Broadway

Amüsieren wir uns!

von Maria Goeth

19. Juli 2017

Unsere Autorin hat sich am Broadway das neue Musical „Charlie and the Chocolate Factory“ von Marc Shaiman, David Greig und Scott Wittman angesehen.

Unsere Autorin hat sich am Broadway das neue Musical „Charlie and the Choco­late Factory“ von Marc Shaiman, David Greig und Scott Wittman ange­sehen. Noch mehr beein­druckt als der Show-Glitter hat sie: die auf beson­dere Weise wohl­wol­lende Haltung des Publi­kums. Warum routi­nierte Opern­gänger hier etwas lernen können…

Allein schon der Weg vom New Yorker Times Square mit all seinem über­di­men­sio­nierten Blinky-blink hin zu den optisch jeweils feinst auf ihre aktu­elle Darbie­tung abge­stimmten Musik­tem­peln des Broadway lässt selbst hart­ge­sot­tene euro­päi­sche Groß­städter in Schnapp­at­mung verfallen. Nähert man sich dem Lunt-Fontanne Theatre, wo seit April „Charlie and the Choco­late Factory“ gegeben wird, springt schon einen Häuser­block zuvor die Beflag­gung in Quietsch-Pink und Gold mit dem omni­prä­senten „W“ für Willy Wonka ins Auge, um dessen Scho­ko­laden-Impe­rium sich im Stück alles dreht. Und drinnen, ja drinnen bekommt man dann form­voll­endet all das serviert, was man von einer solchen Show viel­leicht erwarten mag: eine mal mehr, mal weniger funk­ti­ons­fä­hige Adap­tion des Kinder­buch­klas­si­kers von (1964) bezie­hungs­weise stärker noch von deren berühmter Verfil­mung durch mit in der Haupt­rolle (2005), eine Mischung aus sanftem Kitsch, soliden Akteuren (bemer­kens­wert der sensa­tio­nelle Kinder­dar­steller Ryan Foust als Charlie Bucket), einem Hauch über­drehtem Show­glitter, etwas Klamauk (vor allem die Darstel­lung des klein­wüch­sigen Volks der Oompa Loompa), einer Prise Illu­si­ons­theater (entschwe­bende Papier­flieger, hinweg­glei­tende Sekre­täre, das plat­zende Mädchen Violet), einer Musik, die ein wenig wie das Medley aus bereits bekannten Musi­cal­me­lo­dien wirkt, und einem biss­chen Media­show.

Amüsieren wir uns!

Doch noch bevor die Show über­haupt beginnt, lohnt sich ein Blick weg von der Bühne mit dem in sehr tiefem Graben darunter einge­ker­kerten Orchester, das am Ende nicht einmal einen eigenen Applaus erhalten wird, hin zu den Neben­män­nern, Neben­frauen und ja, auch jeder Menge Neben­kin­dern. Bewegt man sich sonst eher in den Sphären des tradi­tio­nellen Opern- und Konzert­be­triebs, ist hier etwas funda­mental anders. Und nein, es sind nicht reine Äußer­lich­keiten wie die Durch­mischt­heit der Gewan­dungen von lässigem Bummel-Outfit bis großer Abend­gar­de­robe, von kurzer Hose bis Bügel­fal­ten­rock. Es ist eben­so­wenig die Durch­mischt­heit der Alters­gruppen, Natio­na­li­täten und offen­kundig verschie­denen sozialen Herkünfte. Es ist auch nicht die Möglich­keit der Mitnahme von Speisen und Getränken in den Saal – selbst­ver­ständ­lich darge­reicht in Behält­nissen im Willy-Wonka-Design – und dem dadurch evozierten popcorn­se­ligen Kino-Feeling. Es ist die Tole­ranz, mit der all dies geschieht! Menschen, die eine ganz spezi­fi­sche Art der Offen­heit besitzen: Nicht nur ihrem Mit-Publikum sondern auch und im Beson­deren dem gegen­über, was gleich auf der Bühne geschehen wird. Sie sind ulti­mativ willig, sich begeis­tern zu lassen; ulti­mativ willig, sich verführen zu lassen; ulti­mativ willig, zu lachen. Sie sind auf spezi­elle Art wohl­wol­lend in Perfek­tion. Und sehr entschei­dend: Sie sind nicht dumm oder kritik­un­fähig. Sie kulti­vieren eine beson­dere Form von Betrach­tungs-Opti­mismus.

Dagegen die Welt der „Hoch­kultur“, in der schon das Wort „Show“ despek­tier­lich ist

„A person can’t eat dayd­reams!“ Lächelnd verzie­hene Binsen­weis­heiten

Bei „Charlie“ bekommt jeder Solist einen Auftritts­ap­plaus, egal ob Broadway-Promi­nenz oder Newcomer. Über viele Klischees (die russi­sche Super­snob-Familie, der perma­nent Würste futternde, deut­sche Fett­wanst mit jodelnder Mutter etc.) oder Allge­mein­plätze („A person can’t eat dayd­reams!“) lacht das Publikum einfach hinweg, um sich an den etwas ironi­scheren und klügeren Gags umso mehr zu freuen („Here in the bossom of America, we give our kids a lot of love and lots of guns“). Am Bühnen­aus­gang werden die Darsteller des Abends gefeiert wie Popstars.

Warum nicht vom Musi­cal­pu­blikum lernen und mit einem maximal offenen und tole­ranten „Unter­halte mich! Verführe mich! Bezau­bere mich! Denn ich will unter­halten, ich will verführt, ich will bezau­bert werden“ in die Oper gehen? Und zuweilen alles einfach mal eine richtig gute Show sein lassen?

Fotos: Joan Marcus