Bregenzer Festspiele

Verschenkt!

von Maria Goeth

21. Juli 2017

Es hätte so schön sein können! Schon vor Monaten war mit reichlich Tamtam der Entstehungsprozess der beiden Hand-Giganten durch die Presse gewirbelt.

Es hätte so schön sein können! Schon vor Monaten war mit reich­lich Tamtam der Entste­hungs­pro­zess der beiden Hand-Giganten durch die Presse gewir­belt, die den zentralen Rahmen für das Bühnen­bild der formen. Super­la­tive en masse: Die Hand „Lindau“ ragt satte 21 Meter über den Bodensee, die Hand „“ 18 Meter; beide wiegen rund 20 Tonnen; jeder Finger­nagel ist größer als ein Mensch; 37 Firmen waren am Aufbau betei­ligt. Die täto­wierten Rekord-Glied­maße werfen 62 Spiel­karten à 30 Quadrat­meter in die Höhe. Geformt sind die Hände nach denen von Star-Bühnen­bild­nerin Es Devlin selbst, die sonst auch Pop-Größen wie die Pet Shop Boys oder Beyoncé ein adäquates Setting verleiht. Die vergilbt-weiß gestri­chenen Karten sollten ihr und Video­künstler Luke Halls Projek­ti­ons­fläche bieten für ein meis­ter­li­ches Spek­takel zum Allzeit-Opern-Hit von . Doch was dann letzt­end­lich mit und auf der Konstruk­tion der tausend Möglich­keiten geschieht ist konven­tio­nell sonder­glei­chen: Auf die Karten werden in erster Linie – nunja – Karten proji­ziert. Dass Carmen dabei mit der Herz­dame bebil­dert wird ist ebenso flach wie der Kreuz­bube (im fran­zö­si­schen Blatt mit einem „J“ gekenn­zeichnet) für Don José. Wird der Tod beschworen, werden die Karten schwarz, wird’s emotional, zerfließen sie. Immerhin wird der Nost­al­giker mit einigen histo­ri­schen Spiel­karten beglückt, die Toreros und die Stadt zeigen. Oft stehen die Projek­tionen für lange Zeit. Regis­seur Kasper Holten setzt diesen Bildern in seiner braven Perso­nen­füh­rung kaum etwas zu oder entgegen.

Geht doch!

In einigen lichten Momenten offen­bart sich, was man mit den tech­ni­schen Möglich­keiten alles hätte zaubern können – ein biss­chen mehr Mut, ein biss­chen weniger eins-zu-eins-Bebil­de­rung voraus­ge­setzt: Der Stier­kampf wird durch eine Schar von Tänzern visua­li­siert, die wie die muleta, das Stier­kampf­tuch, flat­tern, sowie einem reiz­voll choreo­gra­phierten Torero-Stier-Paar. Von oben mit Kameras gefilmt und kolossal auf die Spiel­karten proji­ziert, zieht das, wenn­gleich auch hier nicht beson­ders abstra­hiert, bild­ge­waltig in Bann. Auch die Stuntmen und Statisten, die sich in der Schmugg­ler­szene aus höchsten Höhen abseilen oder auf Booten an die bis unter den Seespiegel reichende Bühnen­fläche heran­fahren, beein­dru­cken, auch wenn man den Schmuggel- und Waren­fluss nicht ganz versteht. Fast wünscht man sich, das atem­be­rau­bende Thea­ter­kol­lektiv Hotel Modern hätte für die Projek­tionen verant­wort­lich gezeichnet, denn diese werden tags darauf bei der zweiten Première von Rossinis „Moses in Ägypten“ im Bregenzer Fest­spiel­haus mit ihren hunderten live abge­filmten, kleinen Figuren tief bewe­gende, bestür­zende Bilder schaffen.

Klitsch­nasse Sänger­helden und ein insze­nie­render Himmel

Die Helden des Abends sind die Darsteller! Schon zu Beginn der Vorstel­lung war sanftes Regen­tröp­feln einem beharr­li­chen Nieseln gewi­chen, und als die ersten Blitze über das Holz-Stahl-Gerippe der Bühnen­rück­wand zucken, hätte man großes Verständnis für einen Abbruch gehabt. Eindrucks­voll libret­to­ge­treu kracht der Donner bei Don Josés „Qui sait de quel démon j’al­lais être la proie!“ („Wer weiß, welchem Dämon ich zum Opfer falle“) hernieder. Doch die Bregenzer Crew setzt uner­schüt­ter­lich spiel­freudig fort, während sich das Publikum immer tiefer in seine Regen­capes mummelt. Ironi­scher­weise ebbt der reale Regen genau in dem Moment ab, als auf der Bühne ein künst­li­cher nieder­geht – ein Zuschauer kalauert: „Der Regen fiel ins Wasser“. Doch auch jenseits der Natur­ge­walten wird den Darstel­lern eine ausge­prägte H2O‑Affinität abver­langt: Perma­nent mäan­dern sie zwischen Wasser und Luft, tauchen ihre Füße und Haare ein, werden zwischen den Elementen hin- und herge­rissen.

Starke Frauen, schwache Männer

Gaëlle Arquez – leider von Anfang an viel zu stark für den stimm­lich, schau­spie­le­risch wie in fran­zö­si­scher Aussprache schwa­chen als Don José – über­zeugt als stimm­schöne, kraft­volle Carmen. gibt eine ebenso leuch­tende Micaëla, die – quod erat demonstrandum – ihr „Je dis, que rien ne m’épou­vante“ („Ich hab gesagt, dass mir nichts Angst macht“) in 15 Metern Höhe auf dem Daumen von Hand Lindau singt. Gegen diese Power­frauen verblasst auch Esca­millo Scott Hendricks gänz­lich. Am Ende wird Carmen nicht ersto­chen, sondern ertränkt. Das Bild der mit Kopf nach unten trei­benden Prot­ago­nistin mit ihrem von den Wellen bewegten roten Gewand ist stark, zumal die Sängerin nicht ausge­tauscht wird – man munkelt von einer im Kleid einge­nähten Sauer­stoff­fla­sche und einer Atem­vor­rich­tung.

Fazit: Schade, schade, dass die Möglich­keiten des Fest­spiel­ma­ta­dors Bregenz nicht ganz ausge­schöpft wurden, aber ein Hoch auf das tapfere Team!

Fotos: Bregenzer Festspiele