Inszenierungen von Künstlern
Kunst für die große Bühne
von Jasmin Goll
20. Dezember 2018
Ob William Kentridge, Georg Baselitz, Ólafur Elíasson oder jüngst Neo Rauch – sie alle haben auch Kunst für die Opernbühne geschaffen.
Das Interesse der Opernhäuser an den Größen der Malerei, Architektur und Plastik ist groß. Schließlich lechzt man nach neuen Lesarten, nach Experimenten und ästhetischer Innovation auf der Bühne. Ganz neu ist das nicht. Friedrich Schinkel mit seinem berühmten Sternenhimmel für Die Zauberflöte, Giorgio De Chirico oder Pablo Picasso haben das bereits vor Jahrzehnten gewagt. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts heuerte man dann verstärkt „theaterexterne“ Künstler wie bildende Künstler oder Filmregisseure an. Auch sie sollen sich am Opernkanon abarbeiten und die Oper mit ihrer Bildwelt konfrontieren.
Einen Maler statt eines Bühnenbildners für eine Opernproduktion zu engagieren, sei „eine andere Geschichte“, meint Markus Lüpertz. Der Maler ist vielfältig interessiert, schreibt Gedichte, hat eine Band und liebt die Oper. Seit den 1980er-Jahren entwirft er hin und wieder Bühnenbilder und Kostüme für Opernproduktionen – ab Oktober sind Arbeiten von ihm in einer Produktion von Vicente Martín y Solers Una cosa rara am Theater Regensburg zu sehen. Denn das, was auf der Bühne entsteht, sind für ihn Bilder, „Bilder, in denen plötzlich Menschen leben – der Traum eines jeden Künstlers“.
Damit hat er sich nicht immer Freunde gemacht. Bei einer seiner ersten Arbeiten für die Oper – Jules Massenets Werther am Theater Ulm 1983 – fand die Première schlussendlich konzertant statt, nachdem sich die Sänger weigerten, im Bühnenbild und den Kostümen des Malers aufzutreten. Für ihn seien die Sänger damals nur „Farben, die singen“, gewesen. „Sicherlich ist das für Regisseure und Sänger manchmal nicht unproblematisch, weil sie plötzlich Bestandteil eines Kunstwerks werden und nicht ihre Individualität als Sänger behalten dürfen, sondern sich in gewisser Weise den Vorstellungen eines Künstlers anpassen müssen.“ Und diese Vorstellungen entspringen Lüpertz« Fantasie, denn: „Ich will keine nachgebaute Realität. Ich will schon das Bewusstsein, dass es etwas Künstliches ist, etwas Gebautes, dass es Kulisse ist.“ Und so ist auf der Bühne eine Bildsprache zu sehen, die in bunten Farben und einfachen Formen überzeichnet, Kunsträume erschafft, ja niemals die Realität abzubilden versucht – gemäß Lüpertz« Haltung: „Ich hasse die Wahrheit der Kunst. Weil sie langweilig ist. Die weiß ja jeder.“ Insgeheim träumt er von einer eigenen Regiearbeit: „Den Ring, Bayreuth, ich, Regie und Bühnenbild. Die Regie, das wäre ein großer Pinsel, mit dem man dann die Leute in sein Bild einfügt, damit sie sich dann auch nach meinen Bewegungsvorstellungen anordnen. Das wäre eine Vollendung.“
Achim Freyer erfüllt sich den Traum dieses Jahr zum dritten Mal – nach Los Angeles und Mannheim schmiedet er den Ring des Nibelungen im November auch in Seoul. Freyer ist in der Oper „Gesamtkünstler“: Inszeniert, entwirft Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzept, doch bevor er für die Bühne arbeitete, war er Maler. Er lernte bei Bertolt Brecht, verließ das Métier der Malerei jedoch relativ früh und hat mit fast 45 Jahren Bühnenerfahrung zu einer Theatersprache gefunden, die absolut charakteristisch ist. Er geht vom Bild aus, verwendet Skizzen der Bühne wie ein Storyboard und schreibt seine Gedanken zur Szenerie dazu. Seine Sänger wandeln durch Fantasieräume, die mal schwarz-weiß, mal komplett mit Spiegeln, mal mit Neonleuchten ausgekleidet sind und jegliche Spielmöglichkeiten offen lassen, aber sie zugleich einschränken, weil da oft kein Halt scheint in der Weitläufigkeit, in der Abstraktion. Die Figuren sind der Realität entrückt. Manchmal meint man, sich im Zirkus wiederzufinden.
Fantasievolle Gewänder, exzentrische Schminke, kryptische Gesten. Realistisch-psychologisch durchdrungen ist dieses Spiel nicht. Vielmehr findet das Theater hier zu einem neuen Ausdruck, einer bildhaften Sprache. Das Bildangebot ist riesig, zugleich wird die Bühne zum Spiegel, in dem sich der Zuschauer auf sich selbst zurückgeworfen sieht und sich seine eigene Interpretation zusammenpuzzeln muss. Denn wenn Freyer etwas ablehnt, dann sind es eindeutige Setzungen oder gar aktuelle Bezüge. Dadurch haben seine Inszenierungen kein Verfallsdatum und laufen auch Jahrzehnte später noch (sein Freischütz von 1980 ist seit September wieder in Stuttgart zu sehen).
Doch was bringt’s unterm Strich? Theater funktioniert anders als Malerei. Manchmal mangelt es an der Dynamik, die das Theater braucht. Die Regie „malt“ Standbilder. Die Musik macht das schon. Das Bühnenportal wird zum Bilderrahmen. Aber was für Bilder! Wenn in Anselm Kiefers zerfurchten Landschaften plötzlich Trümmerfrauen umherirren, dann wird die Aufführung eher zur ästhetischen Erfahrung anstatt zu einer Erzählung, der der Zuschauer folgen soll. Diese Kunst scheint sich außerhalb des Wettkampfes um die hellsichtigste und aktuellste Interpretation zu bewegen. Sie bleibt bei sich selbst. Hier sucht das Theater, mit künstlerischen Mitteln seinen Kunstcharakter zu perfektionieren, sich ästhetisch neu zu erfinden, uns ästhetisch neu zu überwältigen. Mit dem Effekt, dass man an den Bildern klebt und bemerkt, welche Augentiere wir Menschen doch sind. Wie sehr wir uns doch in Zeiten von Instagram und Pinterest dem Visuellen hingeben. Und in dem Moment glotzen wir nicht mehr nur, wir denken.