herren­chiemsee e.V.“. Zum zweiten Programm­punkt erklärt er, Franz Schu­berts a‑Moll-Sonate für Arpeg­gione und Klavier vom November 1824 atme das Glück und die Sehn­sucht nach den zurück­lie­genden Sommer­mo­naten im ehemals unga­ri­schen Zselíz. Und weiter, dass das von dem bedeu­tenden Wiener Gitar­ren­bauer Johann Stauffer erfun­dene Hybrid­in­stru­ment Gitarre-Violon­cell, wie er selbst es nannte, Schu­bert nach­haltig beein­druckt haben müsse, nutzte er doch den immensen Tonum­fang des Instru­ments weid­lich aus, berei­chert um gezupfte Töne und Akkorde. Und Mönke­meyer lotet Tiefen und Höhen aus, sonor und geschmeidig, setzt gezupfte Takte wie Einsprengsel in ein Bild. Youn skiz­ziert Melan­cholie, dann wieder leichte Tänzelei so zurück­hal­tend wie eindring­lich.

Nils Mönkemeyer an der Bratsche und William Youn am Klavier
Wech­seln mühelos zwischen Raserei und singendem Passagen: Nils Mönke­meyer an der Brat­sche und William Youn am Klavier
(Foto: © BS)

Schließ­lich – und beson­ders erfreu­lich – die FAE-Sonate, ein in der Musik­ge­schichte recht seltener Fall einer Gemein­schafts­kom­po­si­tion von Albert Diet­rich (1. Satz), (2. und 4. Satz) und (3. Satz), geschrieben im Oktober 1853 für ihren gemein­samen Freund, den Star­geiger Joseph Joachim. „Die drei Tonbuch­staben F – A – E stehen dabei für das Lebens­motto des Jung­ge­sellen Joachim: ‚frei, aber einsam«, und diese Töne schauen bei Diet­rich und Schu­mann in nahezu jedem Takt um die Ecke, während Brahms in seinem furiosen Scherzo das Motto gera­dezu meidet und moti­visch eher an den beacht­li­chen ersten Satz von Albert Diet­rich anknüpft“, so Seif­fert.

Hinrei­ßendes Tempe­ra­ment

Eine Entde­ckung ist vor allem Albrecht Diet­rich. Sein Allegro ist von so hinrei­ßendem Tempe­ra­ment und Tempo, dass das Thema inhalt­lich nicht schmerz- und zugleich lust­voller darge­stellt werden kann. Für beide Instru­mente eine echte Heraus­for­de­rung, sowohl der mitrei­ßenden Tempi, als auch der entspre­chenden tech­ni­schen Akro­batik wegen. Doch wech­seln die Musiker mühelos zwischen Raserei und tänzelnden, mitunter singenden Passagen – das emotio­nale Wech­selbad zwischen gren­zen­loser Frei­heit und wehmü­tiger Einsam­keit eben. William Youn unter­malt, fordert, zise­liert am Klavier, Mönke­meyer modu­liert – griffig, ruppig, geschmeidig, spröde, explosiv und ja, samtig eben.

Rückfahrt über den Chiemsee
Rück­fahrt in der Abend­däm­me­rung – beseelt vom Spiel der beiden Musiker
(Foto: © BS)

Leider hat der Raum seine Reso­nanz-Tücken – ein voller Saal oder ein großer Teppich unter dem Flügel hätte den Über­schuss an Klang schlu­cken können. Zum Glück war die Lust am Auftritt und am Spiel vor Publikum stärker als ein kleines Akus­tik­pro­blem, das letzt­lich aber nur daran erin­nert hat, dass sich hier Covid zum Trotz endlich wieder Musik und Menschen getroffen haben.

Weitere Insel­Kon­zerte auf Herren­chiemsee:
Am 5. Juli 2020 spielt der Pianist Alexej Gorlatch Werke von Beet­hoven und Chopin
Am 16. August 2020 spielen die Klari­net­tistin , der Brat­schist Nils Mönke­meyer und der Pianist William Youn Werke von Mozart und Schu­mann
Am 13. September 2020 spielt der Pianist William Youn Sonaten von Schu­bert
Am 11. Oktober 2020 spielt das Eliot Quartet Werke von Beet­hoven und Schu­mann.

Mehr zu den Insel­Kon­zerten auf Herren­chiemsee unter: www​.insel​kon​zerte​-chiemsee​.de