Rossini in Wildbad
Ein rauschendes Fest des Belcantos
31. Juli 2023
Vom 14. bis zum 23. Juli 2023 fand im Badeort Wildbad im Schwarzwald das Festival Rossini in Wildbad statt. 1989 gegründet, widmet es sich dem Werk Gioachino Rossinis, der sich 1856 als Kurgast in Wildbad aufhielt. Seit 1991 hat der Regisseur Jochen Schönleber die künstlerische Leitung inne und wirkt seit 2000 auch als Intendant.
Es rauscht und rauscht die Enz durch den wildromantischen Park des alten Badeortes Wildbad. Das ist im württembergischen Schwarzwald inmitten großartiger Natur ein kleines Städtchen, dessen einstige Grandeur als Weltbad der feinen Gesellschaft vorrangig noch durch seine Architektur aus dem 19. Jahrhundert kenntlich wird. Vor allem der beiden Bade-Paläste im Neo-Renaissance-Stil und dann im Neo-Romanischen und im Innenraum im Maurischen Stil. Nur einer davon wird nach wie vor als Thermalbad genutzt. Es gibt alte vornehme Hotels und einen Bahnhof von fürstlichen Dimensionen und ein entzückendes Königliches Kurtheater am Wildbach.
Im Park stehen ferner eine neugotische anglikanische Kirche, ein maurischer Pavillon, die Staffage einer Schwarzwald-Mühle und Gedenksteine wie ein wunderschöner klassizistischer Schalenbrunnen. Auch dieser plätschert und musiziert nach wie vor leise vor sich hin. Als möchte sein sanftes Wasser-Wallen aus Löwenköpfen erzählen von den Aufenthalten berühmter Musikerpersönlichkeiten und Dichter des 19. Jahrhunderts in Wildbad. Die Poeten waren einmal Ludwig Uhland und Justinus Kerner. Dann waren hier Clara Schumann, bevor sie endgültig nach Baden-Baden ging, um Erholung und Inspiration zu suchen und vor allem der alternde Gioachino Rossini anno 1856. Rossini fand im idyllischen Badeort Linderung von seinen Depressionen und Krankheiten. Auf Empfehlung seines Arztes kam er vom turbulenten Paris für viele Wochen in den einsamen Schwarzwald. Das tat ihm wohl! Er komponierte daraufhin wieder und feilte an den Sünden des Alters, wie er diese Stücke selbstironisch nannte, trotzdem es Juwelen sind. Dies war und ist Anlass genug, hier ein Rossini Festival zu etablieren, das seit 1989 Musikfreunde aus aller Welt nach Wildbad lockt und für eine gute Woche wieder etwas von dem alten Flair vergangener Zeiten aufleben lässt. Denn ansonsten ist Wildbad ein sehr ruhiger Ort geworden. Idylle zwar, aber etwas provinziell.
Es ist ein sympathisches Festival, hier geht es wirklich um die Musik des Meisters aus Pesaro und nicht um das Sehen und Gesehen-Werden. Dessen Opern werden zu Wildbad übrigens ungekürzt präsentiert. Und oft singen die Stars von morgen, genannt sei etwa die Mezzosopranistin Joyce di Donato, die in Wildbad vor Jahren den Anfang ihrer Weltkarriere machte. Beim Label Naxos wurden viele der hier aufgeführten Opern produziert. Auch 2023 zeigte sich das Festival wieder von seiner besten Seite. Wie immer wurden die Festspiele von einer Gesangs-Akademie begleitet. Die jungen Sängerinnen und Sänger präsentierten ihr Können in einer Matinée. Ferner gab es wieder selten zu hörende Werke, wie die Kantate Rossinis il vero omaggio. Insbesondere aber wurde eine wahre Rarität gegeben, nämlich die Oper Gli arabi nelle Gallie von Giovanni Pacini, einem Freund und Mitarbeiter Rossinis. Leider waren wir nicht zugegen. Dafür suchten wir uns beide Rossini-Opern aus, die diesmal den Kern des Festivals bildeten. In der wunderbaren Kombination von zwei Aufführungen an einem Tag an beiden einzigartigen Spielstätten Bad Wildbads. Das war einmal Il signor Bruschino, in einer Matinée aufgeführt in dem wunderschönen alten Königlichen Kurtheater mit Neo-Renaissance Interieur aus dem letzten Drittel des 19 Jahrhunderts. Von außen mutet es an wie ein Schweizer-Haus, was im 19. Jahrhundert ein beliebter Stil war. In der Akustik dieses intimen Theaters mit eleganten von Dekorationsmalerei gezierten Bögen und Logen und einem kleinen Orchestergraben erblühte diese Oper aufs Schönste. Ein passenderer Rahmen für Rossini lässt sich kaum denken. Zum anderen kam Rossinis vielleicht berühmteste und am meisten gespielte Oper Il barbiere di Siviglia zur Aufführung, die am Abend in der schlichten Trinkhalle aus den 1920er-Jahren gegeben wurde. Zwar ist die Trinkhalle ein etwas improvisiert wirkendes Opernhaus, dafür gibt es Raum genug für das Bühnen-Geschehen und ein etwas größeres Publikum. Im Königlichen Kurtheater etwa sind nur 200 Plätze vorhanden, das ist dann wirklich eine exklusive Angelegenheit. Damit viele Besucher in den Genuss der Musik kommen, werden die Rossini Opern mehrfach aufgeführt.
Mit musikantischem Schwung und extravaganten Akzenten
Die Farsa giocosa nach einem Libretto von Giuseppe Foppa Il signor Bruschino in einem Akt war seinerzeit die letzte für das Theater San Moise in Venedig verfasste Buffo Oper Rossinis, komponiert anno 1813. Im Autograf des Bruschino tat Rossini viel später, nämlich 1858, als diese längst in den Besitz seines Freundes Fürst Giuseppe Poniatowski übergegangen war, seine Freude über den neuen Besitzer kund und bezeichnete das genialische Jugendwerk, das schon ganz und gar den echten Rossini Buffo-Stil höchst meisterlich und ausgesprochen originell verkörpert, gar als Jugendsünde. Im Königlichen Kurtheater kam das Stück in einer sehr originellen und witzigen Inszenierung von dem Intendanten Jochen Schönleber auf die Bühne. Eine Wiederaufnahme der Produktion von 2009 mit ein paar Änderungen. Unter dem Dirigat von José Miguel Pérez-Sierra musizierte stets punktgenau und mit musikantischen Schwung in Kammerorchester-Besetzung das Philharmonische Orchester Krakau. Gut aufgehoben war das Ensemble in dem kleinen Orchestergraben des historischen Theaters, wobei die Hörner links in einer Nische auf Höhe der Bühne postiert wurden. Die Bühne verwandelte sich in ein Bad. „Il Bagno Gioacchino“, denn diese Lettern prangten in Leuchtschrift auf einer Umkleidekabine. Ein Freibad im Stil der 1960er-Jahre, was in Bad Wildbad an der Enz sein könnte und schon in die Jahre gekommen ist, benannt nach dem berühmten Musiker-Gast. Mit Bademütze und Schwimmbrille tauchte zunächst auch der Dirigent in den Orchestergraben. Das war bei noch geschlossenem Vorhang die erste witzige Pointe der Opern-Matinée. Darauf setzte die ausgesprochen originelle Ouvertüre ein, mit ihren burlesken ruppigen Skalen, flockigen Holzbläser Soli und typischem Rossini-Crescendo mit viel Verve musiziert. Wobei das originelle Schlagen mit den Streicherbögen, einst sogar auf die Kerzenhalter der Notenständer, was wohl noch metallischer klang, extravagante rhythmische Akzente zwischen den melodischen Fluss setzte. Eine völlig unkonventionelle Lösung, die Rossini zu einem Provokateur macht und als Musiker der Avantgarde seiner Zeit ausweist. Ein Provokateur bleibt er im besten Sinne in allen Nummern der folgenden komischen Oper.
Die Secco-Rezitative wurden auf einem Tafelklavier begleitet. Foppas Libretto bringt eine lustige Komödie auf die Bretter der Bühne. Der knauserige Signor Bruschino, was man mit Herr Ruppig übersetzen kann, ist nicht sonderlich erbaut über den Lebenswandel seines zu Trunkenheit und Verschwendung neigenden Sohnes. Der wird mittlerweile in einem Gasthaus wegen Trinkschulden vom Wirt Filiberto festgehalten. Allerdings ist es Florville und nicht der leibliche Sohn Bruschinos, der das Mündel, die hübsche Sofia freien möchte. Denn Florville möchte in der Rolle des vermeintlichen Sohnes Vorteile vom wohlhabenden Bruschino ergaunern. Dann spielen ein Kriminalkommissar und die Dienerin Marianne mit, die wie der Vormund Gaudenzio der turbulenten Komödie Farbe geben. Emmanuel Franco schenkte der Figur des Bruschino mit kraftvoll beweglichem Buffo-Bass und schauspielerisch trefflich, die Statur eines unwirschen alten dicken Herren. Hier mit aufgeklebtem grauen Bart, Wolljackett und kurz gebundener gelber Krawatte. Während Florville von Hyunduk Kim mit schlank beweglichem Tenor und viel witzigen Gesten quicklebendig gegeben wurde. Nicht weniger brillant mit flockigen Koloraturen und rundem Sopran Eleonora Bellocci als Sofia. In weiteren Rollen glänzten Camilla Carol Farias insbesondere in einer auftrumpfenden Rachearie mit feinem Mezzosopran in der Rolle der Dienerin, zudem Francesco Bossi als Wirt wie Filiberto Bruno als Kriminalkommissar mit guten stimmlichen wie schauspielerischen Leistungen. Desgleichen Giorgio Caoduro als Vormund Gaudenzio und Francesco Lucii als der leibliche Sohn Bruschinos, der gegen Ende des Stücks auftaucht und seinen Vater um Versöhnung bittet. Als witzige Zutaten der Inszenierung fielen besonders auf: ein grünes aufblasbares Kunststoffkrokodil und der Kühlschrank der Strandbar. Dieser fungierte als Ausgang und Eingang für Bruschino, um zugleich dessen erhitztes Gemüt abzukühlen. So viele Feinheiten bietet Rossinis Partitur.
Raffinierte Arien mit Pizzicato und teils charakterisierenden Holzbläser-Soli und insbesondere Duette sowie meisterliche Terzette, die Rossinis Vorbilder Mozart und Cimarosa erkennen lassen und in Erinnerung rufen. Wie etwa das Terzett von Florville, Bruschino und Gaudenzio Per un figlio gia pentito. Bis endlich Rossinis Buffo Oper ausklingt in einem Sextett, das fast Mozarts berühmtes Bühnenwerk Le nozze di Figaro in Erinnerung ruft. Das war eine heitere und geistreiche Unterhaltung in dem wunderschönen Rahmen des kleinen Königlichen Kurtheaters. Bis zur Vorstellung von Il barbiere konnte man in dem wildromantischen Kurpark, der von dunkel betannten Schwarzwald-Höhen umgeben ist, bei rauschendem Bach und guter Luft entspannen und lustwandeln. Aus dem Theater hinaus ging es durch das kleine Vestibül mit einem mit Stuck und Gold gerahmten großen Spiegel direkt in die grüne Natur des Parks. Nach Rossinis Musik rauschte erst einmal wieder nur der Wildbach der Enz.
Endlich ging es gegen 19 Uhr in die zum Opernhaus umfunktionierte Trinkhalle, die dem alten Theater schräg gegenüberliegt. Auf den weitläufigen Terrassen wartete das zahlreiche Publikum auf Einlass. Wie würde wohl eine der meistgespielten Rossini Opern, dieser Barbiere di Siviglia mit festem Platz im Opernbetrieb, in Wildbad gegeben werden? Alle waren gespannt. Vom Tausendsassa des Festivals, dem Intendanten Jochen Schönleber stammte auch hier die Inszenierung mit Einheitsbühnenbild von Lars Werneke. Die Bühne stellte das Interieur des Hauses von Doktor Bartolo vor. Mit wechselnden Aussichten gezeigt auf einem Riesen-Bildschirm. Vom Blick über die Dächer Siviglias bis hin zu Wellen im Regen oder eine Katze, wohl eine Anspielung auf die Katze, welche beim Misserfolg der Uraufführung in Rom anno 1816 über die Bühne gelaufen war. Letztlich war die Katze ein Glückssymbol, dann bekanntlich wurde daraufhin die Oper sehr erfolgreich. Und natürlich durfte der Balkon mit Fenster nicht fehlen, wo Rosina auftauchen wird, damit sie das Morgen-Ständchen von Graf Almaviva und seinem Gefolge hören kann, das bald nach der Ouvertüre die Oper einleitet. Wieder spielte das Philharmonische Orchester Krakau, diesmal dirigiert von Antonio Folgliani, verstärkt um den Männerchor des Philharmonischen Chores Krakau. Jetzt war das Philharmonische Orchester aus Polen in großer Besetzung angetreten und direkt vor der Bühne platziert und nicht versenkt im Orchestergraben. Nur drei Jahre später als Signor Bruschino komponiert, zeigt der Barbiere den reifen voll ausgeprägten Stil Rossinis seiner Meisterjahre, der bis zu seinem 38. Lebensjahr für etliche Opern-Vertonungen prägend blieb. Die bekannte Ouvertüre mit ihrem Wechsel aus kantablen Streicher-Melodien, teils von Holzbläser-Soli und Solo-Horn aufgegriffen und mit temperamentvollen Tutti, das in den typischen Rossini-Crescendi aufwallt und pulsiert wie ein fein moussierender Champagner voller Lebensfreude, wurde schwungvoll und rhythmisch markant gegeben.
Starke Stimmen und flockige Koloraturen
César Cortés als Graf Almaviva ließ seinen schmelzenden Tenor leuchten im Ständchen auf Rosina, stets von schönen Orchester-Melodien und Gitarrenakkorden begleitet. Das Gefolge des Männerchores und Francesco Bossi als Diener Fiorello begleiteten mit starken Stimmen. John Chest gab als Figaro mit ausgesprochen beweglichem und wohltönendem Bariton seine fulminante berühmte Auftrittsarie mit ihren klappernden Rhythmen und stellte sich als gefragtes Faktotum vor, der Barbier von Siviglia, der alle umsorgt, ob es um Haare oder Gesundheit geht. Almaviva und Figaro beschließen eine List, wie sich Graf Almaviva der Geliebten Rosina nähern könne, ohne bei Doktor Bartolo, ihrem Vormund, aufzufallen, denn Bartolo ist wachsam und passt auf die bei ihm wohnende Rosina auf. Graf Almaviva versucht als Soldat mit einem gefälschten Einquartierungs-Bescheid bei Doktor Bartolo unterzukommen und somit Rosina nahe zu sein. Entsprechend wird ein weiteres Schriftstück von Rosina ergänzt. Fabio Capitanucci zeichnete mit kraftvollem Buffo-Bass den Doktor Bartolo vortrefflich und sang seine Auftrittsarie, worin Doktor Bartolo sich selbst preist, „denn ein Doktor wie er lasse sich nicht leicht täuschen“, mit Hingabe. „A un dottor della mia sorte“. Teresa Iervolino überzeugte mit flockigen Koloraturen und einem warmen Timbre in der Rolle der Rosina von ihrer ersten Kavatine an. Auch der Männerchor agierte trefflich. Denn die Wache samt eines Offiziers wird gerufen nach dem Tumult, den Almaviva mit seiner Einquartierung bei Doktor Bartolo verursacht. Zu groß ist das Misstrauen. Doch letztlich gelingt es Graf Almaviva, im Haus des Dottore bei Rosina zu bleiben. Nicht zu vergessen die große affektvolle Arie des Don Basilio, einem Heuchler und Wirrkopf, der Musik- und Gesangslehrer Rosinas ist, in der das Orchester donnern und blitzen konnte. Der schwarze Bass Shi Zongs zeichnete die Rolle überzeugend. Endlich beschloss das Finale ein lebhaftes Septett samt Chor, musikalisch und darstellerisch gelungen interpretiert, den ersten Akt der Commedia.
Auch die zweite Hälfte des Barbiere war sehr ansprechend. Erheiternd war die Musikstunde des als Gesangslehrer verkleideten Grafen, der Rosina überraschte und mit einer Aria im Menuettstil belegte, dass Rossini gut die Musik der alten Meister und seiner Vorgänger kannte. Dann das tumultöse Quintett mitsamt der Rasierszene von Figaro und Doktor Bartolo, ein Ablenkungsmanöver, das die Flucht Rosinas und ihres Geliebten Almaviva ermöglichen soll. Francesca Pusceddu, Gouvernante im Hause Doktor Bartolos, überzeugte stimmlich ebenso in ihrer Arie, bevor die sehr bildhafte Gewittermusik anhob. Endlich das feine Terzett von Rosina, Almaviva und Figaro. Da Bartolo das Spiel durchschaut hat und die Wache schon an der Tür klopft, bleibt nur der Weg über die Leiter vom Balkon, was musikalisch kapriziös von Rossini eingefangen wurde und interpretatorisch gelang. Endlich das abschließende muntere Finale eines prächtigen Sextetts, das in einem schwungvollen, das Glück des Liebespaares preisenden Chor ausklingt. Insgesamt war es also wieder ein wahres Fest des Belcantos im Schwarzwald.