Moritz Eggert über Siegfried Mauser

Darf ein Künstler alles?

von Moritz Eggert

2. Mai 2017

Muss es einem egal sein, was ein Künstler so zu Lebzeiten treibt? Dürfen die alles? Siegfried Mauser wurde in zweiter Instanz wegen sexueller Nötigung verurteilt.

Muss es einem egal sein, was ein Künstler so zu Lebzeiten treibt? Dürfen die alles?
Vor wenigen Tagen wurde – unter großem Medi­en­echo – Sieg­fried Mauser in zweiter Instanz wegen sexu­eller Nöti­gung verur­teilt. Wer diesen komplexen und meist falsch kolpor­tierten Fall wirk­lich verstehen will, dem lege ich sehr den hervor­ra­genden und sach­kun­digen Artikel von Patrick Bahners ans Herz, der am Freitag in der FAZ (Feuil­leton) erschien, und hier als zahlungs­pflich­tiger Artikel zu finden ist. Bezeich­nend an dem Artikel aller­dings ist, dass hier über­haupt so viel erklärt werden muss.

In dem Artikel wendet sich Bahners nämlich auch an die vielen promi­nenten Künstler, die sich nach dem ersten Prozess meist sehr despek­tier­lich über die klagenden Frauen äußerten, darunter natür­lich auch Enzens­berger mit seinen viel­fach zitierten „versto­ßenen Frauen als tücki­schen Teller­minen“ . Auch ein Peter Sloter­dijk beklagte nach dem ersten Prozess, dass wir uns angeb­lich einer neuen Phase der sexu­ellen Repres­sion annä­hern würden, ähnli­ches hörte man auch von Michael Krüger, der die von ihm gelei­tete als komplett „soli­da­risch“ zu Sieg­fried Mauser bezeich­nete, dabei aller­dings dezent vergaß, auch deren Mitglieder zu fragen. Fußnote: Nachdem sich der Unmut einiger Mitglieder regte – darunter auch von mir – bezeichnet er sie inzwi­schen wenigs­tens als zu „99%“ soli­da­risch zu Mauser, was wohl als Fort­schritt verstanden werden muss.

„Sexua­lität ist in unserem Kultur­raum quasi allge­gen­wärtig“

Immer wieder wurde auf die großen Leis­tungen Mausers hinge­wiesen, und dass es doch gar nicht anginge, dass man so jemanden anzeige. Hierbei steht immer unaus­ge­spro­chen im Raum, dass man als Künstler irgendwie „über den Dingen“ steht, und dass für einen „Künstler“ keine Gesetze gelten. Woher kommt diese selt­same Annahme? Zum funk­tio­nie­renden sozialen Zusam­men­leben einer größerer Gruppe von Menschen gehört das Befolgen bestimmter Regeln, die auf Rück­sicht­nahme und Respekt gegen­über anderen Menschen fußen. Der Künstler hat zwar durchaus – hierbei dem Hofnarr verwandt – das Recht, diese Rück­sicht zumin­dest virtuell auszu­reizen, durch verbale, visu­elle oder auch akus­ti­sche Provo­ka­tionen, aber das berech­tigt ihn keines­wegs dazu, tatsäch­liche Verbre­chen zu begehen. Wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sein sollen, sollten sich alle auch gleich gut benehmen, zumin­dest in der Theorie.

Nun zur angeb­lich sexu­ellen Repres­sion. Gibt es diese über­haupt? Ist unsere Zeit so spießig, dass Körper­kon­takte verpönt sind, Zärt­lich­keiten nur noch heim­lich statt­finden und alle unglaub­lich verklemmt sind? Man muss gar nicht subjektiv werden, es gibt sehr objek­tive Anzei­chen, dass dem nicht so ist. Was sich aber durchaus verän­dert hat ist das Bewusst­sein gegen­über Unge­rech­tig­keiten und der Anwen­dung von psychi­scher oder physi­scher Gewalt.

Sexua­lität ist in unserem Kultur­raum quasi allge­gen­wärtig. 10-Jährige bekommen ihre Aufklä­rung über youporn, aller­dings sind ihre Eltern meis­tens schneller und reden auch nicht lange um den heißen Brei herum. Hinz und Kunz lassen uns detail­liert und exhi­bi­tio­nis­tisch in zahl­losen Medien an ihren sexu­ellen Vorlieben teil­haben. Stand-Up Come­dians reißen derbe Kalauer über alle Aspekte der mensch­li­chen Zwei­sam­keit, Nackt­heit in Film und Fern­sehen wird nicht als proble­ma­tisch oder „shocking“ empfunden, bei „Big Brother“ gab es (wer erin­nert sich?) sogar schon Blow Jobs und einiges mehr. Natür­lich ist mir bewusst, dass das alles noch nicht das Para­dies ist (viel­leicht ist auch diese aufge­zwun­gene Frei­zü­gig­keit unpa­ra­die­sisch), es gibt nach wie vor Diskri­mi­nie­rung und Ausgren­zung, aber wohl kaum jemand würde die Uhr gerne wieder in die 50er Jahre zurück­drehen, als das das sexuell Anre­gendste was man zu hören bekam ein Kalauer von Heinz Erhardt war (nichts gegen Heinz Erhardt übri­gens).

„Es geht hier also keines­wegs um Sex, es geht um Macht“

Die öffent­liche Präsenz von Sexua­lität ist aber nur Ausdruck eines insge­samt im Vergleich zu früher doch wesent­lich tole­ran­teren Lebens­stils. Schwule und Lesben können öffent­lich zärt­lich zuein­ander sein, ohne dass es gleich einen Aufstand gibt, sie können Hotel­zimmer mieten, heiraten, Kinder groß ziehen und sogar gleich­zeitig Schla­ger­sänger sein. All dies war in den 70er Jahren zum Beispiel nicht möglich, in denen Mauser (nach seinen eigenen Worten im Prozess) als „Hippie“ durch einem „liber­ti­nären“ Lebens­stil geprägt worden sei (wobei man sich schon fragt, wie liber­tinär dieser Lebens­stil im der 70er gelebt werden konnte). Auch in den Kommen­taren von Krüger, Enzens­berger und Sloter­dijk schwang eine gewisse Nost­algie nach den „guten alten Zeiten“ mit, als man noch frei seine Sexua­lität zum Ausdruck bringen konnte, oder viel­mehr: einfach mal unge­fragt an den Busen ran durfte, ohne dass die Tussi sich gleich aufregte.

Aber halt: über welche Sexua­lität reden wir hier über­haupt? Über Sexua­lität an sich, oder über die Sexua­lität der Herren Enzens­berger etc.? Wenn man nämlich genau nach­schaut, geht es ganz gewiss nicht um die freie Sexua­lität von Jedermann/​Jederfrau, sondern nur um die Sexua­lität von ganz bestimmten Männern, meis­tens Macht­per­sonen, die es gewohnt sind, ihre eigene Vorstel­lung von Sexua­lität auszu­leben, ohne dass ihnen da jemand in die Quere kommt. Nach der freien Sexua­lität von Studen­tinnen, Mitar­bei­te­rinnen, Sekre­tä­rinnen wird übri­gens eher selten gefragt. Was wenig über­rascht, denn würden sie diese ausleben, wären sie sofort „Schlampen“ , und damit noch viel mehr Frei­wild für die „liber­ti­nären“ alten Herren.

Es geht hier also keines­wegs um Sex, es geht um Macht. Denn natür­lich sollte es jedem klar sein, dass die eigene Frei­heit da aufhört, wo die Frei­heit des anderen anfängt. Niemand kann ja etwas gegen einen „liber­ti­nären“ Lebens­stil einwenden, denn es sollten sich heut­zu­tage eigent­lich leicht genü­gend Menschen finden lassen, die diesem Lebens­stil ebenso frönen und mit denen man sich dafür zusam­men­finden kann. Das Problem beginnt da, wo ich meinen eigenen „liber­ti­nären“ Lebens­stil anderen aufdränge, oder sie unge­fragt dazu verführen will. Wer keinen Zungen­kuss bei einem rein beruf­li­chen Gespräch erwartet, wird davon scho­ckiert sein, so viel sollte klar sein. Wer gerade sein Diplom­kon­zert absol­vierte, erwartet nicht unbe­dingt, dass man jetzt Sex mit dem Chef der Hoch­schule haben muss.

„Da wird man ja wohl noch grap­schen dürfen“

All dies ist aber in der Musik­hoch­schule passiert, was man kaum glauben mag. Und über­haupt: die Musik­hoch­schule München. Von Patrick Bahners wie auch dem Mauser-Prozess­richter Koppen­leitner wurde sie scharf ins Gericht genommen. Hätte die Musik­hoch­schule nicht vieles von dem, was zum Beispiel Mauser trieb, verhin­dern können/​sollen/​müssen? Ich fürchte, die Frage ist sehr berech­tigt. Es konnte bei ihm kein Unrechts­be­wusst­sein für solche Hand­lungen entstehen, weil sie voll vom Betrieb getragen wurden.

Auch bei der Urteils­ver­kün­di­gung fiel auf, dass die Musik­hoch­schule keinerlei Vertreter geschickt hatte. Das dünkt merk­würdig, hatte doch Mauser – durchaus auch mit Verdiensten – das Haus zwölf Jahre geleitet. Aber nein, weder Frau­en­be­auf­tragte noch Hoch­schul­lei­tung waren anwe­send. Im Vorfeld des Prozesses waren Maßnahmen gegen sexu­elle Beläs­ti­gung ange­kün­digt worden, es gab eine anonyme Befra­gung sämt­li­cher Studenten sowie des Hoch­schul­per­so­nals zum Thema. Irgend­wann kam von der Hoch­schul­lei­tung dann die ominöse Nach­richt, man würde zu „gege­bener Zeit“ auf die Auswer­tung dieser sicher­lich brisanten Umfrage zu spre­chen kommen, das geschah aller­dings nie (Stand 29.4.2017). Verän­de­rung sieht anders aus. München ist aber ganz sicher nicht die einzige Musik­hoch­schule, die dieses Problem hat. Über­haupt: Verän­de­rung!

Woher könnte Verän­de­rung in der Baye­ri­schen Akademie der Schönen Künste kommen? Gäbe es dort keine Gene­ral­se­k­rä­terin und Mitar­bei­te­rinnen würde man dort über­haupt keine Frauen zu Gesicht bekommen, schon gar nicht in der Musik­ab­tei­lung. Es gibt weib­liche Mitglieder von Promi­nenz, die haben aber anschei­nend relativ wenig Lust, an den halb­jähr­li­chen Herren­kränz­chen teil­zu­nehmen. Denn diese Herren­runden sind – zumin­dest offi­ziell, wofür ich mich als eben­falls alter Herr in Grund und Boden schäme – zu „99% soli­da­risch“ mit einer Haltung, die man auch einfach mit „Man wird ja mal noch grap­schen dürfen“ umschreiben könnte.

„Das wird man ja noch mal sagen dürfen“ und „Da wird man ja wohl noch grap­schen dürfen“ sind übri­gens gar nicht so weit vonein­ander entfernt. Beide Haltungen liegen dem Trug­schluss auf, dass die eigene Meinungs­frei­heit wich­tiger als die Wahr­heit und die eigene Geil­heit wich­tiger als der grund­sätz­liche Anstand anderen Menschen gegen­über sind.
Womit wir wieder beim Thema wären. Dürfen Künstler alles?
Nein.
Nur in der Kunst.