Paula Bosch probiert

Die neue Toskana-Frak­tion

von Paula Bosch

27. November 2019

Für die besonders schönen Momente im Leben gibt es einen Hauch Toskana in Flaschen: Die Sommelière Paula Bosch über Wein-Kunstwerke aus der Maremma

Der Zauber der unbe­schreib­lich schönen toska­ni­schen Land­schaft ist unge­bro­chen. Seit mehr als drei Jahr­zehnten ist sie nicht nur für uns Deut­sche ein bevor­zugtes Reise­ziel. Den Appetit wecken unzäh­lige Repor­tagen der Hoch­glanz­ma­ga­zine aus der Reise­branche. Da werden histo­ri­sche Städte – allen voran und , wunder­schöne Ortschaften –, die klima­ti­schen Vorteile, die gute Küche und nicht zuletzt die zahl­rei­chen Weine hoch­ge­lobt, begin­nend mit Klas­si­kern wie Chianti und Brunello. Kein Wunder also, wenn wir ganz nach dem Motto agieren: Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

Das ehemals sump­fige Küsten­land Maremma im Süden der Toskana ist heute trocken­ge­legt, und die Sand- und Geröll­böden bieten ideale Bedin­gungen für Oliven- und Wein­anbau.

Mit den Weinen ist es ja ähnlich, auch wenn – über die Jahr­zehnte betrachtet – immer wieder ein paar neue Namen dazu­ge­kommen sind. Das hält die Szene up to date, und dank der schlei­chenden „Entparke­ri­sie­rung“ besinnt man sich zuneh­mend auf den eigenen Geschmack. „Super­tu­scans“, soge­nannte Icon-Weine, verkaufen sich meist auch ohne die infla­tio­näre Punk­te­ver­ge­berei.

Die Wein­berge auf den zum Meer hin abfal­lenden Hängen des Wein­dorfs Bolg­heri in der Provinz lassen groß­ar­tige Weine entstehen.

Seit Anfang des Jahres wurden mir mehrere Weine solcher Größen aus den Jahren 2015 und 2016 präsen­tiert. Diese erst­klas­sigen Cuvées aus den roten Rebsorten à la Borde­lais, Cabernet, Merlot, Petit Verdot haben mich richtig begeis­tert und auch davon über­zeugt, dass in der Tat die Icon-Weine in der Toskana ihren eigenen Stil und Charakter gefunden haben. Das sind keine Nach­ah­mungen mehr wie teil­weise jene aus den ersten Jahr­gängen, sondern Weine, die man sehr gerne trinken möchte.

Wein­reben, Oliven­haine und Zypressen bede­cken die sanften Hügel des Val d’Orcia, das seit 2004 um UNESCO-Welt­kul­tur­erbe gehört.

Nein, sie mutieren nicht zu Alltags­weinen, dafür sind sie auch zu hoch­preisig; es sind Weine für die beson­ders schönen Momente im Leben, viel­leicht für hier und heute. Wein-Kunst­werke, die einen Hauch Toskana in Flaschen präsen­tieren.

DIE FATTORIA LE PUPILLE BEI GROS­SETO

Erbte die Liebe zum Weinbau von ihrem Groß­vater: Elisa­betta Geppetti 

Auf insge­samt 80 Hektar Rebfläche produ­ziert die große Dame des Morel­lino di Scansano, Elisa­betta Geppetti, jenen Rotwein aus der Maremma, der jede Pasta mit Fleisch­soße adelt.

Seit 1987 erzeugt die Donna del Vino zudem ihren Saffredi, der zu den ersten Icon-Weinen der Toskana gezählt wird. Auf fünf Hektar wurden 1980 die Reben Cabernet Sauvi­gnon, Merlot und Syrah gepflanzt. Je nach Jahr­gang werden sie unter­schied­lich cuvé­e­tiert.

2016 Saffredi, IGT Toscana, Fattoria Le Pupille, Gros­seto
Der edle Stoff aus 2016 ist dank 30-jähriger Produk­tion längst erwachsen. Er hat sich unter den großen Weinen etabliert und bietet höchsten Genuss, wenn man ihm einige Jahre zur Reife gönnt.

2015 Saffredi, IGT Toscana, Fattoria Le Pupille, Gros­seto
Die inten­siven Aromen des 2015 – rote, blaue und schwarze Wald­beeren, Cassis, Laven­del­blüten, Sandel­holz, Zigar­ren­kiste – über­zeugen sofort. Die kernige, teils noch etwas spröde Struktur mit edlem Tannin­ge­rüst verbindet Kraft mit Eleganz und Finesse mit Harmonie. Im jugend­li­chen Geschmack präsen­tiert sich viel Poten­zial und Länge.

DIE TENUTA ARGEN­TIERA 

Das Weingut Argen­tiera, dessen Name auf die eins­tigen Silber­minen der Maremma zurück­geht, liegt auf einem 200 Meter hohen Plateau über dem Meer. 

100 Kilo­meter südwest­lich von Florenz liegt die Tenuta Argen­tiera, am südlichsten Zipfel der namhaften DOC-Bolg­heri.

Um den Wein­keller herum befinden sich die Wein­gärten, dem Meer zuge­wandt und geschützt vom Wald. 

Auf 200 Meter Seehöhe genießen die Rebstöcke der Sorten Cabernet, Merlot und Syrah auf stei­nigen Tonböden den Meer­blick zu den Inseln Giglio und Elba.

Der Unter­nehmer Stanis­laus Turnauer: seit 2016 Besitzer des Wein­guts Argen­tiera

Das noch sehr junge Unter­nehmen (erster Jahr­gang 2003) hat mit Stanis­laus Turnauer, seinem neuen Besitzer seit 2016, eine große Zukunft vor sich. Die ganze Mann­schaft im 75 Hektar großen Weingut ist seit Beginn an Bord und präsen­tiert mit dem 2015 Argen­tiera DOC Bolg­heri Supe­riore, was auf den stein­rei­chen Kalk‑, Lehm- und Sand­böden möglich ist. Gewiss, sehr ähnlich einem großen , aber wer will nicht mit diesen Gewächsen in einem Atemzug genannt werden?

2015 Argen­tiera, Bolg­heri Supe­riore, Tenuta Argen­tiera
Argen­tiera wirkt nicht ganz so kühl oder streng, zeigt warme, medi­ter­rane Züge, sanfte Kräu­ter­noten der Garrique, salzige Töne wie seine Nach­barn Ornellaia und Sassi­caia. Noch moderat in der Preis­ge­stal­tung ist sein kleiner Bruder, Poggio ai Ginepri, der Tipp schlechthin für jede Party.

DIE TENUTA DI TRINORO

Die Tenuta di Trinoro liegt im oberen Val d’Orcia auf unge­wöhn­li­chen 450 bis 600 Höhen­me­tern. 

Die Tenuta di Trinoro im Val d’Orcia im Landes­in­neren, südlich von Siena, besitzt über 200 Hektar, aber nur 22 davon wurden nach den Vorstel­lungen des Inha­bers Andrea Fran­chetti völlig neu, über­wie­gend mit Cabernet Franc ange­pflanzt. Es liegt an der Grenze zu Umbrien und dem Latium unge­wöhn­lich hoch, auf 450 bis 600 Höhen­me­tern, was die Reben viel später reifen lässt. Der Terro­irch­a­rakter aus dieser Höhen­lage ist ein weiterer Grund, weshalb der Trinoro Rosso nicht nur in seiner Region, sondern in ganz Italien als einzig­artig betrachtet wird.

Andrea Fran­chetti, Neffe des ameri­ka­ni­schen Malers Cy Twombly, kompo­niert auf seinem einsamen Gut einzig­ar­tige Weine. 

Die Cuvée vari­iert je nach Jahr­gang und besteht in erster Linie aus Cabernet Franc, etwas Merlot, Cabernet Sauvi­gnon und Petit Verdot. Spätes­tens mit der letzten 100-Punkte-Würdi­gung durch Antonio Galloni wurde auch dieser Neuzu­gang in der Toskana zur Rarität und Ikone glei­cher­maßen.

2016 Trinoro, IGT Rosso Toscana, Tenuta di Trinoro
2016 präsen­tiert sich dicht im tief­dunklen Rot, in der Nase opulent und schwarz­beerig mit Peri­g­ord­trüffel, Sandel­holz, Bitter­scho­ko­lade und feinstem Earl Grey. Gaumen­fül­lender Edel­stoff mit viel Poten­zial – ganz große Oper.

DIE TENUTA DELL’OR­NELLAIA

Verborgen in den Hügeln von Bolg­heri befindet sich das Weingut Ornellaia. 

Mit dem Weingut Tenuta dell’Or­nellaia hat Italiens Wein-Ikone „Sassi­caia“ in Bolg­heri in direkter Nach­bar­schaft einen ernst zu nehmenden Konkur­renten bekommen.

Wein­pro­du­zent in der 30. Gene­ra­tion: Marchese Lamberto Fres­co­baldi

Auch hier wurden Cabernet Sauvi­gnon, Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot ange­pflanzt, weil die Böden für Sangio­vese einfach nicht geeignet sind. Auch hier wurde im Keller nach Borde­laiser Vorbild in Technik und Barri­que­fässer inves­tiert. Die Ornellaia-Philo­so­phie war von Beginn an vom Wunsch nach einer außer­ge­wöhn­li­chen Wein­qua­lität geprägt. Mit dem hoch­ta­len­tierten Önologen Axel Heinz wurde dieses Ziel seit 2005 auch regel­mäßig erreicht. 1995 wurde der eins­tige Vino da Tavola mit der noblen Herkunft „Bolg­heri DOC Supe­riore“ geadelt. Marchesi de’Fres­co­baldi ist seit 2005 Allein­in­haber des Wein­guts.

Axel Heinz, der Leiter und Önologe des Wein­guts dell’Ornellaia, zum
2015 Ornellaia, IGT, Bolg­heri Supe­riore: 
„Wie auch Personen mit großem ‚Charisma‘ wissen sich die Weine der großen Jahr­gänge auf natür­liche und unge­zwun­gene Art zu behaupten: Ihr inneres Gleich­ge­wicht lässt sie ohne großes Blend­werk von alleine glänzen. Der Ornellaia 2015 entspricht ganz diesem Charak­terzug. Aus einer beson­ders ausge­gli­chenen Lese geht eine der bemer­kens­wer­testen Versionen dieses Weines hervor.“

Eine italie­ni­sche Rarität: der Masseto

In einem beson­deren Wein­berg der Tenuta dell’Or­nellaia werden die Trauben für den Masseto in kleinen Kist­chen von Hand verlesen. 

Masseto wird rein­sortig aus Merlot­trauben gekel­tert und ist einer der rarsten – und der teuerste – Wein in Italien. Er wird auch als „Petrus“ der Italiener gehan­delt.

Die Reifung des Massetos erfolgt zwei Jahre in Eichen­fäs­sern und ein Jahr im Flaschen­lager. 

Bei einer Luft­linie von zwei Kilo­me­tern zum Meer natür­lich mit medi­ter­raner Note, doch genauso rar wie der „Petrus“, aber noch nicht ganz so teuer. Um die 30.000 Flaschen werden jähr­lich produ­ziert, seit letztem Herbst auch endlich in einem für ihn eigens gebauten Keller vini­fi­ziert.

Die toska­ni­sche Adels­fa­milie de« Fres­co­baldi belie­ferte bereits im 14. Jahr­hun­dert die euro­päi­schen Königs­höfe mit ihrem Wein. 

Das ganze Anwesen gehört nach wie vor zur Tenuta dell’Or­nellaia. Von Anfang an wurden die Trauben für diesen Kult­wein separat ausge­baut, geerntet von der 6,6 Hektar kleinen Rebfläche, die dort direkt ums Eck gelegen ist.

2015 und 2016 Masseto, IGT, Bolg­heri, Tenuta dell’Or­nellaia
Das Ziel war klar: Italiens bester Merlot zu werden! Und das ist der Masseto ohne Zweifel, beson­ders in Jahr­gängen wie 2015, 2010 oder 2001. Ein aris­to­kra­ti­scher Wein, ganz zum Fami­li­en­clan der Eigen­tümer, den Fres­co­baldis, passend, auch wenn es, wie bei „Petrus“, durchaus auch mal einen Jahr­gang gibt, der nicht zu den besten seiner Gattung zählt. Wer aber noch 2015 oder 2016 ergat­tern kann, hat damit einen Platz im Wein­himmel gefunden.