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Der Kurven-Star der Klassik

von CRESCENDO Redaktion

4. November 2020

Ich bin der Kurven-Star der klassischen Musik. Meine Kurven geben die Richtung vor.

Ich weiß, was Sie jetzt denken! Oh ja, ich weiß es. Aber keine Angst, ich nehme Ihnen das nicht übel. Ich habe sogar Verständnis dafür. Wenn ich Sie wäre, würde ich das auch über mich denken. Nämlich: Oh là là! Was für ein „lecker Schnitt­chen“. Was für Kurven, was für Rundungen! Ja, man könnte sagen, ich bin der Kurven-Star der klas­si­schen Musik. Ich könnte so etwas wie eine echte Diva sein – wenn ich nur wollte. Nun gut, ich bin keine „sie“. Ich bin nur ein „er“ – das mag viel­leicht ein Grund sein, aber doch noch lange kein Hindernis. Denn das Zeug zur Diva hätte ich, allemal. Denn es ist nun einmal so: Ich muss immer ganz vorne stehen. Und dabei ruft niemand: Die Kleinen bitte nach vorne.

Tonan­ge­bend

Ich bin , was ein Musiker sieht. Das ist einfach so. Was fragen Sie mich!? Es ist ein Gesetz. Ich selbst habe mir das doch nicht ausge­dacht. Meine Kurven geben einfach die Rich­tung vor – für alles, was danach kommt. Ich bin, ja man könnte es so sagen, tonan­ge­bend. Wenn ich nicht da wäre, könnte Ihnen doch jeder ein X für ein U­ vorma­chen. Wo kämen wir denn da hin? Ein A könnte plötz­lich ein C sein – oder noch was viel Schlim­meres. Denken Sie mal darüber nach. Jeder könnte plötz­lich spielen, was er wollte, und nichts würde mehr zusam­men­passen. Wie würden Sie so etwas nennen? Ich nenne es: Chaos. Denn mal ehrlich, nur mit ein paar so dünnen Stri­chen in der Land­schaft kann man noch lange keine Musik machen. Da brau­chen sie schon so was wie mich, mit ordent­lich was dran.

Etwas zweck­mäßig

Aber – trotz meiner Kurven, trotz meiner expo­nierten Stel­lung – ich bin bescheiden geblieben. Ehrlich. Ich mache einfach nur meinen Job. Und dafür verzichte ich sogar, wenn es sein muss, auf einen Teil meiner Kurven und Rundungen. Keine Sorge, das hat nichts mit Mager­wahn zu tun. Für manche Instru­mente ist das einfach nötig. So selbstlos bin ich. Sie inter­es­sieren sich aber eigent­lich gar nicht für meine Kurven? Sie, Kost­ver­ächter. Aber bitte, ich habe auch eine Geschichte. Ich habe sogar Tradi­tion – ein ziem­lich lange sogar, so ab um circa 1025. Ja, da staunen Sie. Fragen Sie doch mal diesen Mönch, diesen Lehrer in einer Kathe­dral­schule: Fragen Sie doch diesen Guido von Arezzo. Der wird es Ihnen schon sagen. Im Deut­schen klingt mein Name etwas steril. Er schwingt und klingt irgendwie nicht richtig. Er passt gar nicht zu meinem Äußeren. Er klingt etwas zweck­mäßig. Im Italie­ni­schen ist das schon ganz anders: Chiave – das hat doch mal Klasse, echten Stil.

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