Charles Castronovo

Charles Castronovo

»Ich träume davon, Lohen­grin zu singen«

von Ruth Renée Reif

17. Januar 2024

... und doch hat er sein Herz auch an das Lied verschenkt. Nun widmet der amerikanische Operntenor Charles Castronovo sein neues Album Puccini – mit Liedern, die der italienische Komponist später für seine Opern benützte.

Charles Castro­novo gilt als einer der feinsten lyri­schen Tenöre seiner Gene­ra­tion. Seit seinem Debüt im Jahr 1999 an der Metro­po­litan Opera in New York, wo er geboren ist, singt er an den inter­na­tio­nalen Opern­häu­sern. In der Saison 2023/2024 ist er Artist in Resi­dence des Münchner Rund­funk­or­ches­ters. Unter dem Titel Puccini. I canti hat er mit dem Orchester unter der Leitung seines Chef­di­ri­genten Ivan Repušić ein Album mit Liedern Giacomo Puccinis aufge­nommen, die der Kompo­nist Johannes X. Schachtner für Orchester bear­bei­tete.

Herr Castro­novo, auf Ihrem Album mit dem Münchner Rund­funk­or­chester singen Sie Lieder von Giacomo Puccini, die nur wenig bekannt sind. Einige wie Salve Regina oder Dios y Patria sind sogar erst in diesem Jahr­hun­dert aufge­taucht. Wie kam es zu dieser Idee?

Ich hatte bereits vorher viele Opern­par­tien von Puccini gesungen und mit Ivan Repušić zusam­men­ge­ar­beitet. Als ich erfahren habe, dass er und das Münchner Rund­funk­or­chester diese Recherche durch­ge­führt und all diese Lieder gefunden hatten die meisten von ihnen waren noch nie aufge­nommen worden kamen wir zusammen. Das war eine gute Fügung.

Wie der Musik­wis­sen­schaftler Riccardo Pecci anmerkt, stellen die Lieder eine „Werk­stätte“ dar, in der Puccini mit viel Mate­rial expe­ri­men­tiert. Ist das in den Liedern zu spüren?

Ja, es finden sich in den Liedern zahl­reiche Melo­dien, die Puccini später in seinen Opern benützte. Man hört zum Beispiel Anklänge an Melo­dien, die er für Le Villi, seine erste Oper, weiter­ent­wi­ckelte. Aber auch Melo­dien aus Manon Lescaut, La Rondine und La Bohème klingen an. Man kann sie also hier in ihrer ersten Fassung hören. Puccini hatte eine beson­dere Bega­bung für Melo­dien. Er legte nost­al­gi­sche Gefühle in sie, die einen sofort ergreifen. Das war sein Genie. Sogar in den frühen Liedern aus seiner Jugend­zeit kann man das hören. Für mich ist es wunder­voll, diese Lieder zu erkunden!

Charles Castronovo

»Puccini ist für mich ein emotio­nales Erlebnis«

Die Lieder umspannen die gesamte Schaf­fens­pe­riode von Puccini bis 1919. Wie ist es, sie auf der Bühne zu singen?

Puccini ist für mich ein emotio­nales Erlebnis. Es gibt natür­lich die stimm­li­chen Heraus­for­de­rungen. Darüber hinaus jedoch dreht sich alles um Emotionen. Wenn ich ein Stück von Puccini vorbe­reite, versuche ich vor allem, die Farben heraus­zu­ar­beiten. Selbst in den einfachsten Liedern gibt es eine Palette an Farben. Das Casa mia, casa mia etwa ist nur 45 Sekunden lang. Aber es vermit­telt Inti­mität und enorme Emotio­na­lität. Und die zum Ausdruck zu bringen, darin sehe ich auch auf der Bühne die wich­tigste Aufgabe.

Sie haben bereits wieder­holt den Wunsch geäu­ßert, Lieder zu singen. Ist das der Anfang?

Ich liebe es, Figuren auf der Bühne zu verkör­pern. Daher bin ich vor allem in Opern aufge­treten und habe mir mein Reper­toire als Opern­sänger erworben. Aber auch für das Lied hatte ich immer eine große Liebe, jedoch fehlte es mir bisher in meiner Karriere. Jetzt versuche ich, ihm mehr Zeit zu widmen. Bei Anfragen nach Lieder­abenden erhalte ich meist die Bitte um italie­ni­sches Reper­toire, die ich natür­lich mit Freude erfülle. Aber ich möchte auch fran­zö­si­sche Chan­sons und deut­sche Lieder singen. Ich liebe Schu­bert. Dieses Reper­toire hat einen beson­deren Platz in meinem Herzen.

Wenn Sie von Ihrem Werde­gang erzählen, hört sich das an, als sei alles nahezu wie von selbst gelaufen. Rück­schläge oder stimm­liche Probleme scheinen Sie gar nicht zu kennen …

So leicht war es nicht. Eine Karriere wie meine erfor­dert 30 Prozent stimm­liche Fähig­keiten und 70 Prozent mentale Stärke. Ich bin in meiner 30-jährigen Lauf­bahn Tenor­kol­legen begegnet, die ich stimm­lich für begabter hielt als mich. Natür­lich denkt man, dass so jemandem eine Welt­kar­riere offen­steht. Aufgrund mangelnder mentaler Stärke und emotio­naler Schwan­kungen kommt es jedoch oft nicht dazu.

Ich habe mich stets bemüht, emotional stabil zu bleiben, was es mir erlaubte, stimm­lich langsam zu wachsen. Alan Green, mein Manager, und ich arbeiten seit über 20 Jahren zusammen, und es war immer unser Plan, meiner Stimme genü­gend Zeit zu lassen, sich zu entwi­ckeln. Natür­lich hätte ich mit 26 Jahren gerne Don Carlos gesungen. Aber ich war noch nicht so weit, also zwang ich mich zur Geduld. Jedes Jahr fügte ich ein bis zwei Rollen hinzu. Ich erin­nere mich, als ich zum ersten Mal Edgardo in Gaetano Doni­zettis Lucia di Lammer­moor sang. Mein Manager meinte, ich sei bereit dafür. Aber ich wollte noch ein, zwei Jahre warten, und er respek­tierte meine Entschei­dung. Als ich die Partie dann zum ersten Mal sang, war es gut, aber nicht groß­artig. Also legte ich sie wieder zur Seite. Nach drei Jahren versuchte ich es erneut, und meine Inter­pre­ta­tion gelang mir weitaus besser. So nahm ich die Partie in mein Reper­toire. Und meine Inter­pre­ta­tion gelang mir umso besser, je öfter ich sie sang.

Mein Manager sagte mir, es sei nicht so schwer, nach oben zu kommen, wenn man fleißig sei und Talent habe. Schwer aber sei, dort oben zu bleiben und das war von Anfang an mein Ziel. Ich hatte den Traum, an vielen Opern­häu­sern zu singen und ein berühmter Sänger zu werden. Heute geht es mir darum, mein Niveau zu halten.

Charles Castronovo

»Das Lied-Reper­toire hat einen beson­deren Platz in meinem Herzen«

Jonas Kauf­mann erzählte im Inter­view, wie schwer der Anfang für ihn war und dass er fast schon dabei war aufzu­geben, bis er den rich­tigen Lehrer fand. Haben Sie immer die rich­tigen Lehrer für sich gefunden?

Da hatte ich großes Glück. Ich hatte nur zwei Stimm­lehrer. Mit meinem ersten, Mark Good­rich, arbei­tete ich, als ich 19 war, an der Univer­sität in Los Angeles, wo ich aufwuchs. Er beglei­tete mich etwa 12 Jahre lang und wir erar­bei­teten eine groß­ar­tige tech­ni­sche Grund­lage, auf der ich aufbauen konnte. Mit meinem zweiten Lehrer, Arthur Levy in New York, arbeite ich nun bereits zehn Jahre. Er unter­stützte mich dabei, ein größeres Reper­toire aufzu­bauen und mehr von meiner Stimme zu geben, ohne ihr zu schaden. So wurde ich mit jeder neuen Rolle stimm­lich stärker und größer.

Wie Sie in einem Inter­view erzählen, bestand Ihre Methode darin, möglichst viel zu hören. Haben sich die Anfor­de­rungen oder Erwar­tungen an Tenöre verän­dert?

Ich bin ein Anhänger des Hörens. Wie sonst sollte man die Tradi­tionen, Stile und Stimm­typen kennen­lernen? Die Warnung, nicht zu viel zu hören, weil sonst die Gefahr bestehe zu imitieren, trifft zu, wenn man sich nur einen Sänger anhört. Aber wenn man 200 Sängern zuhört, kann man von jedem das Beste nehmen. Ich höre noch heute alles, was ich finden kann zeit­ge­nös­si­sche und alte Sänger, meine Lieb­lings­sänger und auch die, die ich nicht so mag. In jedem finde ich etwas, was ich lernen kann.
Aber ja, die Erwar­tungen haben sich verän­dert. Es gibt eine bestimmte Gruppe im Publikum, die all die alten Aufnahmen kennt. Wir nennen sie manchmal ironisch die „Gesell­schaft der toten Sänger“. Sie findet jeden zeit­ge­nös­si­schen Sänger schreck­lich. Manchmal stimme ich ihr sogar zu. Wenn ich mir Franco Corelli anhöre, würde ich gerne klingen wie er. Aber heutige Sänger haben andere Stärken. Sie verfügen über schau­spie­le­ri­sche Fähig­keiten und stellen eine Rolle wirk­lich dar.

»Ich finde in jedem Sänger etwas, was ich lernen kann«

Fritz Wunder­lich haben Sie als einen Ihrer Top 3‑Tenöre genannt. Wer sind die anderen beiden?

Das hängt davon ab, in welcher Stim­mung ich mich befinde. Aber Wunder­lich hat einen festen Platz in meinen Top 3. Er besaß ein natür­li­ches Talent. Wenn ich ihn höre, denke ich: Das ist Natur. Niemals hat er versucht, etwas künst­lich zu über­treiben. Wenn er Schu­bert-Lieder singt, vermit­telt es mir das Gefühl, dass Schu­bert sie genau so beab­sich­tigt hat. Wenn ich Leid und Schmerz möchte, höre ich José Carreras. Als er jung war, hatte er eine unge­heure Kraft und Emotion in seiner Stimme. Wenn ich müde bin oder meine Leiden­schaft für das Singen erlahmt, höre ich mir seine frühen Aufnahmen an, und dann spüre ich wieder, warum ich singen möchte. Carreras’ Idol war Giuseppe Di Stefano, und der ist auch mein Idol. Wenn er singt, packt es mich sofort. Ich wider­spreche manchmal Tenor-Freunden, die Corelli vorziehen. Zwei­fellos ist Corelli eine Natur­kraft und besaß eine der größten Tenor­stimmen der Geschichte. Vor 15 Jahren wollte ich dieses Feuer­werk, das Wow! Aber jetzt möchte ich mehr als alles sonst Emotionen. Daher berühren mich Carreras und Di Stefano am meisten.

Die Nummer vier in meinen Top 3 ist Carlo Berg­onzi. Viel­leicht hat er nicht die anima­li­sche Anzie­hungs­kraft eines Di Stefano oder Corelli. Er singt wie ein Prinz, sehr elegant. Ich lerne jetzt viele neue Verdi-Partien. Und wenn ich mir Corelli oder Del Monaco dazu anhöre, denke ich, dass diese Rollen zu drama­tisch, zu aufre­gend und zu männ­lich für mich sind und ich sie nicht singen sollte. Dann aber höre ich, wie elegant, emotional und wunder­schön Berg­onzi diese Partien singt, und dann weiß ich, dass ich diese Partien sehr wohl singen kann.

Ihr Reper­toire ist sehr groß. Was begeis­tert Sie an diesen Partien?

Von Anfang an sagte man mir, ich hätte einen italie­ni­schen Typ von Stimme. Auch als ich jünger war, hatte mein Tenor eine dunkle Färbung und einen leuch­tenden Klang. Also sang ich eine Menge Mozart-Partien, um mich heraus­zu­for­dern, und arbei­tete an meinem Pass­aggio. Dieser Regis­ter­wechsel in der Stimme ist ein schwie­riger Punkt für Tenöre. So verliebte ich mich in jede Art von Reper­toire. Ich wollte alles versu­chen. Mein Manager ist ein Opern-Fan. Er kennt alles, sogar ausge­fal­lene fran­zö­si­sche Opern, über die niemand etwas weiß. Sobald eine selten gespielte Oper auftauchte, wies er mich darauf hin, und meist kannte ich die Arien daraus schon. Wir hatten damals eine große Zeit, in der wir ständig nach Unbe­kanntem und Einzig­ar­tigem suchten. So sang ich neben Belcanto und einigen neuen Stücken auch seltene fran­zö­si­sche Opern und viele Mozart-Partien. Einmal sang ich sogar die Partie des Nerone aus Claudio Monte­verdis L’incoronazione di Poppea in der Tenor-Version. Das war eine groß­ar­tige Erfah­rung für mich. Ich hoffe, diesen Weg weiter­zu­gehen und mich immer wieder mit neuem Reper­toire heraus­zu­for­dern. Gerne würde ich einige lyri­sche Wagner-Partien hinzu­fügen. Ich träume davon, eines Tages Lohen­grin zu singen. Es gibt eine Tradi­tion, dass Tenöre diese Partie singen.

Fotos: Vincent Lecart, Katerina Goode