… hier bin ich wieder!
von Axel Brüggemann
17. April 2020
DANKE!
… puh, endlich habe ich meinen Newsletter wieder unter Kontrolle – ich bin’s wieder: Axel Brüggemann. Ich bin vom Eier-Maldienst geflohen und verstecke mich bis nächsten Montag einfach auf dieser Internet-Unterseite. Bitte verraten Sie mich nicht! Und nun wieder zu Sache: Haben Sie auch das NDR-Interview von Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter gehört? Lieben-Seutter war Vorgänger und ist Freund von Wiens Konzerthaus-Chef Matthias Naske, und der argumentierte gegenüber Ö1 ähnlich. Es lohnt sich, alle Argumente noch einmal anzuhören und auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.
DER LIEBEN-SEUTTER FAKTENCHECK
Lieben-Seutter: „(Ich habe Wut im Bauch), weil der gute Herr Brüggemann im Alleingang mehr oder weniger dieses Konzert zu Fall gebracht hat, um dann nachher den Scheinheiligen zu machen.“
Genau, und morgen werde ich im Alleingang zum Mond fliegen, übermorgen den Krieg beenden und dann Elon Musk vom Twitter-Kauf abhalten! Der „gute Herr Brüggemann“ weiß jetzt nicht genau, ob er sich geehrt oder fürchterlich überschätzt fühlen soll. Könnte es sein, dass das Internationale Rote Kreuz, die Wiener Caritas und der Botschafter der Ukraine durchaus selbstständig denken, abwägen und dann positionieren? Wie kann man ausblenden, dass ein großer Teil der österreichischen Presse ebenfalls Fragen stellt (der Falter: „Die Frage ist nicht mehr, ob der Dirigent im Konzerthaus auftreten sollte, sondern ob dessen Intendant über genügend Taktgefühl verfügt.“), und selbst die New York Times über die Hintergründe des Konzertes berichtet?
Lieben-Seutter: „Die Bank (VTB) ist sicher ein Problem (…) Ein tolles Orchester von Weltrang zu unterhalten, da muss von irgendwoher Geld kommen. Currentzis erhält keine Subventionen des russischen Staates. Dass es von einer Bank, einer anderen Institution oder einem vermögenden Mäzen unterstützt wird, ist notwendig.“
Es ist kein Geheimnis, zu wissen, dass Subventionen von der VTB Bank ungefähr so sind wie Subventionen vom russischen Staat – nur verschleierter (ein Großteil der Gergiev-Stiftungen wurde ebenfalls von der VTB Bank unterstützt). Der Vorsitzende der Bank wird von Putin bestimmt, kein Rubel der Bank wird ohne Putins Zustimmung vergeben. Kurz: Das Orchester ist abhängig von Putin. Ähnlich verhält es sich mit dem Besitzer des DOM Radios, der (ebenfalls mit VTB-Hilfe) ein „privates“, putintreues Propaganda-Programm auf die Beine stellt und deshalb einer der wenigen noch operierenden Privatsender Russlands ist. Mit anderen Worten: MusicAeterna ist auf so ziemlich allen finanziellen Ebenen abhängig vom System Putin und sein gut bezahlter Propagandist in Sankt Petersburg.
Lieben-Seutter: „Er (Currentzis) hat 200 Mitarbeiter, hat einen Chor, hat ein Orchester. Er muss da vorsichtig vorgehen, und er weiß sehr genau, dass das Schicksal seines Orchesters an einem seidenen Faden hängt.“
200 MitarbeiterInnen? Die möchte ich sehen (was machen die denn alle??? – ihn bewundern?)! In Wahrheit besteht musicAeterna aus einem kleinen Kreis, der – quasi als Telefonbuch-Orchester – je nach Auftragslage erweitert wird. Es geht also nicht im Ernst um das „Schicksal eines Orchesters“ – das könnte ja so auch in Europa weitermachen –, sondern eher um das finanzielle Schicksal seines in Russland lebenden und Niedrig-Steuer zahlenden Dirigenten.
Lieben-Seutter: „Aber wir werden es sicher nicht zur Bedingung machen, dass er von heute auf morgen sozusagen seine Sponsoren loswerden muss, damit er noch auftreten darf. Das verlangt ja auch niemand von ihm, außer Herr Brüggemann.“
Nun, da sind wir wieder bei Punkt eins: So weit ich weiß, ist das Konzert in Wien nicht auf meine Anfrage hin abgesagt worden, sondern weil Rotes Kreuz, Caritas und der Botschafter der Ukraine Bedenken angemeldet haben. UND: Vielleicht auch, weil die Planung dieses absurden Benefiz-Konzertes bereits im Vorfeld (spätestens aber nach dem Rückzug des Roten Kreuzes) falsch war.
Lieben-Seutter: „In der Konstellation hat Herr Naske, bei dem sie schon lange regelmäßig zu Gast sind, mitgeholfen, Businesspläne zu machen, neue Geldgeber zu finden.“
Ich verstehe das richtig: Der Intendant des Wiener Konzerthauses stellt nebenbei Businesspläne für ein russisches Orchester auf, und zwar als „zeichnungsberechtigtes“ Mitglied einer Stiftung in Liechtenstein – und das soll kein Interessenkonflikt sein? Zumal irgendwie alle andere Vorstellung von dem haben, was die Stiftung tut, und warum mindestens zwei Stiftungen von musicAeterna aktiv sind (eine in der Schweiz und eine in Liechtenstein). Im Stiftungstext heißt es, dass es um Musik‑, Jugend- und Nachwuchsförderung ginge, der Vizepräsident der Konzerthausvereins erklärte mir hingegen, es ginge um die Organisation der europäischen Konzerte von musicAeterna – man wird einfach nicht schlau draus. Auch, weil einfach kein Tacheles geredet wird: Inzwischen weiß ich bereits von zwei weiteren KollegInnen aus Wien, dass Intendant Naske uns allen – weitgehend ungefragt – am Tag, bevor seine Stiftungs-Mitgliedschaft öffentlich wurde, noch erzählt hatte: „Sollte ich eine Nähe von Currentzis und musicAeterna zu Putin feststellen, werden sie im Konzerthaus nicht mehr auftreten – ich habe kein besonderes Verhältnis zu diesem Orchester.“ Glaubwürdig geht anders. Überhaupt ist es schon ein wenig amüsant, wie der Konzerthaus-Chef derzeit so ziemlich jedes österreichische Medium, das kritisch berichtet, abtelefoniert und bequatscht – so ging das provinzielle Klassik-Selbstmarketing im eigenen Saft viel zu lange. Aber auch hier scheint nun vielleicht endlich eine neue, transparentere Ära anzubrechen!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann