Joko Winterscheidt

Wir haben die Pflicht, den Mund aufzu­ma­chen

von Rüdiger Sturm

31. Mai 2023

Geht es um innovative, mitunter aber kontroverse Formate der Fernsehunterhaltung, ist Joko Winterscheidt einer der zentralen Namen. Aktuell versucht sich der 44-Jährige in der Amazon Prime-Comedyshow »LOL: Last One Laughing«. Dabei ist er weit mehr als nur ein Clown der leichten Muse …

CRESCENDO: Herr Winter­scheidt, was hat Sie nach Ihren zahl­rei­chen Fern­seh­erfah­rungen dazu moti­viert, sich einem Format wie LOL – Last One Laug­hing auszu­setzen?

Joko Winter­scheidt: Zum einen kannte ich das Format und fand es irgendwie gut, weil es Humor auf eine ganz andere Art trans­por­tiert – und zwar darüber, dass nicht gelacht werden darf, was ja die Grund­vor­aus­set­zung bei gutem Humor ist. Hinzu kam die Neugier, wie man selbst damit umgeht, wenn man in so eine Situa­tion hinein­läuft.

Im Zentrum der Show stehen Gewinnen und Verlieren. Was war für Sie die lehr­reichste Nieder­lage Ihrer Karriere?

Eine große Nieder­lage war für mich die erste Show, die ich solo gemacht habe – „Beginner gegen Gewinner“. Es ging darum, dass ein Profi­sportler gegen einen Amateur­sportler antritt, und der Amateur­sportler darf dem Profi ein Handicap geben, damit sie sich auf Augen­höhe gegen­über­treten. Timo Boll, der erfolg­reichste deut­sche Tisch­ten­nis­spieler, hat zum Beispiel eine Brat­pfanne bekommen und gegen jemanden gespielt, der einfach nur gut war. Ich ging davon aus, dass das einen sehr hohen Unter­hal­tungs­wert hat. Die erste Staffel war noch okay, aber die zweite war unter „ferner liefen“, sodass die Sendung abge­setzt wurde. Bis dahin war ich erfolgs­ver­wöhnt, weil ich mit Klaas fast nur erfolg­reiche Shows gemacht hatte. Das so an sich selbst fest­zu­ma­chen und danach nach einem weiteren Format zu suchen, das für mich als Solo-Show infrage kommen könnte, hat schon sehr an mir gezehrt.

»Keinen Applaus von Menschen, die applau­dieren, wenn ein Boot mit Flüch­tenden unter­geht«

Mit Wer stiehlt mir die Show? ist Ihnen ja nun dieser Solo-Erfolg gelungen. Inwie­weit waren Sie sich sicher, dass das klappt?

Wenn man wüsste, was funk­tio­niert, würde man unend­lich viele Shows konzi­pieren, die immer funk­tio­nieren. Aber das ist ja das Span­nende: Niemand weiß es. Bei Wer stiehlt mir die Show? haben wir den Sende­platz von Dienstag auf Sonntag gewech­selt, weil wir alle der Meinung waren, das könnte ein Ort sein, an dem die Show auch funk­tio­niert. Was auch ein großes Risiko war, weil am Sonntag die Para­meter anders sind. Ich konnte vorher nicht sagen, ob das eine gute oder schlechte Entschei­dung war. Jetzt hat es funk­tio­niert, und ich bin sehr glück­lich, dass wir das gewagt haben. Für mich ist ausschlag­ge­bend: Fühle ich mich in dem Becken wohl, in dem ich mich da gerade bewege? Ist das eine Show, hinter der ich zu 100 Prozent stehe und in der meine Quali­täten – ein guter Gast­geber zu sein, eine gewisse Empa­thie mitzu­bringen – zur Geltung kommen.

Sie sind aber nicht nur der Mensch der Unter­hal­tung und des Halli­galli. Sie und Klaas Heufer-Umlauf haben beispiels­weise Ihren Insta­gram-Account an irani­sche Akti­vis­tinnen gegeben. Wie passen diese Moti­va­tionen zusammen?

Ich will beim Thema Iran nicht an erster Stelle stehen. Da ist Klaas genauso ein Teil davon wie auch die ganze Firma Teil davon ist. Man gibt den Account einfach weg, weil er in meinem Leben, also für das, was ich mache, keinen Stel­len­wert besitzt, für jemand anderen aber einen sehr großen. Wir sind uns im Klaren, wie sehr wir durch unsere expo­nierte Posi­tion eine Chance haben, Themen anzu­spre­chen, die unter­re­prä­sen­tiert sind. Und weil wir keine Jour­na­listen sind, können wir sie emotio­na­li­sieren und aufgreifen, ohne sie mit jour­na­lis­ti­scher Sauber­keit darlegen zu müssen. Am Ende sind wir Joko und Klaas. Wir haben für uns eine eigene Welt geschaffen, in der wir funk­tio­nieren und in der wir das Bedürfnis haben, Posi­tion zu beziehen – nach dem Motto: „Wir stehen zu dem Thema X so, und es ist wichtig, dass ihr das wisst.“ Das begann bei der ersten Flücht­lings­welle. Damals waren wir alle im Sommer­ur­laub und haben relativ schnell eine WhatsApp-Gruppe gegründet, weil wir wussten, dass wir etwas zu diesem Thema machen müssen. Also haben wir gesagt, wir wollen keinen Applaus von Menschen, die auch applau­dieren, wenn im Mittel­meer ein Boot mit Flüch­tenden unter­geht. Wir alle bei unserer Firma Florida Enter­tain­ment wissen, dass sich viele Menschen unsere Shows ansehen, deshalb haben wir auch die Pflicht, den Mund aufzu­ma­chen und uns zu posi­tio­nieren.

»Ich ertrage Unge­rech­tig­keit unfassbar schlecht«

Aber der „substan­zi­elle Quatsch“ bleibt Ihr Haupt­pro­gramm?

Ich würde niemals etwas ausschließen wollen, aber momentan bin ich mit dem aktu­ellen Programm glück­lich und zufrieden. Ich glaube, das, was wir an Ernst­haf­tig­keit anspre­chen dürfen, funk­tio­niert vor allem deshalb, weil wir diese andere Seite haben. Wären wir nur ernst, müssten wir 15 Minuten machen, während der wir nur witzig sein müssten. Ich weiß nicht, ob das ähnlich gut funk­tio­nieren würde.

Die Menge der ernsten Nach­richten hat während der letzten Jahren deut­lich zuge­nommen. Wie bewahren Sie selbst dabei Ihre gute Stim­mung?

Da gibt es gute und schlechte Tage. Es gibt Tage, an denen ich die Hoff­nung spüre, dass sich die Krisen poli­tisch lösen oder dass jemand zur Vernunft kommt. An anderen Tagen tele­fo­niere ich mit Freunden: Was machen wir, wenn der Extrem­fall eintritt? Man will dann gar nicht die Worte in den Mund nehmen, die einen im Kopf beschäf­tigen, weil man so Angst davor hat. Durch den Infor­ma­ti­ons­fluss der sozialen Medien hat man das Gefühl von Ohnmacht.

Welche Themen bewegen Sie im Allge­meinen?

Ich ertrage Unge­rech­tig­keit unfassbar schlecht. Das beginnt bereits dann, wenn ein Junge den anderen an der Bushal­te­stelle schubst. Ich habe das Gefühl, da muss man dazwi­schen­gehen und sagen: ‚Das macht man aber nicht.‘ Und es reicht bis hin zu den großen Themen dieser Erde. Das alles kann mich auffressen, aber da muss man sich zum Teil auch selbst schützen, dass man nicht in ein schwarzes Loch abtaucht, in dem man alles verliert.

Joko Winterscheidt

»Ich habe Verant­wor­tung dafür, wie sich mein Leben um mich herum gestaltet«

Gab es denn eine Situa­tion, in der Sie durch konkretes Einschreiten Unge­rech­tig­keit gestoppt haben?

Mir fällt jetzt spontan eher ein posi­tives Beispiel ein. Ich habe vor ein paar Wochen im Schwimmbad zwei Jungs gesehen, die waren viel­leicht elf oder zwölf. Der eine hat den perfekten Salto vom Sprung­brett gemacht, der andere wollte das auch, hatte aber absolut keine Körper­kon­trolle. Es war absurd, ihm dabei zuzu­schauen, wie er es versucht. Aber sein Freund hat ihn immer wieder aufge­baut. Ich habe die beiden eine Vier­tel­stunde beob­achtet, und dann habe ich dem Jungen, der seinen Freund unter­stützt hat, erklärt, wie toll ich das fand. Es ist auch gut, über etwas Posi­tives zu reden. Es hat mich gefreut, dass die beiden sich haben. Das ist ein Sinn­bild dafür, dass wir mehr fürein­ander da sein sollten als gegen­ein­ander zu sein.

Wären Sie in der Situa­tion der unge­lenke Junge?

Eindeutig. Schon allein, weil ich Höhen­angst habe. Ich neige zwar dazu, Sachen im Vorfeld groß­spurig anzu­kün­digen. Aber stünde ich dann dort oben, wäre ich voller Angst. Abge­sehen davon ist Wasser auch nicht mein Element, wenn es um persön­liche Sport­lich­keit geht.

Inwie­weit kennen Sie solche Erkennt­nisse aus der eigenen Kind­heit?

Es gab bei mir kleine Momente, in denen Erwach­sene gekommen sind und etwas gesagt haben, was Eindruck hinter­lassen hat. Je älter ich werde, desto mehr werde ich mir bewusst, dass ich Verant­wor­tung dafür habe, wie sich mein Leben um mich herum gestaltet. Darauf möchte ich Einfluss nehmen. Ich würde mir deshalb so sehr wünschen, dass bei diesen beiden Jungs die Erin­ne­rung einge­pflanzt ist: Es ist gut dem anderen zu helfen. Ich habe selbst mitbe­kommen, wie wichtig es ist, für andere da zu sein. Das war bei uns in der Familie so und auch in unserer Dorf­ge­mein­schaft. Wenn etwas in der Nach­bar­schaft war, hat man geholfen. Es gab da viele ältere Fami­lien, und als ich nach der Schule im Zivi-Alter war, habe ich eben als kräf­tiger junger Mann ange­packt. Man kann in kleinen Schritten Posi­tives bewirken.

Fotos: Christoph Köstlin