Van-Cliburn-Klavierwettbewerb

Pianis­ti­scher Acht­tau­sender

von Dorothea Walchshäusl

29. Mai 2017

Er gilt als einer der anspruchsvollsten Klavier-Wettbewerbe weltweit und wird in einem Atemzug mit dem Tschaikowsky- oder Chopin-Wettbewerb genannt.

Er gilt als einer der gewich­tigsten und anspruchs­vollsten Klavier-Wett­be­werbe welt­weit und wird in einem Atemzug mit dem Tschai­kowsky- oder Chopin-Wett­be­werb genannt. Alle vier Jahre findet der Van-Cliburn-Wett­be­werb in Texas statt, ein pianis­ti­scher Acht­tau­sender, dessen Erklim­mern zumeist eine erfolg­reiche Karriere bevor­steht.

Dabei ist die „ Inter­na­tional Piano Compe­ti­tion“ explizit kein Wett­be­werb mit Meis­ter­klassen-Atmo­sphäre, ausführ­li­chen Bera­tungs­ge­sprä­chen und gemein­schaft­li­chen Begeg­nungen der Teil­nehmer. „Im Zentrum der Cliburn Compe­ti­tion steht die Karrie­re­för­de­rung“, sagt der aktu­elle Präsi­dent des Wett­be­werbs, der Kana­dier Jacques Marqis schlicht. Das heißt? „Bei uns wird all das verlangt, was wichtig ist, um auf dem Markt zu bestehen. Dazu brau­chen die Teil­nehmer ein gewal­tiges Gepäck.“ Jenseits des rein pianis­ti­schen Vermö­gens, bril­lanter Technik, berüh­render Musi­ka­lität und schlüs­siger Inter­pre­ta­ti­ons­gabe, benö­tigen Pianisten für den Aufstieg nach oben noch ganz andere Ressourcen. Sie müssen über ein enormes Reper­toire verfügen und dieses jeder­zeit auf höchstem Niveau abruf­be­reit haben. Sie müssen in der Lage sein, sich an immer wieder neue Bühnen, Instru­mente und Settings anzu­passen. Ist all das gegeben, brau­chen sie schluss­end­lich vor allem eines: Starke Nerven. Ist das nicht eigent­lich unmensch­lich, der ganze Druck, der Konkur­renz­kampf, das stän­dige Messen? „That’s life“, sagt Jacques Marquis nur, zuckt mit den Schul­tern und lacht. Schließ­lich geht es beim Van Cliburn-Wett­be­werb nicht um eine künst­lich behü­tende Aura, sondern um die Vorbe­rei­tung auf eine Welt­kar­riere. Und für eine solche muss man gewappnet sein.

Wenn dieser Tage der 15. Van Cliburn Klavier-Wett­be­werb startet, haben Pianisten aus aller Welt die ersten Hürden im Rennen um den Sieg längst hinter sich gebracht. Schon zu Beginn des Jahres fanden an insge­samt sieben Orten soge­nannte „Scree­ning Audi­tions“ statt, in denen sich Musiker für die Teil­nahme am Haupt­wett­be­werb quali­fi­zieren konnten. Insge­samt 290 Pianisten im Alter von 18 bis 30 Jahren haben sich in diesem Jahr für die Audi­tions beworben, unter ihnen wurden 146 ausge­wählt, die in 40-minü­tigen Reci­tals einen Eindruck von ihrem Können vermit­teln konnten. Das Beson­dere – nicht nur in dieser Vorrunde, sondern auch in nahezu allen weiteren Runden: Die Musiker wählen ihr Programm eigen­ständig und ohne jegliche Vorgaben aus. „Das ist hoch­in­ter­es­sant, wie die einzelnen Teil­nehmer ihre Programm gestalten“, so Marquis. Man sehe hier bereits sehr viel und erlebe ganz unter­schied­liche Persön­lich­keiten.

Ein Tag Anfang Januar an der Hoch­schule für Musik in . Auch hier finden ebenso wie in London, , Moskau, , und Fort Worth die Scree­ning Audi­tions für die Van-Cliburn-Compe­ti­tion statt, auch hier herrscht eine gespannte Atmo­sphäre auf den Gängen, verziehen sich die Kandi­daten mit konzen­trierter Miene in die Übezimmer und dreht sich alles um jene vierzig Minuten, die jedem auf der kargen Bühne im Konzert­saal der Hoch­schule zur Verfü­gung stehen, um die Jury von sich zu über­zeugen. Einer der Teil­nehmer ist . Er kennt den Auffüh­rungsort schon lange, schließ­lich ist er Student in Hannover. „Das Eigen­ar­tige an Wett­be­werben ist, dass man spielt, um sich bewerten zu lassen“, sagt der junge Mann mit den feinen Gesichts­zügen und den dunklen Haaren. Das sei ihm eigent­lich zuwider und auch der ganze Wett­be­werbs­ge­danke wider­spreche ihm. Und doch hat er sich hier beworben – „um sich einer brei­teren Öffent­lich­keit zu präsen­tieren, Publikum zu gewinnen und Erfah­rung zu sammeln“. Und letzt­lich natür­lich, um nach Texas einge­laden zu werden. „Der Van-Cliburn-Wett­be­werb ist immer noch einer der größten und bekann­testen Wett­be­werbe welt­weit“, sagt Häring und dieses Re-nommee habe ihn dazu bewogen, hier teil­zu­nehmen.

Erst­mals fand die Van-Cliburn-Compe­ti­tion im Jahr 1962 statt. Damals wurde sie zu Ehren des Pianisten Van Cliburn ins Leben gerufen, der 1958 den Tschai­kowsky-Wett­be­werb gewonnen hatte und danach zum wahren Super­star der Musik­szene mutierte. Schon damals lautete das erklärte Ziel des Wett­be­werbs: „Karrieren zu fördern und Musik zu verbreiten“. Daran hat sich laut Jacques Marquis bis heute nichts geän­dert. „Unsere Aufgabe ist es, die wirk­lich heraus­ra­genden, einzig­ar­tigen Musiker zu finden und sie gezielt zu fördern“, so Marquis. Ist ein erster Preis­träger gefunden, so wird diesem in den folgenden drei Jahren nach Gewinn der Compe­ti­tion ein umfang­rei­ches Förder­pro­gramm zuteil. Über 300 orga­ni­sierte Konzerte stehen auf dem Programm, außerdem wird der Gewinner in allen Berei­chen unter­stützt und begleitet, die für eine Karriere auf dem inter­na­tio­nalen Markt von Bedeu­tung sind. „Wir helfen den Musi­kern bei allem, was sie brau­chen, damit sie Erfolg haben. Wir kümmern uns um Promo­tion, um gute Fotos und eine attrak­tive Home­page, wir vermit­teln den Künst­lern Experten und musi­ka­li­sche Mentoren, helfen ihnen dabei, ihre Übezeiten zu orga­ni­sieren und neues Reper­toire zu erar­beiten“, sagt Marquis. Dabei seien er und seine Kollegen „freund­liche Agenten“, wie Marquis sagt – Wegbe­gleiter für einen abge­steckten Zeit­raum, die dem Preis­träger ebenso wachsam wie erfahren und enga­giert zur Seite stehen.

Von den Scree­ning Audi­tions zur Sieger­eh­rung in Texas ist es ein langer Weg und je höher die Teil­nehmer steigen, desto dünner wird die Luft im Olymp der Klavier­welt. Im Konzert­saal in Hannover betritt gerade die Bühne, eine rumä­ni­sche Pianistin, 26 Jahre jung, die dunklen Haare hat sie im Nacken zusam­men­ge­bunden, die Augen konzen­triert auf den Flügel gerichtet. Ein kurzes Nicken in Rich­tung Publikum, dann setzt sie sich ans Instru­ment, atmet tief durch, schließt die Augen und beginnt. Erst erweckt sie die Partita Nr. 4 in D‑Dur von Bach zum Leben, trans­pa­rent und mit funkelnder Bril­lanz durch­leuchtet, voll Vita­lität und sang­li­cher Melodik. Dann folgt das zweite Stück ihres Programms und Bercu betritt eine ganz andere Welt. Mit powernder Virtuo­sität durch­dringt sie als agile Gestal­terin den ersten Satz von Prokof­jews Sonate Nr. 7 in B- Dur, lässt die Musik klang­ge­waltig trium­phieren, bevor sie im zweiten Satz lyrisch schwe­bend inne­hält und anmutig tänzelt, nur um sich zum furiosen Finale noch einmal mehr zu stei­gern. Herrschte auf den Tribünen im Saal eben noch gebannte Stille, so brandet nun begeis­terter Ap-plaus auf. Die Pianistin verbeugt sich lächelnd, kurze Pause, dann folgen die nächsten Kandi­daten von der Liste.

Geht das über­haupt? Eine musi­ka­li­sche Inter­pre­ta­tion jenseits der tech­ni­schen Krite­rien abschlie­ßend zu beur­teilen und zu verglei­chen? Ist eine objek­tive Bewer­tung über­haupt möglich? Oder verbleibt nicht immer auch ein wesent­li­cher subjek­tiver Teil beim Einschätzen einer Leis­tung? Für Jacques Marquis ist die Antwort klar: „Eine objek­tive Entschei­dung ist absolut möglich.“ Wichtig hierfür seien eine breit aufge­stellte und kompe­tente Jury und ein möglichst viel­sei­tiges Anfor­de­rungs­spek­trum, das die Teil­nehmer mit verschie­densten Werken, Settings und Ansprü­chen zeigt. Nur wer sich über einen langen Zeit­raum und mit unter­schied­lichstem und umfang­rei­chem Reper­toire stabil und über­zeu­gend behauptet, der kommt auch weiter, so die Idee der Compe­ti­tion und Marquis ist über­zeugt, dass am Ende auch der Rich­tige gewinnt. Ob dieser dann tatsäch­lich eine Welt­kar­riere vor sich hat und ob er diese nicht auch auf anderem Wege hätte starten können, sind Fragen, die auch der Van-Cliburn-Wett­be­werb nicht abschlie­ßend beant­worten kann. Oder in den Worten von Jacques Marquis: „Ein Wett­be­werbs­er­folg ist sicher nicht der einzige Weg, um eine Karriere zu starten. Aber es ist ein ziem­lich guter.“

Für die Pianistin Bercu hat sich der Weg nach Hannover gelohnt. Sie gehört zu den 30 Auser­wählten, die ab dem 25. Mai nun in Texas um den Sieg ringen und – je nachdem, wie weit sie kommen – in insge­samt vier Runden mit solis­ti­schen Reci­tals, einem Kammer­musik-Programm und im Zusam­men­spiel mit dem Orchester zu erleben sein werden. Am 10. Juni wird fest­stehen, wer die nächsten drei Jahre in den Genuss der inten­siven Karrie­re­för­de­rung durch das van-Cliburn-Team kommt. Er wird die inter­na­tio­nalen Bühnen erobern, Publikum in aller Welt betören und Schritt für Schritt seinen eigenen künst­le­ri­schen Weg beschreiten. Und dann? „Dann entlassen wir den Vogel aus dem Nest und konzen­trieren uns auf den nächsten Wett­be­werb“, sagt Jacques Marquis und lacht. Denn fliegen muss der Vogel am Ende alleine.

Fotos: Carolyn Cruz