Bayreuther Festspiele

Abschied vom „Ring“-Gerangel

von Maria Goeth

6. August 2017

Am Ende sind es dezente, fast schon melodiöse „Buh!“s, die sich in die Applausgischt mischen. Seit 2013, Wagners 200. Geburtstag, hatte Frank Castorfs „Ring des Nibelungen“-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen alljährlich die Wagner-Gemüter in Pauschalwallung versetzt.

Am Ende sind es dezente, fast schon melo­diöse „Buh!“s, die sich in die Appl­aus­gischt mischen. Seit 2013, Wagners 200. Geburtstag, hatte Frank Castorfs „Ring des Nibelungen“-Inszenierung bei den Bayreu­ther Fest­spielen alljähr­lich die Wagner-Gemüter in Pauschal­wal­lung versetzt. Im über­emo­tio­na­li­sierten Premie­ren­rummel hatte sich Castorf seiner­zeit gelassen, provo­kant und regel­recht genuss­voll minu­ten­langen Unmuts-Kano­naden ausge­setzt. Nun ging seine Inzwi­schen-fast-schon-Kult-Produk­tion in die letzte Runde (einzig seine „Walküre“ ist im kommenden Jahr noch einmal zu sehen). Eine Betrach­tung zum Abschied.

Um Castorfs Bilder­welten zu verstehen, sollte man sich zunächst bewusst machen, dass man sie in letzter Konse­quenz gar nicht verstehen kann. Der schei­dende Inten­dant der Berliner Volks­bühne arbeitet mit freier Asso­zia­tion, mit Verfrem­dung, mit Slap­stick, mit expe­ri­men­tellen Versatz­stü­cken einer­seits und mit ultrarea­lis­ti­scher Figür­lich­keit ande­rer­seits – was die Inter­pre­ta­ti­ons­ma­schi­nerie des regie­thea­ter­ge­schulten Betracht­erhirns gele­gent­lich brachial im Leer­lauf rotieren lässt. Zu versu­chen, das zugrun­de­lie­gende Werk mit Castorfs Bühnen­ge­schehen in Einklang zu bringen, ähnelt zuweilen dem Bemühen, Öl mit Wasser zu mischen. Doch damit stellt Castorf den auto­ma­ti­sierten und fast bis zur Verzweif­lung betrie­benen Dechif­frie­rungs­pro­zess des Insze­nie­rungs­nor­mal­kon­su­menten an sich in Frage.

Götter-Gangster-Gang

„Das Rhein­gold“ kommt dabei vergleichs­weise harmlos daher. Es wird im ange­schmud­delten Verbre­cher- und Prole­ten­mi­lieu rund um das „Golden Motel“ an der Route 66 in einem der 60er Jahre verortet. Das Setting ist ohne Weiteres mit Habgier, Untreue, Kompro­miss­lo­sig­keit und Inzest der Götter- und Helden­welt des „Rings“ kompa­tibel. Ob nun ein von den Rhein­töchter-Nutten verspot­teter Albe­rich das Gold aus dem Motel­pool stiehlt, Papa­razzi Loge mit seinem Zippo vor der motel­ei­genen Tank­stelle zündelt, die beiden Riesen in blauen Latz­hosen schei­ben­zer­trüm­mernd ihren Lohn einfor­dern oder Erda als pelz­be­män­telte Puff­mutter ihre Bedenken kundtut.

Viel passiert hier gleich­zeitig in den – übri­gens in allen vier „Ring“-Teilen – monu­men­talen Dreh­büh­nen­auf­bauten von Produk­ti­ons­de­si­gner Alex­ander Denić, die durch ihre Mehr­stö­ckig­keit die Bühnen­höhe optimal ausnutzen und figür­lich orien­tierte Betrachter in reine Verzü­ckung versetzen. Immer dabei (auch im Rest der Tetra­logie): Sich oftmals flexibel ausfah­rende Projek­ti­ons­flä­chen für Video­in­stal­la­tionen. Gerne stellt Castorf hier live von einem Kame­ra­mann abge­filmtes Bühnen­ge­schehen heraus, was sonst nur schwer oder gar nicht sichtbar wäre. Dieser Effekt läuft sich aufgrund seiner Varianz und Mischung mit vorpro­du­zierten Sequenzen auch im Rest der Tetra­logie nicht tot.

Außerdem immer dabei auch Kult-Statist Patric Seibert, eigent­lich Regie­as­sis­tent der Produk­tion, der im Laufe der Teile unter anderem als Tank­wart, abstra­hierter lese­süch­tiger Bär, als Kellner und schluss­end­lich als ermor­deter Döner­mann zu sehen sein wird. Castorf, der der Indi­vi­dua­lität seiner Darsteller viel Bedeu­tung beimisst, eröffnet allein schon dieser Figur einen eigenen Kosmos.

Eben­falls immer dabei: mal vage, mal deut­liche Bezüge zum Thema „Öl“. Für Castorf symbo­li­siert Öl inter­na­tio­nale Macht­in­ter­essen, aber eine simple Darstel­lung etwa des Rhein­golds als Öl hätte nicht mit seinen Verfrem­dungs­stra­te­gien harmo­niert: So zieht sich das schwarze Gold denn wie ein Leit­motiv durchs Werk, mal nur subtil in Gesichter geschmiert oder am Boden ausge­laufen, mal in Fässern getürmt oder gar als domi­nanter, beständig auf- und abni­ckender Förder­turm.

Leider schwä­chelt an diesem „Vorabend“ die musi­ka­li­sche Seite. Marek Janow­skis Dirigat wirkt unin­spi­riert und weich­ge­spült. Die Haupt­par­tien bleiben durchweg farblos: Albert Dohmen als Albe­rich und Roberto Saccà als Loge fehlen Biss, Stimm­ge­walt und charak­te­ris­ti­sche Farbe; und kassiert für seinen zaghaften Wotan sogar einige „Buh“s. Immerhin über­zeugen in den Neben­rollen vor allem Karl-Heinz Lehner als profunder Fasold und Nadine Weiss­mann als facet­ten­reiche Erda.

Ur-Emotionen zum Gähnen

In „Die Walküre“ wird dem Betrachter schon etli­ches mehr an geis­tiger Akro­batik abver­langt, um die Verpflan­zung der Geschichte in eine düstere Ölför­der­an­lage irgendwo in Aser­bai­dschan nach­zu­voll­ziehen (oder sollte man sich vom Nach­voll­zie­hen­wollen bei Castorf endgültig frei­ma­chen?). Abge­sehen von den bereits erwähnten Video­in­stal­la­tionen und dem übli­chen Auf- und Abge­renne in den Denić’schen Bühnen­auf­bauten bleibt dieser „Ring“-Teil bei Castorf vergleichs­weise statisch, um nicht zu sagen beson­ders im zweiten Akt schlicht und ergrei­fend lang­weilig, denn hier verwei­gert Castorf seinen Figuren beson­ders deut­lich Charak­ter­zeich­nung, psycho­lo­gi­sche Entwick­lung, Kommu­ni­ka­tion und vor allem Emotion. Und das gerade an Stellen, an denen letz­tere beson­ders brachial heraus­ge­ar­beitet werden könnten: in der abgrün­digen Erotik des inzes­tuösen Ehebruchs der Zwil­lings­ge­schwister Sieg­linge und Sieg­mund, und in Reak­tion darauf im Götter­kon­flikt zwischen Liebe, Ehre, Feig­heit und Schuld. Castorfs Figuren bleiben isoliert, entwickeln/​reiben sich nicht anein­ander. Verblüf­fend, dass sich gerade dieser Teil bei den Bayreu­ther Besu­chern größerer Beliebt­heit erfreut – viel­leicht, weil in dem braven Setting auch nichts wirk­lich strittig sein kann. Immerhin tröstet die Sänger­be­set­zung über einiges Unge­mach hinweg, so mit und als stimm­starkem und stimm­schönen Geschwis­ter­paar Sieg­mund und Sieg­linde und als kraft­vollem Wotan, dessen Text­ver­ständ­lich­keit leider mangel­haft ist.

Bei Castorf hat eigent­lich jede Frau­en­figur etwas Nuttiges

In den letzten beiden Teilen lässt Castorf es im wahrsten Sinne des Wortes krachen (ob man das Schwert Notung bei der Tötung von Fafner nun wirk­lich durch eine donnernde Kalasch­nikow ersetzen muss, darüber lässt sich frei­lich streiten). Viel Anspie­lungs­rei­ches – immer wieder werden auch Spiel­filme zitiert – Komi­sches, Verwir­rendes, Effekt­volles trifft hier aufein­ander. In „Sieg­fried“ wird szenisch ein Ost-West- bzw. ein Kommu­nismus-Kapi­ta­lismus-Konflikt aufge­macht. Auf der einen Seite der nun schon bestens vertrauten Dreh­bühne findet sich eine „Kommu­nismus-Schlucht“ mit den Konter­feis von Stalin, Lenin, Mao und Marx als Mount Rushmore. Auf der anderen Seite prangt die Konsum­welt von Alex­an­der­platz. Durch diese Welten taumeln die Helden, wobei immer wieder starke, witzige, zuweilen auch berüh­rende Bilder entstehen: Etwa wie sich Erda die rich­tige Perücke für die Begeg­nung mit ihrem Ex Wotan, mit dem sie immerhin acht Kinder hat, aussucht – bei Castorf hat eigent­lich jede Frau­en­figur etwas Nuttiges –, um sich beim späteren gemein­samen Spaghet­tiessen von ihm demü­tigen zu lassen; wie der Wald­vogel durch ein opulentes Karneval-in-Rio- Glit­zer­kostüm aufge­wertet wird und urko­misch-tragisch – und in der Anlage sehr musi­ka­lisch, wenn Ana Durl­ovski ein weniger schrille Stimme hätte – Sieg­fried zu verführen versucht; wie Sieg­fried Müll über den toten, unge­liebten Zieh­vater Mime ausschüttet oder wie Sieg­fried und Brünn­hilde sich am Ende finden, in naiver Unkenntnis des anderen Geschlechts aber noch pani­sche Angst vorein­ander haben, während – übri­gens seit 2013 jedes Jahr mehr – Kroko­dile um sie herum­schlen­dern, die sie ganz nebenbei mit Essens­resten füttern. Das inter­pre­ta­ti­ons­wil­lige Hirn sagt: Vorein­ander haben die beiden Panik, die eigent­lich angst­er­re­genden Krea­turen (Kinder Fafners?) nehmen sie hingegen nicht einmal richtig wahr. Nur als ein Krokodil den Wald­vogel fressen will und Sieg­fried ihn rettet, handelt er sich dadurch einen „Ehekrach“ mit seiner liebsten Brünn­hilde ein. Aber viel­leicht mag das Ganze in seinem Slap­stick-Charakter auch einfach nur für sich stehen.

Ab „Sieg­fried“ lebt Diri­gent langsam auf – dennoch bleibt die Orches­ter­leis­tung kein Vergleich etwa zu der unter , der in diesem Jahr bei „Tristan und Isolde“ wieder einmal beweist, wie entflammt, packend und messer­scharf Wagner klingen kann. Sänge­risch ist vor allem Andreas Conrad als verbit­terter, hinter­lis­tiger Mime hervor­zu­heben sowie Cathe­rine Foster, die bereits seit 2013 in drei von vier „Ring“-Teilen eine über­zeu­gende Brünn­hilde gibt. Stefan Vinkes forcierter, etwas unkul­ti­vierter Tenor scheint am Anfang noch zur Rolle des Sieg­fried zu passen, in der „Götter­däm­me­rung“ ist er grenz­wertig.

Show­down an der Döner­bude

Szenisch knüpft Castorf in der „Götter­däm­me­rung“ an „Sieg­fried“ an, wo er sonst ja zu starke Bezüge zwischen den Teilen strikt meidet. Aber auch den letzten Teil des 16-Stunden-Opern-Monu­men­tal­werks lässt er in Berlin spielen: Die Gibi­chun­gen­halle ist eine Döner­bude direkt an der Berliner Mauer, andere Szenen spielen in einem schumm­rigen Miets­haus-Innenhof mit über­di­men­sio­nierter Leucht­re­klame „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Die Nornen sind – nuttige! – Glamour-Girls, die dubiose Voodoo-Rituale mit einem toten Huhn durch­führen. Stark und verstö­rend ist die Hoch­zeits­szene Gutrune und Sieg­fried: Im über­trie­benen Trubel der mit Besat­zungs­macht­fähn­chen wedelnden Gesell­schaft – ausge­zeichnet der Bayreu­ther Fest­spiel­chor! – geht Brünn­hildes Klage über Sieg­frieds Betrug nahezu unter, es wir geschlemmt, geknutscht, verge­wal­tigt und schließ­lich sogar gemordet. Gutrune wird über­zeu­gend als schwa­ches, liebes Mädchen gezeichnet – Brünn­hilde nicht eben­bürtig, die aber ihrer­seits gede­mü­tigt wird. Am Ende entpuppt sich der vermeint­liche, in Christo-Manier verhüllte Reichstag dann als Gebäude des „ Stock Exch­ange“. Der Kapi­ta­lismus hat – mit einer Fassade, die durchaus ein Walhall sein könnte – die Ober­hand gewonnen.

Musi­ka­lisch stachen im letzten Teil beson­ders Stephen Milling als fantas­tisch sonorer , als zorniger Gunther und in den Neben­rollen Wiebke Lehmkul als erste Norne heraus.

Fazit: Nicht alles von Castorf macht Spaß. Viele seiner Ideen sind spröde, plump, inkon­se­quent, schwer nach­zu­voll­ziehen, sehr versatz­stück­haft. Doch seine Art zu denken und zu arbeiten ist nach­wievor außer­ge­wöhn­lich, auf ihre sehr spezi­elle Art kreativ. Wir werden seinen „Ring“ fast schon ein wenig vermissen.