Karin Siedenburg

Die Strip­pen­zie­herin

von Maria Goeth

14. September 2021

Ein Schaltpult wie in einem Space Center der NASA – Karin Siedenburg hält alle Fäden einer Aufführung in der Hand.

Eigent­lich muss ihren Job grund­sätz­lich und immer erklären: „Ich kümmere mich um den reibungs­losen künst­le­ri­schen und tech­ni­schen Ablauf einer Opern­vor­stel­lung – vom Proben­saal bis zur letzten Vorstel­lung. Ich habe alle Fäden in der Hand und bringe alle Gewerke zusammen“, erläu­tert die Inspi­zi­entin dann. Über die Sprech­an­lage ruft sie die Sänger und andere Mitwir­kende früh­zeitig aus den Garde­roben ein, gibt Licht- und Tonsi­gnale für alle tech­ni­schen Vorgänge vom Vorhang­ziehen bis zum Pausen­gong und ist zusammen mit dem Bühnen­meister auch für die Sicher­heit verant­wort­lich – etwa dafür, dass kein Sänger in eine Versen­kung fällt. Und dann huscht sie von ihrem Pult aus auch noch auf der Hinter­bühne umher, um den Sängern aus den Gassen ihre Auftritte zu „geben“. Das Inspi­zi­en­ten­buch dient ihr dabei als takt­schlag­ge­nauer Fahr­plan.

Feuer, Wasser und Artisten

Die Heraus­for­de­rungen sind viel­fältig, zum Beispiel bei den beiden Produk­tionen von La Fura dels Baus, die sie betreute: „Da ist alles drin: von Feuer, Wasser und Pyro­technik bis zu Artisten, die sich vom Schnür­boden abseilen“, erzählt Sieden­burg. „In Ernst Kreneks Oper Karl V. stand die ganze Bühne unter Wasser, mussten diverse Spie­gel­wände fahren. Aufre­gend war auch die Urauf­füh­rung von Jörg Widmanns Oper Babylon – die Musik war nicht fertig. Wir haben also während der Proben­zeit noch auf die letzten Bilder gewartet. Aber ja, ich liebe es, wenn richtig viel zu tun ist!“

Klei­nere und größere Pannen bleiben nicht aus. Einmal bekam Sieden­burg vor einer Vorstel­lung von Così fan tutte den Anruf, der eiserne Vorhang, der im Brand­fall den Zuschau­er­raum von der Bühne trennt, würde klemmen. „Die Feuer­wehr sagte, die Vorstel­lung könne statt­finden, aber nur ohne Bühnen­bild“, erin­nert sich Sieden­burg. Sie raste in die Oper und entwarf kurzer­hand zusammen mit der Spiel­lei­terin eine Version ohne Bühnen­bild – nur mit ein paar Stühlen, Requi­siten und einem Baum. „Das war heiß!“, lacht sie, „denn das Stück in der Insze­nie­rung von Dieter Dorn lebt vom Versteck­spiel, und es gab ja keine Türen mehr, hinter denen man sich hätte verbergen können. Und in der Pause erkrankte dann auch noch eine Sängerin.“

Vom Hydrau­liker bis zum inter­na­tio­nalen Gesangs­star

Einen typi­schen Werde­gang gibt es für Inspi­zi­enten nicht, da es in Deutsch­land kein Ausbil­dungs­beruf ist. Meist sind es Quer­ein­steiger, die bereits an dem Theater sind, etwa ehema­lige Sänger oder Tänzer – denn das Haus schon gut zu kennen, ist von großem Vorteil. Sieden­burg arbei­tete vor ihrem Wechsel zur Inspi­zienz bereits sieben Jahre an der Baye­ri­schen Staats­oper: im Call­center und als Statistin. Sie hat italie­ni­sche Philo­logie studiert und außerdem viel Musik gemacht. Schließ­lich muss sie während all des Multi­tas­kings auch stets genau wissen, wo man in der Musik gerade steckt. „Auf alle Fälle muss man sehr kommu­ni­kativ sein, denn vom Hydrau­liker über den Kostüm­bildner bis zum inter­na­tio­nalen Gesangs­star hat man mit allen zu tun“, verrät Sieden­burg. „Es ist alles live, und im Gegen­satz zum Film kann man nichts wieder­holen. Aber ja, irgend­etwas passiert immer!“

Davon kann die Autorin selbst ein Lied singen, als sie vor Jahren als Inspi­zi­entin einsprang. Mehrere Zuspie­lungen mussten auf Sicht gestartet werden, unter anderem ein Tele­fon­klin­geln – die Bühne konnte jedoch nur per Video­über­tra­gung einge­sehen werden. Im Laufe der Vorstel­lung schlich sich – zunächst unbe­merkt – eine tech­ni­sche Bild­ver­zö­ge­rung ein. Plötz­lich stand eine wutent­brannte Sängerin am Pult: Das Telefon hatte noch geklin­gelt, als sie längst den Hörer abge­nommen hatte – und das Publikum war in schal­lendes Gelächter ausge­bro­chen. Ja, irgend­etwas passiert immer!