KlassikWoche 27/2019

Hitze­schock: AfD will Theater durch­leuchten, und Curr­entzis kriti­siert Russ­land

von Axel Brüggemann

1. Juli 2019

Mm Sommer scheinen die Gemüter erhitzt zu sein – und es wird ziemlich politisch: die AfD sorgt in Baden-Württenberg und Sachsen für Kultur-Provokationen, Teodor Currentzis kritisiert Russland – nur der Opus-Klassik macht weiter wie immer. Fast.

Will­kommen zur neuen Klassik-Woche,

im Sommer scheinen die Gemüter erhitzt zu sein – und es wird ziem­lich poli­tisch: die AfD sorgt in Baden-Würt­ten­berg und Sachsen für Kultur-Provo­ka­tionen, Teodor Curr­entzis kriti­siert Russ­land – nur der Opus-Klassik macht weiter wie immer. Fast.

WAS IST


AFD WILL STUTT­GARTER OPER DURCH­LEUCHTEN
Ist es die Hitze­welle in Deutsch­land, oder warum sind der AfD mal wieder die kultur­po­li­ti­schen Siche­rungen durch­ge­brannt? In einer Kleinen Anfrage will die Partei Klar­heit über die Staats­an­ge­hö­rig­keit der an staat­li­chen Thea­tern beschäf­tigten Künstler in – wo arbeiten beson­ders viele Ausländer? Angeb­lich wolle man so die Qualität der deut­schen Nach­wuchs­künstler vergleichbar machen. In Wahr­heit steckt hinter diesem Schachzug wohl eher die typisch natio­nale AfD-Propa­ganda. Marc Jongen, Chef­ideo­loge der AfD, sagte bereits 2017 „Es wird mir eine Freude sein, die Entsiffung des Kultur­be­triebes in Angriff zu nehmen.“ und machte klar, wie radikal man in der Partei denkt. Der Inten­dant des Badi­schen Staats­thea­ters in Karls­ruhe, Peter Spuhler, reagierte im SWR besonnen: Das Recht einer poli­ti­schen Anfrage sei ein hohes Gut, sagte er, das „von der AfD aber in einer krassen Weise miss­braucht wird, auch mit einer rassis­ti­schen Tendenz, die ich darin lese.“ Auf ihrer Home­page bezieht die Staats­oper eindeutig Posi­tion. Inten­dant Viktor Schoner lässt wissen: „Oper war und ist schon immer ein von Grunde auf inter­na­tio­nales Genre. Allein unsere jüngste Neupro­duk­tion von Arrigo Boitos Mefi­sto­fele: Ein deut­scher Stoff wird zur italie­ni­schen Oper. Ein kata­la­ni­sches Kollektiv insze­niert in Frank­reich – und bringt diese Produk­tion dann nach Stutt­gart. Ein Finne, eine Molda­wierin, ein Italiener, ein Ameri­kaner und eine Kolum­bia­nerin als Solist*innen stehen mit einem Chor aus verschie­densten Nationen auf der Bühne. Ein Italiener diri­giert das inter­na­tio­nale . Sinn­fäl­liger als an diesem Beispiel lässt sich die Inter­na­tio­na­lität unserer Kunst­form nicht anschau­lich machen!“ Mehr gibt es eigent­lich nicht zu sagen. PUNKT.


LEIP­ZIGER PHIL­HAR­MO­NIKER FEIERN MIT GYSI
Streit in . Zum Gedenk­kon­zert am 9.Oktober, bei dem 30 Jahre Mauer­fall gefeiert werden sollen, haben die Leip­ziger Phil­har­mo­niker ausge­rechnet den LINKEN-Poli­tiker Gregor Gysi als Fest­redner einge­laden. Auf dem Programm steht Beet­ho­vens Neunte. Nun tobt eine Debatte darum, ob PDS-Mitbe­gründer Gysi wirk­lich der geeig­nete Redner sei, um den fried­li­chen Protest gegen das DDR-Régime zu begleiten. Auf einer ganz anderen Baustelle tobt sich AfD-Kultur­denker und Musiker Matthias Moos­dorf aus, wenn er dem Direktor des Gewand­hauses, Andreas Schulz, einen offenen Brief auf Face­book schreibt. Schulz hatte sein Haus als welt­of­fenen Ort beschrieben und die Inter­na­tio­na­lität der Musik gefeiert. Moos­dorf polterte nun dagegen, warnte vor Über­frem­dung, berief sich auf die Bürger­ge­sell­schaft, die angeb­lich keine Wessis und Ausländer in Leipzig wolle, verkaufte die AfD als Förderin der Kultur (weil man für die tarif­liche Bezah­lung von Orches­tern sei, wobei unklar ist, ob das dann nur für deut­sche Musiker gilt?) und findet über­haupt, dass auch Deutsch­land endlich die austra­li­sche Einwan­de­rungs­po­litik über­nehmen solle und erklärt in großen Lettern: „YOU ARE NOT WELCOME!“. Man mag sowohl vom Streit um Gysi als auch von den Einlas­sungen Moos­dorfs halten, was man will – beides aber zeigt, wie wichtig es ist, dass beson­nene Menschen für Mensch­lich­keit, den Dialog, das Demo­kra­ti­sche und Inter­na­tio­nale in der Musik kämpfen – und wie schwer ihr Kampf im Leip­ziger Alltag zuweilen ist.

CURR­ENTZIS KRITI­SIERT RUSS­LAND
Dass Teodor Curr­entzis das Opern­haus in Perm verlässt, hat auch poli­ti­sche Gründe. In einem offenen Brief erklärte er nun, dass er Probleme mit den russi­schen Behörden hätte, die das Fein­ge­fühl gegen­über den Künst­lern vermissen ließen. „All die Jahre waren wir in einem stän­digen Kampf“, schrieb der grie­chi­sche Diri­gent etwas ange­säuert und echauf­fierte sich auch über die Homo­phobie inner­halb der russi­schen Regie­rung.


MACHT WEITER WIE IMMER – FAST
Er scheint nicht zu retten zu sein: der OPUS Klassik, form­erly known als ECHO-Klassik, hatte im letzten Jahr mise­rable Quoten. Auch deshalb, weil die Chance verpasst wurde, das Konzept, auf voll­kommen neue Beine zu stellen. Auch dieses Jahr wird eher weiter gewursch­telt: Es werden 46 Preise vergeben, acht weniger als im Vorjahr, dafür aber neue Kate­go­rien einge­führt: „Video­clip“, „Inno­va­tives Konzert“ und „Kompo­nist des Jahres“. Der etwas halb­her­zige und anbie­dernde Versuch der Phono-Indus­trie, von den Erfolgen der Veran­stalter zu profi­tieren. Ob diese Halb­her­zig­keit am Ende wirk­lich ein Neustart wird? Zumal die Opern- und Konzert­häuser in ihren Präsen­ta­ti­ons­formen längst viel inno­va­tiver und mutiger sind als das Fern­sehen, das erneut hofft, mit Thomas Gott­schalk das Publikum zu binden. Die Gele­gen­heit für einen Neustart war günstig – im Oktober werden wir sehen, wie neu er wirk­lich ist.

WAS WAR

EKLAT BEIM TSCHAI­KOWSKY-WETT­BE­WERB
Der Pianist An Tianxu war bereit, das Tschai­kowsky-Klavier­kon­zert zu spielen, als das Orchester des Tschai­kowsky-Wett­be­werbs plötz­lich Rach­ma­ninov anstimmte. Die Programm­folge wurde kurz­fristig umge­stellt, was aller­dings nur auf russisch geschah – und An Tianxu war offen­sicht­lich über­rascht. Das Video, das seine Irritia­tion zeigt, ging viral, und der Verant­wort­liche für die Umstel­lung der Werke wurde entlassen. Immerhin: Tianxus Auftritt hat ihn viel­leicht bekannter gemacht als der Gewinn des Wett­be­werbes.


DIE MAUS IN
Das ist schon ein High­light: Chris­tian Thie­le­mann diri­giert das im mysti­schen Abgrund des Fest­spiel­hauses. Auf den Pulten stehen erst­mals keine Wagner-Werke, sondern die Melodie der Sendung mit der Maus von Hans Poseggea. All das wurde letzten Sommer für eine Sonder­sen­dung des WDR aufge­nommen, in der die Maus zeigt, was dazu­ge­hört, um eine große Oper auf die Beine zu stellen. Drei Tage nachdem die dies­jäh­rige Saison der eröffnet wird, findet die TV-Première der „Bayreuth-Maus“ statt, am 28. Juli um 9.30 Uhr im Ersten, um 11.30 bei KIKA oder online in der MausApp.


PERSO­NA­LIEN DER WOCHE
Der Diri­gent Mariss Jansons musste alle Auftritte bis Ende August auf Grund gesund­heit­li­cher Probleme absagen. Bei den Salz­burger Fest­spielen wird er durch Yannick Nézet-Séguin ersetzt. +++ Der Drama­turg und Kultur­ma­nager Tobias Wolff wird 2022 neuer Inten­dant der Leip­ziger Oper. Bis dahin wird er weiterhin als Inten­dant der Inter­na­tio­nalen Händel­fest­spiele in arbeiten. Wolff gilt als gewiefter Manager und ist gleich­zeitig auch Musiker. +++ Der Inten­dant der , Wolf­gang Schaller, war umstritten: in seiner program­ma­ti­schen Rück­wärts­ge­wandt­heit. Aber er hat die Staats­ope­rette Dresden auch nach vorne gebracht, durch die Verpflich­tung von Diri­gent Ernst Theis und den harten Kampf um einen Neubau im Kraft­werk Mitte. Nun verlässt Schaller das Haus, das eine Auslas­tung vorweist, wie kein anderes in Dresden. +++ Schluss auch für Andreas-Mölich Zebhauser im Fest­spiel­haus . In einer Gesprächs­runde nannte er die Entschei­dung der für die Oster­fest­spiele an der Oos als einen seiner größten Erfolge. Gerade wurde bekannt, dass Ursula Koners als Geschäfts­füh­rerin des Inten­danten Bene­dikt Stampa in Baden-Baden antreten wird. +++ Der Betriebs­di­rektor der Münchner Staats­oper, Henning Ruhe, wech­selt an das Opern­haus im schwe­di­schen Göte­borg. +++ Dieser News­letter hat als einer der ersten davon berichtet, dass Domi­nique Meyer wohl von Wien an die Mailänder Scala gehen wird – nun ist der Vertrag fixiert, und Meyer wird 2021 in Italien beginnen. +++ Das Beet­ho­ven­haus Bonn hat pünkt­lich zum Kompo­nisten-Jubi­läum 2020 einen neuen Präsi­denten vorge­stellt: Es ist nicht Beet­hoven-Pianist Rudolf Buch­binder, nicht Beet­hoven-Diri­gent Martin Hasel­böck, nicht Beet­hoven-Neudenker Igor Levit, statt­dessen entschied man sich für den Leiter des Zürcher Kammero­ches­ters, des Chamber Orchestras in San Fran­cisco, den Leiter der Musik in der Frau­en­kirche, den Konzert­haus- und Radio-Mode­ra­toren und, ach ja, den Geiger: Daniel Hope. +++ Die Musik­welt trauert um den Kompo­nisten Iván Eröd, den Vater des Sängers Adrian Eröd, der mit 83 Jahren verstorben ist.


AUF UNSEREN BÜHNEN
Umstritten im besten Sinne war der Auftakt der mit Richard Strauss« Salome. Proble­ma­tisch findet der BR die Insze­nie­rung von Krzy­sztof Warli­kowski, der Salome in die Zeit des Zweiten Welt­krieges verlegte: Juden führen in ihrem Versteck die Strauss-Oper auf. „Fulmi­nant“ fand Robert Braun­müller in der Abend­zei­tung beson­ders Marlis Petersen in der Titel­rolle und das Dirigat von Kirill Petrenko. Das enttäuschte Fazit von Rainer Stephan im Tages­spiegel: „Weil Text und Musik der Insze­nie­rung stracks zuwi­der­laufen, muss die Inter­pre­ta­tion auch in diesem Punkt schei­tern.“ +++ Dieter Stoll feiert in der Deut­schen Bühne die Auffüh­rung von Wolf­gang Rihms Jakob Lenz in der Regie von Tilman Knabe unter Leitung von Guido Johannes Rumstadt in : „Was der blut­über­strömte Titel­held vor dem Blackout immer wieder als Vermächtnis über die Rampe ruft, könnte auch seinem Regis­seur als Lob gelten: ‚Kon-se-quent‘. Das Publikum hat sich etwas geduckt unter dem Wahr­heits-Beschuss – und die Auffüh­rung samt Regis­seur dann lang anhal­tend gefeiert.“ +++ Unzu­frieden war Chris­tian Wild­hagen in der NZZ mit dem Zürcher Nabucco in der Regie von Andreas Homoki. Span­nender gestal­tete Fabio Luisi die musi­ka­li­schen Span­nungs­bögen der Oper. +++ Begeis­tert ist Manuel Brug vom Richard Strauss Festival in Garmisch unter Alex­ander Lieb­reich: „Das Strauss-Festival hat sich endlich, auch wenn das vor Ort noch nicht so wahr­ge­nommen wird, viel stärker mit , mit seinem Tal, den , der Region verknüpft, wird dadurch endlich unver­wech­selbar.“ +++ Lesens­wert der Artikel von Marc Zitz­mann in der FAZ über das 230jährige Jubi­läum der Pariser Oper.

WAS LOHNT

Der 200. Geburtstag von Jaques Offen­bach wurde an dieser Stelle bereits oft gefeiert. Raphaela Gromes legt nun ein Album mit der hoch­vir­tuosen Cello­musik des Kompo­nisten vor. Offen­bach soll bereits mit sechs Jahren Cello-Auto­di­dakt gewesen sein – und vieles, was er für dieses Instru­ment schrieb, lässt seine Neuerfin­dung der Operette bereits voraus­ahnen. Offen­bach hat die meisten Stücke für sich selber geschrieben und mit ihnen in den Pariser Salons bril­liert. Es sind amüsante, hoch virtuose Musik-Geschichten mit fast sati­ri­scher Laut­ma­lerei. Wer meinte, alles über diesen Kompo­nisten zu wissen, der sollte sich mit seiner Cello-Musik beschäf­tigen, denn sie öffnet die Ohren wahr­lich neu. Neue Offen­bach-Einblicke auch an der Kölner Oper mit einer rasanten Geburts­tags­revue unter dem Titel Je suis Jaques, die von Chris­tian von Götz in Szene gesetzt und vom wunder­baren Gerrit Prieß­nitz diri­giert und am Flügel begleitet wurde. „Unter zuneh­mendem Alko­hol­ge­nuss geht es dabei durchaus nicht immer fried­lich zu“ schreibt Markus Schwe­ring im Kölner Stadt­an­zeiger, „zwischen der schönen Helena und der Dame vom Markt etwa entspinnt sich ein gehäs­siger Zicken­krieg mit köst­li­chen, wech­sel­sei­tigen Beschimp­fungen. (…) So führt der Abend nebenbei auch noch in einen weithin uner­schlos­senen Konti­nent Namens Offen­bach.“

Ach ja, und dann ist da noch die Crescendo-Vernis­sage am 11. Juli um 19:00 mit Werken der Malerin Frie­de­rike Sofie Hoel­lerer in den Münchner Räumen der Redak­tion. Treffen Sie unsere Mitar­beiter, feiern und entspannen Sie mit uns – Anmel­dung ganz einfach auf unserer Seite. Wenn die Hitze bleibt, ist natür­lich auch für Abküh­lung gesorgt!

Bis dahin, halten Sie die Ohren steif,
Ihr Axel Brüg­ge­mann

Fotos: Wiki Commons