Johannes Itten u.a.
Musik am Bauhaus
5. Februar 2019
Mechanisches Ballett, ekstatische Klaviermusik und selbst gebaute Geräuschinstrumente – die Musik am Bauhaus war so innovativ wie seine Architektur.
Musik war am Bauhaus kein Lehrfach, einen „Musikmeister“ hat es nie gegeben. Zwar fanden am Bauhaus neben offenbar recht schrägen Tanzabenden mit der Bauhauskapelle durchaus klassische Konzerte statt, doch ein Hort der musikalischen Avantgarde war es im Grunde nie. Zumindest einmal stand jedoch die aktuelle Musik im Mittelpunkt: Anlässlich der Bauhauswoche 1923 erklangen in einem Konzert Werke von Ferruccio Busoni, Arnold Schönberg, Béla Bartók, Paul Hindemith und Igor Strawinsky.
Wahrnehmungsstudien und musikalische Übungen
Der wesentlichste und pädagogisch prägendste „Meister“ der ersten Jahre war zweifellos Johannes Itten, der mit der Einführung seines „Vorkurses“ Maßstäbe in der Kunstpädagogik setzte, die noch heute wirksam sind. Teil dieses Konzepts waren neben Zeichenunterricht, Material- und Formenkunde auch Wahrnehmungsstudien und musikalische Übungen, die Gertrud Grunow – als einzige „Musiklehrerin“, die das Bauhaus je hatte – anleitete. Hier ging es jedoch nicht um Musikunterricht im engeren Sinne, sondern vielmehr um Entspannungsübungen, um Harmonisierung, um das Umsetzen von Klängen in Bewegungen, in Gesten oder auch in Haltungen.
Itten hatte in seiner Wiener Zeit engen Kontakt zu Josef Matthias Hauer gefunden. Die Künstler fühlten sich wesensverwandt, beide arbeiteten an einem Synästhesie-Konzept, der Zuordnung von Farben zu Klängen, des Entwickelns von Farben- und Tonkreisen. Der Musikschriftsteller und Komponist Hans Heinz Stuckenschmidt, dem wir einen Zeitzeugenbericht über die Musik am Bauhaus verdanken, berichtet davon, dass Kompositionen von Hauer in Weimar auch nach Ittens Weggang noch bekannt waren und dass Vorträge über dessen Musik auf großes Interesse stießen. Itten und Hauer hatten offenbar sogar erwogen, in Weimar als Ergänzung des Bauhauses eine Musikschule zu gründen. Doch dieser Plan hatte ich ebenso wie Kandinskys Plan, Schönberg als Rektor für die Weimarer Musikhochschule zu gewinnen, sehr schnell zerschlagen.
Ekstatische Klavierstücke
„Ich wuchs in Berlin heran, doch Weimar liegt nicht sehr weit von Berlin, und wir alle fuhren nach Weimar, wie Pilger nach Jerusalem oder Mekka.“ Stefan Wolpe war vermutlich der einzige professionelle Komponist, der je am Bauhaus war – jedoch nicht als Lehrer oder Meister, sondern als Schüler. Als solcher nahm er an Elementarkursen bei Itten und Paul Klee teil.
Hans Heinz Stuckenschmidt schreibt in seinem bereits erwähnten Artikel über seinen Besuch am Bauhaus: „Wolpe saß meistens einsam in einer Ecke und schrieb wieder einmal eines seiner ekstatischen Klavierstücke, das er Friedl Dicker widmete, einer hochbegabten Bauhäuslerin, die aus Wien kam und Johannes Itten nahestand.“
Stuckenschmidt selbst kam 1923 für einige Zeit auf Einladung von Moholy-Nagy ans Bauhaus. Er arbeitete gemeinsam mit Kurt Schmidt an dessen Mechanischem Ballett. Die Musik zu dem Ballett ist verschollen – soweit sie überhaupt je aufgezeichnet war, denn die Erinnerungen von Stuckenschmidt legen die Vermutung nahe, dass die Musik über weite Strecken improvisiert war. Dieser verstand sich allerdings weniger als Komponist, sondern schrieb vor allem Kritiken und Bücher, von denen viele noch heute zu den Standardwerken der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts gehören.
Musikalische Abenteurer
Ob George Antheil, der amerikanische Pianist und Komponist, der durch seine futuristischen Konzerte immer wieder für Skandale und Sensationen sorgte, jemals in Weimar war, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Und doch muss es Kontakte zum Bauhaus gegeben haben. Xanti Schawinski schreibt in seinen Erinnerungen an die Bauhauskapelle, die sich um Andor Weininger gebildet hatte und aus musikalischen Amateuren bestand, die Tänze und „Konzerte“ auf zum Teil selbst gebauten Geräuschinstrumenten improvisierten, dass mit der „Musik von Bach, Händel, Mozart, Antheil, Stuckenschmidt, Strawinsky, Hindemith oder den Improvisationen der Kapelle“ das Tanzgelage in eine atemlose Zuhörerschaft verwandelt wurde.
In einer Annonce zu den sogenannten „BauhausBüchern“ wurde auch ein Buch von George Antheil, musico mechanico, angekündigt. Dieses Buch ist jedoch nie erschienen. Unter gleichem Titel hatte Antheil in der Zeitschrift De Stijl bereits einen Artikel veröffentlicht, in dem es um die Musik der Zukunft ging, um den Einsatz der Maschine in der Musik, um die Erfahrung des Möglichen, des Schockierenden, um seine „stromlinienförmige Musik“. Der Herausgeber dieser Zeitschrift, der Literat, Maler, Theoretiker und Künstler Theo van Doesburg, lebte von 1921 bis 1923 in Weimar, zwar ohne unmittelbar am Bauhaus zu unterrichten, doch gab es zweifelsohne Kontakte zwischen ihm und den Bauhäuslern.
Lyonel Feinigers oft zitiertes musikalisches Schaffen beschränkt sich auf 14 Fugen für Orgel. Er war von seinen Eltern zwar ursprünglich nach Europa geschickt worden, um sein musikalisches Können zu vervollkommnen – galt er doch als eine Art Wunderkind, als begabter und frühreifer Violinvirtuose. Doch mehr und mehr wandte sich Feininger der bildenden Kunst zu, marginal blieb seine Auseinandersetzung mit Musik. An neuester Musik war Feinigner paradoxerweise nicht interessiert, genauso wenig übrigens wie Paul Klee.
Die Experimente, die Moholy-Nagy am Bauhaus – wahrscheinlich angeregt durch die Ideen von Piet Mondrian und dessen Schrift „Neues Gestalten“ – mit Schallplatten machte, in die er direkt Muster, Linien oder andere Gebilde ritzte, um sie dann abzuspielen, lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren; ebensowenig die Filmarbeiten von Hirschfeld-Mack oder Alexander László, die recht schlichte Klaviermusik zu ihren „Lichtspielen“ komponierten, welche aber eingestandenermaßen die Funktion hatte, die Stille während der Vorführungen zu überdecken und die Geräusche der Projektoren zu kaschieren.
Das erste Happening der Kunstgeschichte
Musik am Bauhaus. Obwohl es keinen „Musikmeister“ gab, haben die Ideen des Bauhauses doch auf die Musik eingewirkt, wenn auch eher mittelbar: Stefan Wolpe emigrierte über Palästina nach Amerika, wurde dort in New York ein gesuchter Lehrer und Anreger, unter anderem von Morton Feldman und David Tudor. Morton Feldman seinerseits schätzte die Musik von Josef Matthias Hauer außerordentlich. László Moholy-Nagy emigrierte ebenfalls nach Amerika, eröffnete nacheinander mehrere Kunstschulen in Chicago, die auch John Cage besuchte. Cage hat sich immer wieder in seinen Artikeln über den großen Einfluss und die Faszination, die von Moholy-Nagy ausging, geäußert. Und vielleicht stehen auch viele Experimente von Cage in mittelbarer Nachfolge zu den frühen Experimenten von Moholy-Nagy in Weimar. Josef Albers, erst Bauhausstudent, dann Bauhausmeister, emigrierte ebenfalls nach Amerika, wirkte als eine der Vaterfiguren der Maler des abstrakten Expressionismus wie Willem de Kooning, Jackson Pollock oder Mark Rothko. Er wurde Direktor am legendären College in Black Mountain, welches in vielen Dingen dem Bauhaus nachempfunden war. Hier fand das erste Happening – so zumindest stellt es sich im Rückblick dar – der Kunstgeschichte statt, mit Robert Rauschenberg, Merce Cunningham und John Cage.
Mehr über den Erfinder der Zwölftonmusik Josef Matthias Hauer: CRESCENDO.DE