Annette Dabs
Poetisch und schaurig
von Maria Goeth
9. Oktober 2017
Puppen bevölkern die Opern- und Theaterbühnen. Annette Dabs, die Leiterin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst, im Gespräch über Wirkmächtigkeit der Puppen.
CRESCENDO: Frau Dabs, Sie sind seit 20 Jahren Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin des Deutschen Forums für Figurentheater und Puppenspielkunst (dfp). Wie kam es dazu?
Annette Dabs: Das passierte ganz überraschend: Es kam ein Anruf mit dem Angebot, diesen Posten zu übernehmen. Ich hatte zuvor Musiktheaterregie studiert, bin dann zum Schauspiel gewechselt, wo ich unter anderem bei Peter Zadek gelernt habe und selbst inszenierte. Insofern war ich mit dem Thema Figurentheater überhaupt nicht vertraut und habe zunächst so reagiert, wie es die meisten meiner Kollegen tun würden: „Was soll ich denn mit Puppen?“ Dann bin ich aber doch neugierig geworden und habe schnell gemerkt, was es da für einen Schatz zu heben gilt und wie groß das Potenzial ist.
»Die Entwicklung ist rasant, weil sich mit den digitalen Medien eine weitere Dimension eröffnet hat«
Welches Ansehen hatte das Figurentheater bei Ihrem Amtsantritt?
Kein besonders positives, obwohl meine Vorgängerin – wie auch viele andere Kollegen in der Szene – gute Arbeit geleistet hatte. Insgesamt war Figurentheater immer noch ein Synonym für Kinderbespaßung. Selbst bei einer Sitzung im Deutschen Kulturrat wurde ich damals gefragt, womit ich mich den ganzen Tag beschäftigen und ob ich die Länge der Fäden von Marionetten zählen würde.
Was hat sich seither getan?
Enorm viel – auch weil wir uns mit dem dfp dafür eingesetzt haben, das Figurentheater hierzulande zu stärken und sein Image zu verändern. Mittlerweile ist alles möglich – von traditionellen Institutionen wie der Augsburger Puppenkiste bis zu Spielern und Ensembles, die experimentell mit Objekten und Materialien arbeiten. Vor allem im Moment ist die Entwicklung ganz rasant, weil sich mit den digitalen Medien eine weitere Dimension eröffnet hat.
»Zu DDR-Zeiten war das Puppentheater als vierte Sparte fester Bestandteil an fast jedem Stadttheater im Osten«
Alle zwei Jahre veranstalten Sie in Bochum, Essen, Hattingen und Herne das internationale Festival FIDENA – Figurentheater der Nationen. Ein weiteres wichtiges Forum für außergewöhnliche neue Produktionen ist das Internationale Figurentheater-Festival Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach. Wo kann man abgesehen davon Einblick in die aktuelle Szene bekommen?
An interessanten Stücken herrscht bei uns kein Mangel. Dank zweier Studiengänge – Figurentheater an der HMDK Stuttgart und zeitgenössische Puppenspielkunst an der HfS Ernst Busch in Berlin – werden junge Talente ausgebildet, die nach ihrem Abschluss Fördermittel für neue Produktionen bekommen können. Was fehlt, sind Bespielbühnen. Außer dem FITZ! in Stuttgart, der Schaubude in Berlin und dem Lindenfels Westflügel in Leipzig gibt es kaum geeignete Orte für Aufführungen. Zu DDR-Zeiten war das Puppentheater als vierte Sparte fester Bestandteil an fast jedem Stadttheater im Osten. Davon ist leider nicht mehr viel übrig. Einziger Neuzuwachs ist das Theater in Koblenz, das seit der Spielzeit 2014⁄15 auch Puppentheater fest im Spielplan hat.
Auf der anderen Seite sind Theaterstücke oder Opern en vogue, in die Puppen einbezogen werden, so im Sommer 2017 bei den Münchner Opernfestspielen Nikolaus Habjans Oberon. König der Elfen oder Lotte de Beers Inszenierung von Moses in Ägypten bei den Bregenzer Festspielen. Was halten Sie von dieser Tendenz?
Wenn die Akteure kompetent sind, macht dieses Stilmittel Sinn und kann sehr eindrucksvoll sein. Sehr gelungen fand ich 2012 Barrie Koskys Orpheus, bei dem Frank Soehnle ein lebensgroßes Skelett durch die Szenerie führte und so inmitten der opulenten, sinnlichen Ausstattung den Tod anschaulich vor Augen führte. Ansonsten sind die Ergebnisse nicht immer befriedigend. Theater und Opernhäuser müssen einsehen, dass der Umgang mit Puppen gelernt sein will und Schauspieler oder Sänger das nicht automatisch können. Idealbesetzung sind Regisseure wie Suse Wächter oder Moritz Sostmann, die in beiden Welten zu Hause sind. Interessant ist, dass im Ausland, wo es keine Stadttheaterstruktur gibt wie bei uns, auf Festivals genauso gut Schauspiel wie Figurentheater gezeigt und keine Trennung zwischen den Genres gemacht wird.
Worin liegt generell die Stärke des Figurentheaters?
Es funktioniert in jeder Größe – von winzig mit Fingerpuppen bis riesengroß wie die mehrere Meter großen Marionetten der französischen Straßentheatertruppe Royal de Luxe. Besonders wirkungsvoll ist es auf der emotionalen Schiene; Puppen können sowohl unglaublich poetisch als auch extrem schaurig wirken. Außerdem ist die Fantasie des Publikums stark gefordert. Wenn auf der Bühne etwas belebt, „animiert“ wird, passiert die Animation eigentlich im Kopf des Zuschauers. Sehr viel profitiert das Figurentheater auch von der Öffnung zu den bildenden Künsten, wodurch sich noch mehr Techniken und Dimensionen erschließen. Letzteres gilt aber auch für Schauspiel und Oper, die immer häufiger Genregrenzen überschreiten.
»Ich fände es wichtig, dass sich das Figurentheater mehr politisch einbringt«
Insgesamt scheint sich das Figurentheater erfolgreich als eine Form der darstellenden Kunst etabliert zu haben. Sind bei Ihnen trotzdem noch Wünsche offen?
Ich fände es wichtig, dass sich das Figurentheater mehr politisch einbringen und gesellschaftlich relevantere Themen aufgreifen würde. Dazu gehört für mich auch der verstärkte Einsatz von Sprache, mit der man Dinge leichter auf den Punkt bringen kann. Im Mai 2018 werden politische Stücke deshalb der Schwerpunkt unseres Festivals sein. Schön fände ich es auch, wenn es mehr Kooperationsmöglichkeiten mit Stadttheatern und Opernhäusern geben würde, die über ganz andere finanzielle und technische Möglichkeiten verfügen. Und zwar nicht, indem Puppen in Stücke integriert, sondern auf Augenhöhe eigenständige, hochqualitative Figurentheater-Produktionen entwickelt würden. Am Schauspielhaus Bochum konnte ich im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit Moondog inszenieren. Im Laufe dieses performativen Konzerts über den amerikanischen Musiker Louis Thomas Hardin, das in dieser Spielzeit wieder zu sehen ist, beginnt sich ein vermeintlicher Berg im Hintergrund der Bühne zu bewegen – ein gigantischer Hund, entworfen von der bildenden Künstlerin, Puppenspielerin und Ausstatterin Stefanie Oberhoff.
Weitere Informationen zum deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst (dfp) auf: www.fidena.de