Coco Chanel
Mademoiselle Coco und die Kunst
von Angelika Rahm
6. Juni 2019
Unsterblich wurde sie mit ihrem Parfum N° 5 und dem kleinen Schwarzen. Doch es gibt auch eine weniger bekannte Seite im Leben von Coco Chanel: ihr Engagement für Musik und Ballett.
Alles begann mit der Freundschaft zweier Frauen: „Ohne Misia wäre ich als Dummkopf gestorben“, gestand Coco Chanel. Als sich die beiden 1917 kennenlernten, lebte Misia mit José Maria Sert zusammen, einem spanischen Maler, der ihr dritter Ehemann werden sollte. Die gesamte künstlerische Avantgarde, neben Pablo Picasso auch Jean Cocteau und Serge Diaghilew, der mächtige Impresario der Ballets Russes, war zu Gast in Misias Salon. Und so kam es, dass Cocos Bildung in Sachen Kultur der Pariser Muse und Mäzenin zu verdanken ist. Zunächst hatte Misia Cocteau und Diaghilew miteinander bekannt gemacht und so eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit initiiert. Im Mai 1920 schließlich stellte Misia Igor Strawinsky und Coco Chanel einander vor – eine Begegnung mit Folgen: Im folgenden September lud die erfolgreiche Modeschöpferin den notorisch klammen Komponisten ein, in ihrer neuen Villa im Pariser Vorort Garches zu wohnen. Nicht lange, und sie wurde seine Geliebte – und seine Mäzenin. Denn als sie von Diaghilews finanziellen Schwierigkeiten erfuhr, an denen eine neue Version von Strawinskys Ballett Le sacre du printemps im Pariser Herbstprogramm zu scheitern drohte, ließ sie die Kostüme in ihren Schneiderateliers ausführen und gab Diaghilew einen Scheck über eine enorme Summe – unter der Voraussetzung, niemand solle davon erfahren. „Er hat sich nie mit einem Wort verraten“, erinnerte sich Chanel später. „Ich habe ihm viel Geld gegeben, für Le Sacre, für Noces, alle die Stücke von Strawinsky.“ Die Liebesaffäre dauerte nur bis Februar 1921, lebenslange Freunde blieben sie dennoch, und Chanel unterstützte Strawinsky und seine Familie bis in die Mitte der 30er-Jahre.
Auch mit dem Universalkünstler Jean Cocteau verband die Modeschöpferin eine über 40 Jahre währende Freundschaft. Sie zahlte für seine Opium-Entziehungskuren, er wohnte in ihren Häusern. Sie machte ihn mit der Welt der Mode bekannt, er zeichnete ihre Modelle und entwarf Stoffe für ihre Kollektion. Cocteau war es auch, der als erster Chanels Talent als Kostümbildnerin nutzte: für seine 1922 uraufgeführte freie Bearbeitung von Sophokles« Antigone. Bühnenbilder und Masken stammten von Picasso, die Musik von Arthur Honegger. Dafür entwarf Mademoiselle getreu ihrer kategorischen Feststellung „Griechenland ist Wolle, nicht Seide!“ nicht nur die Kleidung, sondern für das Haupt von König Kreon auch ihr erstes Schmuckstück: einen goldenen Reifen, besetzt mit funkelnden Juwelen.
Bis 1937 fertigte Chanel für eine Reihe von Cocteaus Stücken die Kostümentwürfe, darunter Orphé, Oedipe roi und Les Chevaliers de la Table ronde. Aber der Reihe nach: Auf Antigone folgte Le train bleu – auf das Schauspiel eine Produktion der Ballets Russes – nach dem berühmten Zug, der die sonnenhungrige Pariser Gesellschaft an die Côte d’Azur brachte. Mehr erzählt das etwa 20-minütige Werk auch gar nicht: reges Treiben an einem mondänen Badestrand – junge Männer produzieren sich beim Sport, die Mädchen posen postkartenreif. Man flirtet, spielt Tennis oder Golf zur Musik von Darius Milhaud.
Dass Diaghilew Coco Chanel bat, dafür die Kostüme zu übernehmen, lag nahe. Schließlich war sie es gewesen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg Sportkleidung angefertigt und selbst getragen hatte, als noch keiner ihrer Kollegen überhaupt daran dachte. Ihre Idee aber war neu: Sie brachte ihren eigenen Stil auf die Bühne, entwarf echte Kleidung für die Tänzer, deren Füße sie entweder in Gummisandalen, Tennis- oder Golfschuhe steckte. Die Darstellerin der Perlouse, der schönen Badenden, erzählte von den Anproben in Chanels Arbeitszimmer: „Als ich meinen pinkfarbenen Badeanzug anprobierte, den wir alle ziemlich verwegen fanden, stellte sich die Frage, was ich auf dem Kopf tragen sollte. (…) Die niedliche kleine Badekappe, die für mich gemacht wurde, löste einen Modetrend aus.“
Für die Rolle der Tennismeisterin stand Suzanne Lenglen Pate, Primadonna der Tennisplätze der 20er-Jahre: einfaches knielanges Kleid, Strümpfe, Tennisschuhe und Stirnband. Bei der Figur des Golfspielers hatte Cocteau an den Prince of Wales gedacht, Chanel blieb diesem Vorbild treu: weißes Hemd mit Krawatte, Tweed-Knickerbocker, gestreifter Pullover samt ebensolcher Strümpfe. Und es kam, wie es kommen musste: Die aparten und eleganten Kostüme, vor allem die Badetrikots für Le Train Bleu, schafften nach der Uraufführung am 13. Juni 1924 den Sprung vom Pariser Théâtre des Champs-Elysées in die Sportmode der Cote d’Azur und Riviera.
Einige Jahre später sollte Chanel noch einmal für die Ballets Russes arbeiten – zum letzten Mal und quasi auf einem Umweg. Strawinsky hatte ein neues Ballett komponiert, Apollon Musagète. George Balanchine choreografierte das abstrakte Ballett, Diaghilew übertrug für die Pariser Aufführung dem Maler André Bauchant die Ausstattung. Als der jedoch keine Entwürfe lieferte, kopierte Diaghilew Apollos Tunika von einer Zeichnung Bauchants und steckte die drei Musen in Tutus, die später durch Kostüme von Chanel ersetzt wurden: eine Kombination aus klassischem Tutu und schlichtem ärmellosen Sommerkleid, um die Taille der wohlbekannte feine Kettengürtel.
Apollon Musagète (1928) blieb Chanels letzte Arbeit für die Ballets Russes. Genau ein Jahr später tanzte die Truppe zum letzten Mal in Paris. Anschließend gab Mademoiselle eine große Party. Der Garten ihres Hauses in der Rue du Faubourg Saint-Honoré war hell erleuchtet, ein Orchester und verschiedene Cabaret-Künstler unterhielten die Gäste, die geblendet waren von der Pracht der Szenerie und den Suppenterrinen, voll mit Kaviar.