Barbara Sukowa

Ich brauche freien Raum

von Rüdiger Sturm

22. Dezember 2023

Mit ihren Projekten für Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta erlangte Barbara Sukowa Weltruhm, seither kann sich die 2021 für den französischen Filmpreis »César« nominierte Schauspielerin die Rollen aussuchen. 2023 spielt sie zwei ganz besondere Charaktere.

Frau Sukowa, Sie haben im vergan­genen Sommer beim Film­fest in München einen Preis für Ihr Lebens­werk erhalten. Mögen Sie es eigent­lich, auf Ihre ereig­nis­reiche Karriere zurück­zu­bli­cken?

Nein. Ich hänge nicht in der Vergan­gen­heit und habe deshalb auch bisher alle Anfragen, eine Biografie zu schreiben, abge­lehnt. Ich will noch immer in die Zukunft denken. Mit der Vergan­gen­heit beschäf­tige ich mich nur, um zu schauen, ob es Verhal­tens­muster oder Dinge gibt, die ich ändern möchte.

Was zum Beispiel würden Sie aktuell gerne ändern?

Während Dreh­ar­beiten laufen meine Essge­wohn­heiten aus dem Ruder. Norma­ler­weise bemühe ich mich, verhält­nis­mäßig gesund zu essen, aber in dieser Zeit, vor allem nachts, wenn man beson­ders schwach ist, werden die Scho­ko­laden und Süßig­keiten ausge­packt.

Woran liegt das?

Ich bin dann nicht so ganz ich, denn ich spiele ja eine Rolle. Da bin ich etwas durch­ein­ander. Jedes Mal sage ich mir, jetzt passt du auf, und dann geht das doch aus dem Fenster.

Sie haben doch schon so viele Filme gedreht. Warum sind Sie da immer noch durch­ein­ander?

Weil jede Rolle eine andere Heraus­for­de­rung ist, mit der man sich verän­dert. Ich tue das jeden­falls.

Wie waren die Verän­de­rungen bei Ihren beiden letzten Filmen, Enkel für Fort­ge­schrit­tene bzw. bei Dalí­land?

Das waren zwei extreme Figuren, die schon äußer­lich total entge­gen­ge­setzt sind. Gala Dalí war sehr kontrol­lie­rend und streng und hat viel unter­drückt, die Alt-Hippie Phil­ippa in Enkel für Fort­ge­schrit­tene war sehr ausufernd.

Und der Grad der Heraus­for­de­rung war jeweils gleich?

Körper­lich war Phil­ippa ein wenig schwie­riger, von der geis­tigen Konzen­tra­tion und Schärfe her, war Gala viel­leicht etwas heraus­for­dernder.

Finden Sie unan­ge­passte Menschen wie Phil­ippa inspi­rie­rend – so wie sie im Film darge­stellt wird?

Fast über­haupt nicht. Solche Menschen gibt es selten. Und wenn man sie erlebt, dann sind sie eher nervig.

Phil­ippa (Barbara Sukowa) und Karin (Maren Kroy­mann) in »Enkel für Fort­ge­schrit­tene«

Können Regis­seu­rinnen und Regis­seure Sie nerven?

Das ist eine andere Nervigkeit. Regis­seure müssen eine gewisse Kontrolle ausüben. Ich kenne keinen Regis­seur, der sich so ausufernd lustig wie Phil­ippa auf dem Set bewegt.

Welche Charak­ter­züge bevor­zugen Sie bei Filme­ma­chern?

Ich bin verhält­nis­mäßig flexibel. Was ich schön finde und brauche, ist jemand, der mir freien Raum lässt, sodass ich mich auspro­bieren kann. Ich mag nicht mit Leuten arbeiten, die einem genau sagen, wie man die Rolle spielen soll. Aber die gibt es kaum noch. Ab und zu versucht es jemand, aber die merken schnell, dass das nicht so gut klappt. Man muss Schau­spie­lern den notwen­digen Raum lassen, wenn man etwas haben will, was eine gewisse Spon­ta­neität und Natür­lich­keit besitzt. Ein Film hat ja keine durch­ge­stal­teten Figuren wie im Theater, wo es eine gewisse Künst­lich­keit gibt.

Wie war das bei Rainer Werner Fass­binder?

Bei ihm schien das wider­sprüch­lich. Einer­seits hat er den Film so gedreht, wie er ihn schneiden wollte. Er hat nicht viel Mate­rial gedreht, um seine Filme erst am Schnei­de­tisch zusam­men­zu­bauen. Deshalb war die Choreo­gra­phie der Bewe­gungen sehr fest­ge­legt. Aber inner­halb dessen hat er den Schau­spie­lern völlige Frei­heit gelassen. Und nachdem er immer nur eine Einstel­lung drehte, konnte man seine Rolle inner­halb dieses Takes frei gestalten. Er selbst konnte dann nicht mehr viel herum­bas­teln. Zumin­dest galt das für die Zeit, in der ich mit ihm gear­beitet habe.

Worin bestanden seine spezi­fi­schen künst­le­ri­schen Quali­täten?

Ich kann das nicht voll­kommen erklären. Aber eine Sache ist mir aufge­fallen. Bei Berlin Alex­an­der­platz habe ich zum Beispiel gemerkt, dass bei der Ausstat­tung ein Detail histo­risch nicht korrekt war. Das kam davon, dass er seine Mitar­beiter sehr wenig kontrol­liert hat. Seinen Szenen­bild­nern hat er ziem­lich freien Raum gelassen. Er kam auch nicht zu Kostüm­proben. So ergab sich ein Stilmix, der etwas Beson­deres hatte. Er hat keinen Küchen­rea­lismus zuge­lassen.

Wie war die Arbeit mit , mit der Sie eben­falls mehr­fach gedreht haben?

Sie weiß schon, was für Kostüme sie möchte, und guckt genauer hin. Sie macht auch nicht nur einen Take. Am Schnei­de­tisch wird einiges verän­dert. Das ist eine ganz andere Zusam­men­ar­beit, zumal wir sehr befreundet sind. Und nachdem Marga­rethe von Trotta Schau­spie­lerin war, achtet sie sehr auf das Schau­spie­le­ri­sche.

Wie schwer ist es für Sie, jemanden zu finden, der Ihren Ansprü­chen genügt?

Ich habe bisher ziem­li­ches Glück gehabt. Bei TV-Serien, speziell ameri­ka­ni­schen, läuft das etwas schneller und busi­ness­mä­ßiger ab. Das ist keine Familie, wo jeder auf jeden achtet. Insge­samt über­lege ich mir natür­lich, mit welchen Regis­seuren ich arbeite, und ziehe Erkun­di­gungen ein.

Zu Ihrer künst­le­ri­schen Entwick­lung gehörten auch Auftritte als Sängerin. Wie hat sich das eigent­lich ergeben?

Das Ganze kam auf mich zu – sowohl die Rock­musik wie die Klassik. Ende der 80er meldete sich das Schön­berg-Ensemble, das mit mir Pierrot Lunaire aufführen wollte. Damals war das noch für viele eine ganz beson­dere Heraus­for­de­rung, diese Musik zu spielen. Ich habe mich sehr hinein­ge­kniet und es auch irgendwie geschafft, sodass wir das welt­weit aufge­führt haben. Damals habe ich das nicht groß kommu­ni­ziert und aus den Medien heraus­ge­halten. Es war eine große Erfül­lung, aber auch sehr angst­be­setzt, weil es eben so schwierig war. Ich habe dann noch andere Stücke von Schön­berg und anderen zeit­ge­nös­si­schen Kompo­nisten aufführen können, habe mit wunder­baren Opern­sän­gern und Diri­genten wie Abbado, Nagano oder Salonen arbeiten dürfen und so eine ganz neue Welt kennen­ge­lernt.

Was für ein Gefühl war das, die eigene Angst zu über­winden?

Ich habe es einfach gemacht. Jedes Mal, wenn ich hinter der Bühne stand und das Orchester begann, habe ich mich gefragt: Warum hast du das bloß wieder zuge­sagt? Aber dann ging es doch. Und am Ende ist es ein Wahn­sinns­ge­fühl, wenn man da durch ist und Orchester wie die Berliner Phil­har­mo­niker diese groß­ar­tige Musik spielen. So ein Erlebnis hat man als Schau­spieler nicht.

Sie sind schon länger nicht mehr aufge­treten. Warum?

Ja, momentan liegt das ein biss­chen auf Eis. Das lag nicht zuletzt an der Pandemie. Es gibt für solche Auffüh­rungen auch immer weniger Geld, glaube ich.

Und wie war es, mit Ihrem Mann, Robert Longo, Rock­musik zu machen?

Ein befreun­deter Künstler sagte, ich solle mal Patsy Kline singen, und dann habe ich das gemacht. Dabei hatte ich keine Ahnung von Rock­musik. Das war eine ganz andere Form der Befreiung – im Gegen­satz zur klas­si­schen Musik, wo man nicht den Bruch­teil einer Sekunde früher oder später einsetzen darf.

Es ist schwer zu sagen. Viel­leicht bilde ich mir ein, dass ich sie verstehe. Ich sehe, dass diese Welt sehr anders ist, aber ich denke nicht, dass alles schlecht ist. Auch meine Eltern und die Gene­ra­tion vor mir dachten, die junge Gene­ra­tion sei verrückt. Gerade wenn es um poli­ti­sche Dinge geht, haben inter­es­sante junge Menschen oft das Bedürfnis, sich für etwas einzu­setzen, was größer ist als sie selbst. Indem sie sich daran reiben, können sie sich selbst entde­cken. Wenn sich diese Kinder jetzt ans Pflaster kleben, ist das eine notwen­dige Entwick­lung, auch wenn das aus meiner jetzigen Sicht viel­leicht nicht das beste Mittel ist, um etwas zu errei­chen. Aber ich verstehe voll­kommen, dass es für die jungen Menschen in ihrer Entwick­lung wichtig ist.

Karin (Maren Kroy­mann), Phil­ippa (Barbara Sukowa), Gerhard (Heiner Lauter­bach) in »Enkel für Fort­ge­schrit­tene«

Sie sind jetzt 73 – können Sie eigent­lich die junge Gene­ra­tion verstehen, mit der Sie in einem Film wie Enkel für Fort­ge­schrit­tene konfron­tiert sind?

Es ist schwer zu sagen. Viel­leicht bilde ich mir ein, dass ich sie verstehe. Ich sehe, dass diese Welt sehr anders ist, aber ich denke nicht, dass alles schlecht ist. Auch meine Eltern und die Gene­ra­tion vor mir dachten, die junge Gene­ra­tion sei verrückt. Gerade wenn es um poli­ti­sche Dinge geht, haben inter­es­sante junge Menschen oft das Bedürfnis, sich für etwas einzu­setzen, was größer ist als sie selbst. Indem sie sich daran reiben, können sie sich selbst entde­cken. Wenn sich diese Kinder jetzt ans Pflaster kleben, ist das eine notwen­dige Entwick­lung, auch wenn das aus meiner jetzigen Sicht viel­leicht nicht als das beste Mittel ist, um etwas zu errei­chen. Aber ich verstehe voll­kommen, dass es für die jungen Menschen in ihrer Entwick­lung wichtig ist.

Fotos: shutterstock, Studiocanal