Stenger 2

Markus Stenger

Weniger Bussi Bussi, mehr Sex

von Barbara Schulz

5. Februar 2019

Mit dem Bauhaus hielt die Moderne Einzug in die Architektur – elegant und funktional. Wie nachhaltig ihr Einfluss ist, weiß der Architekt Markus Stenger, der in der Wiege des Bauhauses studiert hat.

CRESCENDO: Herr Stenger, welche Bedeu­tung hat das Bauhaus für die Archi­tektur heute?

: Die Frage, die vorab gestellt werden muss, ist doch: Welches Bauhaus meint man? Das ursprüng­lich sensible, sensu­elle, fühlende Bauhaus? Oder das ratio­nale Bauhaus von Mies van der Rohe, das am Ende stand? Wir haben es ja, allein auf Deutsch­land bezogen, mit einem Drei­akter zu tun: Die erste Episode spielt 1919 in Weimar, die zweite 1925 in Dessau und die dritte schließ­lich um 1933 in Berlin.

Wie kam es zu dieser Drei­tei­lung?

Das muss man im jewei­ligen Kontext sehen: Walter Gropius hatte 1919 das Staat­liche Bauhaus in Weimar gegründet. Dass sich ein so frei­heit­li­ches Gut in dem strengen Korsett dieser konser­va­tiven Stadt entwi­ckeln konnte, war bemer­kens­wert. Schließ­lich drängte Weimar das Bauhaus doch aus der Stadt. Das sozia­lis­tisch einge­stellte Dessau nahm es gerne auf, stellte ein Grund­stück und Mittel zur Verfü­gung. Das war der Umbruch: Die Bauhäusler suchten nun nach Möglich­keiten, Archi­tektur in Teilen seriell zu produ­zieren – ab diesem Zeit­punkt Haupt­thema am Bauhaus. Dann verdrängten die Nazis das Bauhaus aus Dessau. Die Flucht nach Berlin geschah bereits in dem Wissen, dass das nicht mehr lange gehen würde.

Sie haben in Weimar Archi­tektur studiert. War für Sie das Bauhaus noch spürbar?

Ich kam 1992 nach Weimar. Es war eine Welt, die sich noch in der herr­li­chen Aufbruchs­stim­mung der letzten Jahre der DDR und der ersten Jahre des verei­nigten Deutsch­land befand. Der Osten war noch sehr gegen­wärtig, aber auch das origi­nale Bauhaus. Der „Vorkurs“ war noch Teil unserer Ausbil­dung.

Das Bauhaus-manifest von Walter Gropius
Das Bauhaus-Mani­fest von Walter Gropius

Was beinhaltet der „Vorkurs“?

Gropius hatte ja ein Layout fest­ge­legt, das erste Bauhaus-Mani­fest. Inter­es­sant ist, dass es zunächst kein Text, sondern eine Grafik war: ein Kreis­mo­dell, das sich auf einen Punkt hin zentriert. Ganz außen steht der Vorkurs des Schweizer Malers und Kunst­päd­agogen Johannes Itten: indi­vi­du­elles Empfinden, subjek­tives Erkennen und objek­tives Erfassen als Grund­lage aller Krea­ti­vität. Im nächsten Ring dann die Lehre von der Konstruk­tion und Darstel­lung, die Material‑, Natur‑, Raum- und Stoff­lehre, im dritten Ring schließ­lich das Mate­rial selbst. Es ging ganz stark um die Wertig­keit der sinn­li­chen Erfah­rung von Mate­rial. Und das alles mündete schließ­lich im Bau.

Sensi­bi­li­sie­rung also…

Ja, Fühlen, Tasten, Hören, Sehen… Sensorik entwi­ckeln, Ober­flä­chen­struk­turen verin­ner­li­chen. Dafür wurde extrem viel Zeit aufge­wendet, auch darüber zu reden und zu reflek­tieren. Heute ist die Kommu­ni­ka­tion zur Archi­tektur ganz anders. Zum einen gibt es die mit dem Auftrag­geber des Archi­tekten: Privat­mann, Investor, öffent­li­cher Auftrag­geber. Daneben die auf einer zweiten, viel öffent­li­cheren Ebene: wenn das Produkt fertig ist. Das Voka­bular der beiden ist völlig unter­schied­lich. Spricht man mit einem Bauherrn, wäre man oft froh, das ursprüng­liche Bauhaus­vo­ka­bular zur Verfü­gung zu haben. Bei dieser unmit­tel­baren Annä­he­rung an Archi­tektur geht es – sobald wirt­schaft­liche und raum­pla­ne­ri­sche Fragen geklärt sind – darum, wie Archi­tektur später ange­fasst, wie sie gesehen, gespürt, gefühlt wird. Inves­toren kann man mit diesem Voka­bular beibringen, quali­tät­voll zu bauen. Ich hätte gern, dass die Schule der gefühls­mä­ßigen Annä­he­rung an Archi­tektur aus dem Bauhaus zum Pflicht­fach in jeder Schule wird.

»Man muss das Poten­zial gebauter Struktur ständig neu ergründen«

Bestehende Archi­tektur muss anders kommu­ni­ziert werden?

Ja. Der Mensch ist mit einer solchen Geschwin­dig­keit in Rich­tung urbaner Agglo­me­ra­tion unter­wegs, dass das Leben auf dem Land bezie­hungs­weise im nicht Urbanen immer mehr zur Ausnah­me­si­tua­tion wird. Das bedeutet im Umkehr­schluss, wir haben uns damit abge­funden, dass unser Kontext Archi­tektur ist, weil die Stadt im sicht­baren Bereich zu 90 Prozent aus Archi­tektur besteht. Wir leben also in einem Umfeld, das wir nie gelernt haben zu evalu­ieren, sondern „nur“ nutzen. Weil wir auf gefähr­lich dogma­ti­sche Sätze vertrauen wie den von Mies van der Rohe, „Form follows func­tion“. Die wich­tige Arbeit wäre nun, ständig neu zu ergründen und zu kommu­ni­zieren, was das Poten­zial gebauter Struktur ist, wie ich das Werte­ge­rüst einer Struktur ändern oder verbes­sern kann, wie etwas Archi­tektur werden kann… Dafür braucht man das Voka­bular: um mündig zu werden. Das war die immense Leis­tung dieser Schule.

Ein Privat­haus, entworfen vom Büro Stenger 2

Irgend­wann nahm die Bedeu­tung der Sensorik aber ab.

Ja, die Mitte des Kreises, der Bau, wurde immer herme­ti­scher. Man kann es Fokus­sie­rung nennen. Oder als extremen Verlust bezeichnen, was da auf der Strecke geblieben ist. Faszi­nie­rend ist, dass unter einer Marke „Bauhaus“ diese völlig wider­sprüch­li­chen Bewe­gungen zusam­men­ge­fasst sind: Weimar, das die Einheit von Kunst und Hand­werk suchte, und Dessau, das völlig offen zur Indus­trie war. In Dessau war wichtig, einen Entwurf so strin­gent zu machen, dass man mit Stan­dard­pro­dukten aus der Indus­trie ein ganzes Haus produ­zieren konnte.

Markus Stenger

»Bauhaus war weniger Bussi Bussi, Bauhaus war mehr Sex«

Massen­fer­ti­gung also?

Nicht ganz, dafür ist das Bauhaus-Gebäude viel zu poetisch und quali­täts­voll. Zwar war das Haus sehr zweck­mäßig, man hat aber nicht simpli­fi­ziert, eher stan­dar­di­siert. Und auch provo­ziert. Da war ein guter Schuss Humor dabei bei dieser Archi­tektur. Irgendwie war Bauhaus weniger Bussi Bussi, Bauhaus war mehr Sex. Diese Lust spürt man in der Anfangs­zeit. Und aus dieser Lust wurde immer mehr Leis­tung und Arbeit, es wurde immer ernster.

Bedeutet Stan­dar­di­sie­rung, dass Dessau vorbe­rei­tend für die Fertig­bau­ar­chi­tektur war?

Das würde ich nicht sagen. Ein Fertig­haus bietet keinerlei Möglich­keit, mehrere Diszi­plinen an einem Objekt zu versam­meln. Dessau wollte sicher nicht, dass ein Gebäude, das einmal entworfen war, beliebig oft repro­du­ziert werden sollte. Eher so: viele ähnliche Fenster, Türen etc., die man seriell herstellt. Das Meis­ter­haus zum Beispiel war noch indi­vi­dua­li­siert. Für den Ort, für den Kontext, für die Aufgabe. Das Fertig­haus ist das Gegen­teil davon.

Markus Stenger

»Man tut dem Bauhaus einen Gefallen, es mit seiner Geschichte zu verketten«

Hat es das Dessauer Bauhaus in die Gegen­wart geschafft?

Ich würde eher sagen, die erste Episode, Weimar. Weil es alles andere hervor­ge­rufen hat. Man tut dem Bauhaus sicher einen Gefallen, wenn man es verkettet mit seiner eigenen Geburts­ge­schichte. Zu sagen, das ist Bauhaus und jenes ist jetzt die Folge davon, ist schwierig. Diese zehn Jahre nach Bauhaus, von 1933 bis 1943: Da ist für mich mehr die Frage, wie hat die Indus­tria­li­sie­rung oder diese kriegs­ge­trie­bene Massen­pro­duk­tion das Fertig­teil­bauen ermög­licht? Die hoch­ge­rüs­teten Indus­trie­zweige hatten ja plötz­lich keinen Zweck mehr. So fand man zivile Einsatz­ge­biete. Fens­ter­lacke zum Beispiel, die das eigent­lich viel lang­le­bi­gere und zudem biolo­gi­sche Leinöl ablösten.

Privathaus, erbaut vom Büro Stenger 2
Ein Privat­haus, entworfen vom Büro Stenger 2

Es gab aber auch sinn­volle neue Mate­ria­lien.

Gemeinsam mit anderen Archi­tek­tur­strö­mungen dieser Zeit wandte sich das Bauhaus früh Stahl und Stahl­beton zu. Und das ist wohl der wich­tigste Einfluss auf heute: dass über die Ränder der Profes­sion geschaut wurde und das Gute, das man jenseits fand, über­nommen hat. Man hat sich hinbe­wegt zum Hand­werker, zum Künstler, später zum Trag­werks­in­ge­nieur. Und hat Syner­gien genutzt.

Markus Stenger

»Eine Frage ans Bauhaus wäre, wie die Kommu­ni­ka­tion funk­tio­niert hat«

Das bedeutet auch flache Hier­ar­chien…

Ganz genau, in der Praxis kann man so – wie übri­gens in der für das Bauhaus namens­ge­benden mittel­al­ter­li­chen Dom-Bauhütte auch – allen die Möglich­keit geben, Glei­cher unter Glei­chen zu sein. Und so jedes Werk zum kleinen Bauhaus machen. Dann ist die Archi­tektur nicht die Mutter aller Künste, der sich alle unter­zu­ordnen haben. Viel­mehr gibt es eine Erfah­rungs­hier­ar­chie aller Betei­ligten. Ein Mitar­beiter oder Hand­werker kann zu gege­bener Zeit in eine leitende Funk­tion wech­seln, wenn er mehr Erfah­rung hat. Da muss es kein objek­tives Führen geben. Der Archi­tekt schließt im Ideal­fall nur die Lücken zwischen den Diszi­plinen. Hätte ich eine Frage ans Bauhaus, dann wüsste ich gern, wie die Kommu­ni­ka­tion funk­tio­niert hat. Wie haben sie sich gegen­seitig den Raum gelassen, ihren Platz gefunden? Das gab es vorher lange nicht.

Es ist ja auch eine Form gegen­sei­tiger Inspi­ra­tion.

Unbe­dingt. Es gibt ja eigent­lich viel weniger Grenzen in den Kultur­ka­te­go­rien, als man denkt. Man kann rheto­ri­sche Stil­mittel auf Fassaden anwenden, kann ein Stück Lite­ratur, ein Stück Musik und ein Stück Archi­tektur mit denselben Augen und Mitteln lesen. Aber wir tun es nicht. Dabei ist es so beglü­ckend. Es gibt ein Buch: Please show me how to do Bauhaus. Ein wunderbar ironi­scher Titel. Aber hilf­reiche Lektüre für den Bauherrn, der kommt und sagt, er hätte gern ein Haus in „so einer Art Bauhaus­stil“.

Was meint er damit?

Meist nutzt er diesen Begriff als Träger für das andere, das A‑Kontextuelle. Natür­lich schweben ihm auch konkrete Stil­mittel vor: die Farbe Weiß, große Fenster, glatte Fassade, ein Flach­dach, kein Dach­über­stand. Aber eigent­lich möchte er Desin­te­gra­tion. Sich abheben von der Nach­bar­schaft. Das Beson­dere in seinem neuen Umfeld sein. Ich sehe das zum Teil sehr kritisch. Das ist nicht meine Auffas­sung von Bauhaus.

Welche Antwort geben Sie ihm?

Dass er Glück hat! Weil er bei einem gelandet ist, der immer Bauhaus macht, weil er am Bauhaus war. Er kann von mir gar kein anderes Stück Archi­tektur bekommen. Ob er will oder nicht.

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Website Büro Stenger 2 Architekten und Partner: s2lab.de