KlassikWoche 18/2022
Dirigentenkarussell und die Klassik im Krieg
von Axel Brüggemann
2. Mai 2022
Die Nachfolge von Christian Thielemann und Valery Gergiev, die Forderungen des Ukrainischen Kultusministeriums, die Zukunft des Münchner Konzerthauses
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
schalten Sie nun bitte erst einmal Ihr Handy aus, sonst muss ich den Stift noch mal niederlegen, so wie Yannick Nézet-Séguin nach zwei Störern in der Elbphilharmonie. Wir reiten heute durch das, was in meiner KlassikWoche so passiert, durch die finanzielle Situation in München und Frankfurt und müssen uns auch diese Woche kurz mit Putins Klassik-Netzwerk beschäftigen.
DAS DIRIGENTENKARUSSELL
Es sind derzeit allerhand Dirigenten-Jobs zu besetzen – das Karussell dreht mal wieder. Dreht es noch an den Dirigentinnen vorbei? Wagen wir uns mal an Tipps: Die Staatskapelle Dresden verliert Christian Thielemann und scheint – so hört man immer wieder – Interesse an Daniele Gatti zu haben. Persönlich fände ich für diesen Posten Jakub Hrůša ja spannender, aber der könnte auch beim Concertgebouworkest in Amsterdam im Gespräch sein. Oder ist man da noch immer mit dem Finnen Klaus Mäkelä im Gespräch? Und was ist eigentlich mit den Münchner Philharmonikern, die sich von Valery Gergiev trennten? Werden sie Daniel Harding ein finanzielles, unmoralisches Angebot machen? Ich habe all das mal für den SWR spekulativ durchdekliniert, quasi den Kreislauf vom Rauswurf von Gatti in Amsterdam zu neuen Perspektiven…
EUROPA FÜR TSCHAIKOWSKI?
Zu einer echten Debatte gehört auch, immer wieder die eigenen Werte zu überprüfen. Dürfen Ukrainische MusikerInnen noch Werke von russischen KomponistInnen spielen? Angeblich geht vom Ukrainischen Kulturministerium derzeit die klare Botschaft aus: Nein! Fakt ist, dass MusikerInnen aus der Ukraine immer mehr in Bredouille kommen, wenn sie sich zu Tschaikowski, Schostakowitsch oder Prokofjew bekennen. Auch in Polen ist es Staatsraison, russische Musik vom Spielplan zu nehmen, und in St. Gallen wurde gerade „Die Jungfrau von Orleans“ von Tschaikowski gegen die Version von Verdi ausgetauscht. Ich finde, das ist gefährlich!
So sehr ich verstehe, dass es derzeit schwierig für UkrainerInnen ist, mit russischer Kultur konfrontiert zu werden, so sehr glaube ich, dass gerade Europa die Ideale der Kunstfreiheit aufrechterhalten muss. An deutschen Theater singen und spielen russische und ukrainische KünstlerInnen gemeinsam (schönes Interview dazu im Podcast) – und das ist gut so! Ich finde auch, dass junge MusikerInnen aus Russland an internationalen Wettbewerben teilnehmen sollten. In einer Zeit, in der russische Soldaten das Haus von Tschaikowski in der Ukraine bombardieren (der es als Homosexueller in Putins Russland schwer gehabt hätte), ist es um so wichtiger, der Musik russischer KünstlerInnen, deren Ideale dem Humanismus verpflichtet sind, gerade jetzt Asyl jenseits von Russland zu geben! Das mag zuweilen schmerzhaft sein, aber diese Schmerzen müssen wir Kulturschaffenden aushalten, befürchte ich. Und gerade dafür ist es wichtig, dass die kulturellen Begegnungsstätten von bewusster politischer Propaganda freigehalten werden. Es geht um Differenzierung – und vielleicht wäre es gut, diese einmal öffentlich, prominent und international zu debattieren.
SPAREN ODER NICHT SPAREN, DAS IST HIER DIE FRAGE
Neues Konzerthaus in München oder nicht? Markus Söder hatte eine Denkpause bis zum St. Nimmerleinstag empfohlen und erneut beteuert, dass er lieber in Menschen als in Beton investieren würde. Doch nun regt sich politischer Protest. Im Merkur erklärt die kulturpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Susanne Kurz, dass sie damit rechnet, dass doch gebaut wird: „Ich glaube, dass es gebaut wird. Ich halte es allerdings für fatal, wenn es erst in 30, 35 Jahren kommt, weil jeden Tag viel Geld im Münchner Kiesboden versickert.“ +++ Pessimismus dagegen in Frankfurt: So sieht die mittelfristige Finanzplanung des Frankfurter Magistrats vor, dass der Zuschuss für die Städtischen Bühnen von 2023 an von 78 Millionen Euro auf 71 Millionen jährlich gekürzt wird, anstehende Tariferhöhung beim Personal von zu erwartenden drei Millionen Euro werden nicht ausgeglichen. Bedeutet: Die Bühnen müssen also von 2023 an zehn Millionen Euro einsparen. Nun drohen massive Qualitätseinbußen oder Personalkürzungen.
WAGNERS RING ALS PODCAST
16 Teile hat der Hörspiel-Podcast der ARD, dem eine Neuübersetzung der Wagner-Texte ins Hochdeutsche zu Grunde liegt. Beruhend auf den berühmten Libretti von Wagner, rückt der Podcast die Sprachgewalt des Opernzyklus in den Fokus. Die Autorin Regine Ahrem hat sich dabei an eine Neuinterpretation gewagt und die Wagnersche Kunstsprache ins Hochdeutsche übersetzt. Mit dabei sind Martina Gedeck, Bernhard Schütz, Bibiana Beglau und Lars Rudolph. Der Soundtrack zum Podcast ist ein Mix aus orchestralen Wagner-Original-Passagen und Neukompositionen des Komponisten Felix Raffel. Zu hören ist das Ganze in der ARD Audiothek.
KURZER BERICHT AUS MEINEM ALLTAG
Ein Journalist kuschelt mit einem Intendanten, ein Ex-Opernchef wird von der russischen Botschaft abgefeiert, und ein Krisen-PR-Experte ruft mich an. Klingt wie ein Krimi? Vielleicht ist es ja wirklich mal spannend zu lesen, was so in meiner KlassikWoche zwischen zwei Newslettern passiert. Denn neben allerhand Zuspruch („lassen Sie sich nicht unterkriegen“) und einigen Beleidigungen („zionistischer, systemtreuer Schreiberling“) tun sich da Welten auf! Also los: Nachdem der Kultur-Journalist des Österreichischen „Kurier“, Thomas Trenkler, geschrieben hatte, dass meine Texte (beim WDR, in der Kulturzeit auf 3Sat, im Standard und an dieser Stelle) über die Verstrickungen von Wiens Konzerthauschef Matthias Naske die Situation „skandalisierten“, schrieb ich ihm zurück, um zu erklären, dass nicht der aufklärerische Journalismus der Skandal sei, sondern eher die Doppel-Tätigkeit des Konzerthauschefs in der Liechtensteiner musicAeterna-Stiftung. Außerdem fand ich es seltsam, wie milde Trenkler mit Naske im Interview umsprang (er verpasste einfach die wichtigen Fragen wie jene, warum Naske als zeichnungsfähiges Mitglied der Stiftung zwei Jahre lang nicht wusste, woher das Stiftungs-Geld kam). Trenklers Antwort gab mir schließlich die Antwort auf mein Befremden: „Sehr geehrter Herr Brüggemann, ich habe mir erlaubt, Matthias Naske cc zu setzen – denn es geht ja auch um ihn“. Ja, genau, dem eifrigen „Journalisten“ Trenkler war seine Loyalität zum Intendanten offenbar so wichtig, dass er ihm seine Antwort-Mail gleich mitlesen lassen wollte. Geschenkt! Zwei Tage später klingelte mein Telefon – auf der anderen Seite der Mann einer Schweizer Medien-Beratung aus Zollikon, der mal Chefredakteur des Boulevard-Mediums „Blick“ war, und dessen Agentur auch auf Krisenmanagement spezialisiert ist. Angeblich wurde er von der musicAeterna-Stiftung der Schweiz beauftragt, mich anzurufen (was das wohl gekostet hat!). Wir wurden keine Freunde. Noch was? Ah, ja: Der Sender ServusTV hat mich zu einer Debatte mit entweder Markus Hinterhäuser, Matthias Naske oder Ioan Holender eingeladen – man wolle den Disput öffentlich austragen, hieß es. Doch schnell stellte sich heraus, dass die drei „leider keine Zeit fanden“ und man sich eventuell auf nächste Woche vertagen wolle.
Doch dann feierte Putins Botschafter in Wien, Dmitri Ljubinski, den Ex-Intendanten Ioan Holender und stellte dessen ServusTV-Kommentar mit Applaus auf seine Facebook-Seite. Holenders Text (gespickt mit allerhand sachlichen Fehlern) kulminiert in der Feststellung, dass es „die Spitze einer bisher unbekannten Unfreiheit“ sei, dass „der Botschafter eines fremden Staates (der Ukraine) bestimmt, wer oder was in einer Österreichischen Kulturstätte gespielt wird“. Klar, dass solche Worte dem russischen Botschafter gefallen, wohl ebenso wie Holenders Bemerkung von 2018 im russischen Fernsehen: „Die Krim ist russischer als russisch“. Um das klar zu machen: Das Wiener Konzert von musicAeterna wurde NICHT vom Ukrainischen Botschafter, sondern vom Konzerthauschef Naske selber abgesagt, nachdem zunächst das Rote Kreuz und dann die Caritas und der Botschafter der Ukraine Bedenken angemeldet hatten. Könnte man auch den Berichterstattern von RT-Deutschland mal erklären, aber, hey – was zählen Fakten? Noch etwas? Ah, ja: Ich wolle „Blut sehen“, erklärte Staatsopern-Intendant Bogdan Roščić allen Ernstes auf seiner Spielzeit-Pressekonferenz. Ausgerechnet am Tag, an dem auch die taz das Österreichische Putin-Netzwerk in der Kultur thematisierte, erklärte er die Diskussion um putintreue KünstlerInnen zur „Bubble-Debatte“ einer „verschwindend kleinen Minderheit“, die niemanden interessiere und (Achtung!) auf dem Rücken der Opfer des Krieges ausgetragen würde. Nun, reales Blut fließt, finde ich, derzeit leider schon genug, und eine schrumpfende, um sich selbst kreisende „Bubble“, die nicht einmal mehr eine Wagner-Première ausverkauft, erscheint mir derzeit eher die Staatsoper selber zu sein. Aber das ist nur die Meinung eines Journalisten, den man vielleicht einfach nicht so wichtig nehmen sollte, wie es einige gerade tun, indem sie seine Unwichtigkeit beschwören. Und ich? Tja, mich beschleicht das Gefühl, dass die Klassik-Netzwerke vielleicht doch größer sind, als man sich das im Allgemeinen so vorstellt…
PERSONALIEN DER WOCHE
Es ist schon absurd: Gerade haben die Münchner Philharmoniker Valery Gergiev rausgeschmissen, befindet sich der Konzertmeister des Orchesters, Lorenz Nasturica-Herschcowici auf Konzerttournee mit seinem Ex-Chef quer durch Russland. Finanziert wird die Tour von der korrupten Gergiev-Stiftung! Und was sagt München-Intendant Paul Müller dazu? Das Gleiche wie immer. Seine Antwort an mich: „Unser Handlungsspielraum ergibt sich aus dem Arbeitsrecht. Wir haben die Nebentätigkeit von Herrn Nasturica juristisch prüfen lassen. Mit dem Ergebnis, dass aus arbeitsrechtlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden ist. Inwieweit sie ethisch zu vertreten ist, muss jeder, der sie ausübt, für sich selbst verantworten.“ +++ Intendant der Mailänder Scala, Dominique Meyer glaubt nicht, dass es zu Protesten kommt, wenn Anna Netrebko am 27. Mai in Mailand auftritt. „Anna ist keine Jungfrau von Orleans des Putinismus“, sagt Meyer – und drückt dabei wohl so ziemlich beide Augen zu. Vielleicht ist sie ja eher die „Stumme von Putinchi“. +++ Der Abgang von Georg Hainzl ist eher das kleinere Problem des Klassik-Streaming-Dienstes „myfidelio“. Wir haben an diese Stelle oft über die in Deutschland schier unmögliche Querfinanzierung des Klassik-Portals „myfidelio“ berichtet, das zu 50 Prozent dem ORF und zu 50 Prozent dem Beta-Produktionskonzern von Jan Mojto (UNITEL) gehört. Da die Plattform die finanziellen Erwartungen nicht erreiche, brauche es nun Zuschüsse der Eigentümer – aber die Österreichische Medienbehörde lehnte diese Förderungen aus Beitragsgeldern nun ab. +++ Der russische Unternehmer Dmitri Aksenov, er ist auch Chef des russischen Freundeskreises der Salzburger Festspiele, und die Wiener Kunstmesse viennacontemporary gehen offiziell getrennte Wege – Aksenov wird nicht sanktioniert, aber Galerien hatten Bedenken an seiner Position. +++ Der Rechtsstreit zwischen dem Blogger Markus Wilhelm und dem Industriellen Hans Peter Haselsteiner in der Causa um die Tiroler Festspiele Erl hat ein juristisches Ende gefunden. Die Berufung der letzten von insgesamt 18 Klagen wurde abgewiesen. Wilhelm habe seine Vorwürfe rund um arbeitsrechtliche Missstände in Erl zu Recht erhoben. +++ Lesenswert ist Manuel Brugs Artikel in der Welt über Nachhaltigkeit in der Klassik: Wie ernst nehmen es unsere Orchester mit dem Klimawandel?
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Diese Woche ganz klar in: Meiningen! Am 4. Mai wird sich hier der Vorhang zu Beethovens „Fidelio“ heben – gesungen von 12 SängerInnen der Kiew-Oper und inszeniert vom ukrainischen Bariton Andrey Maslakov. Der hat das Original-Bühnenbild unter Bombenbeschuss mit einem Hilfskonvoi nach Meinigen bringen können. Über alle Hintergründe dieser Aufführung und die Solidarität zwischen Opernhaus und Opernhaus sprechen Intendant Jens Neuendorf von Enzberg und der Regisseur in meinem aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik“ (Hier für alle Podcast-Formate abrufbar). Emotional und mit einem „Schritt zurück“ spreche ich außerdem mit der Geigerin Vira Zhuk über die Situation in der Ukraine, diskutiere mit ihr darüber, welche Rolle Tschaikowski heute spielen soll, dekliniere den Einfluss russischer Propaganda in der Klassik und erstelle eine Playlist für ukrainische Musik.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
In einer früheren Fassung dieses Beitrags wurde behauptet, dass Bogdan Roščić auch zu der Gesellschaft gehörte, die am 24. Februar, also nach Kriegsausbruch, Currentzis‘ Geburtstag in St. Petersburg gefeiert hat. Das war eine Verwechslung, die wir bedauern.
Fotos: Accademia de Nazionale di Santa Cecilia