Leonard Bernstein 1987

Die 20 größten Sinfo­nien

von CRESCENDO Redaktion

21. Juli 2023

Von Haydn, dem "Vater der Sinfonie" bis zu Philipp Glass: Diese 20 Sinfonien zählen zu den bedeutendsten Werken ihrer Gattung und haben die Musikgeschichte langfristig geprägt.

1. Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 104 D‑Dur Hob. I:104

„Vater der Sinfonie“ wurde Joseph Haydn genannt. Auch wenn es histo­risch nicht zutrifft. Tatsäch­lich wurden im 18. Jahr­hun­dert unzäh­lige Sinfo­nien geschaffen. Aber erst Haydn gelang es mit seinen für London kompo­nierten Sinfo­nien, sie zur Attrak­tion eines Konzerts zu machen. Vor ihm fungierten Sinfo­nien ledig­lich als Ouver­türe einer Konzert­ver­an­stal­tung.

Haydns Sinfonie Nr. 104, genannt „London“ oder „Solomon“ nach dem Impre­sario Johann Peter Solomon, ist eines der meist­ge­spielten Werke der Orches­ter­li­te­ratur. Sie entstand 1795 auf Haydns zweiter London­reise. Krönung dieser Reise war ein Bene­fiz­kon­zert am 4. Mai 1795 im King’s Theatre am Haymarket. Haydn spielte den sagen­haften Betrag von 4000 Gulden ein, und das Konzert wurde als „Jahr­hun­dert­ereignis“ gepriesen. Zur Urauf­füh­rung kam die Sinfonie Nr. 104, ein Werk voll­endeter tech­ni­scher Meis­ter­schaft.

2. : Sinfonie Nr. 41 C‑Dur KV 551

Wolf­gang Amadeus Mozart befasste sich sein Leben lang mit der Kompo­si­ti­ons­form der Sinfonie. Seine erste schrieb er bereits während der Krank­heit seines Vaters in England. Die Sinfonie KV 551 ist seine letzte sowie seine längste und mäch­tigste Sinfonie. Ihr Finale gehört zu den meist­ana­ly­sierten Mozart-Sätzen. Vor allem im frühen 19. Jahr­hun­dert bfasste man sich intensiv damit und kenn­zeich­nete das Werk als „Sinfonie mit der Schluss­fuge“. Später setzte sich der aus England herrüh­rende Beiname „Jupiter“ durch.

Von dem Schluss­satz schreibt der Musik­wis­sen­schaftler Kurt Pahlen in seiner wunderbar blumigen Art: „Hier kann Mozart selbst als Gott erscheinen, der nach freiem Willen Stern­bilder in der Unend­lich­keit des Welt­raums schafft, zusam­men­fügt und lenkt.“ Was Mozart zusam­men­fügt, ist die Fugen- und Sona­ten­satz­form. Die Fuge ist ein Kompo­si­ti­ons­prinzip der Mehr­stim­mig­keit, Dabei geht es um das verti­kale Zusam­men­wirken der Stimmen. Die Sona­ten­form ist ein Modell aus der Formen­lehre über den hori­zon­talen Aufbau des Satzes einer Kompo­si­tion. Beides bringt Mozart zusammen, und der Kompo­nist Marius Flothuis sieht darin „eine der größten kompo­si­to­ri­schen Leis­tungen Mozarts“.

3. : Sinfonie Nr. 5 c‑Moll op. 67

Ludwig van Beet­hoven wandelt die Sinfonik von adeliger Gesell­schafts­musik zu Ideen­kunst. Er verleiht ihr Monu­men­ta­lität und Klang­ent­fal­tung. Seine Sinfo­nien werden als Inbe­griff auto­nomer Instru­men­tal­musik gesehen. Durch die musi­ka­li­sche Struktur erhält jede ihren indi­vi­du­ellen Charakter.

Mit der Arbeit an der Fünften Sinfonie begann Beet­hoven 1804 und been­dete sie 1808. Die Urauf­füh­rung am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unter

seiner Leitung verlief unglück­lich. Denn Beet­ho­vens Gehör war bereits schwer beein­träch­tigt. Dennoch erkannten die Zuhörer ihre Bedeu­tung. nannte sie einen „Donner­schlag“, und E.T.A. Hoff­mann sprach vom „Reich des Unge­heuren und Uner­mess­li­chen“. Als „Schick­sals­sin­fonie“ wurde sie bezeichnet. Auf vier Noten – dreimal G, dann es – errichtet Beet­hoven ein gewal­tiges sinfo­ni­sches Gebäude. Der Beginn wurde während des Zweiten Welt­krieges zum Symbol der Frei­heit und über die Rund­funk­an­stalten als Signal des Sieges über die Barbarei verbreitet. Im dritten Satz lässt Beet­hoven das Motiv wieder­kehren, um es in eine „Orgie von Freude und Befreiung“ münden zu lassen.

4. Hector Berlioz: Symphonie fantas­tique

Hector Berlioz sah am 11. September 1827 zum ersten Mal Shake­speares Hamlet. Dabei verliebte sich in die engli­sche Schau­spie­lerin Harriet Smit­hson. „Shake­speare, der so uner­wartet über mich kam, traf mich wie ein gewal­tiger Blitz­schlag, dessen Strahl mir mit über­ir­di­schem Getöse den Kunst­himmel eröff­nete“, schrieb er und fasste den Plan einer „gewal­tigen Instru­men­tal­kom­po­si­tion“. Ein Monu­ment seiner Leiden­schaft sollte sie werden.

1830 entstand mit dem Titel Épisode de la vie d’un artiste (Aus dem Leben eines Künst­lers). Symphonie fantas­tique war der Unter­titel. Dazu schrieb Berlioz ein ausführ­li­ches Programm über einen jungen Künstler, der sich in das Ideal­bild einer Frau verliebt. Damit hob er mit seiner Sinfonie die Tren­nung zwischen Sinfonie, Drama und Lite­ratur auf. Die Urauf­füh­rung erfolgte am 5. Dezember 1830 in Paris. Neue effekt­volle Klänge holte Berlioz aus dem Orchester. Als Genie­streich eines 26-Jährigen wird die Symphonie fantas­tique gesehen.

5. : Sinfonie Nr. 3 a‑Moll op. 56

„In der tiefen Dämme­rung gingen wir heut nach dem Palaste wo Königin Maria gelebt und geliebt hat“, schreibt Felix Mendels­sohn Bartholdy 1829 in einem Brief aus dem schot­ti­schen Holy­rood Palace in Edin­burgh. Beson­ders beein­druckte ihn die Ruine der Schloss­ka­pelle: „Gras und Efeu wächst viel darin, und am zerbrochnen Altar wurde Maria zur Königin von Schott­land gekrönt. Es ist da alles zerbro­chen, morsch, und der heitre Himmel scheint hinein. Ich glaube, ich habe heute da den Anfang meiner Schot­ti­schen Sinfonie gefunden.“ Doch dann geschah lange nichts.

Erst am 3. März 1842 erfolgte durch das Gewand­haus­or­chester Leipzig unter Mendels­sohns Leitung die mit Span­nung erwar­tete Urauf­füh­rung. Mendels­sohn war zu seiner Zeit der bedeu­tendste deut­sche Kompo­nist. Aber, wie die Allge­meine musi­ka­li­sche Zeitung meldete, sind die Erwar­tungen erfüllt worden, „in einem so hohen Grade erfüllt worden, wie wir es … kaum erwartet hatten“. Als Mendels­sohn die Sinfonie kurz darauf in London diri­gierte, widmete er sie der jungen Königin Viktoria. Bis heute blieb sie eines der meist­ge­spielten Werke.

6. : Sinfonie Nr. 8 C‑Dur D 944

Franz Schu­bert hinter­ließ nach seinem tragisch kurzen Leben ein gewal­tiges Erbe. Neun Sinfo­nien gehörten dazu. Zu Schu­berts Lebzeiten erklang keine einzige davon. Während seiner letzten Reise mit dem Hofopern­sänger Johann Michael Vogl begann Schu­bert mit der Arbeit an der Sinfonie, die nach der aktu­ellen Zählung als seine Achte gilt und den Beinamen „die Große“ erhielt. Anfang Oktober 1825 wandte sich Schu­bert an die „Gesell­schaft der Musik­freunde des öster­rei­chi­schen Kaiser­staates“, um „als ein vater­län­di­scher Künstler, diese meine Sinfonie demselben zu widmen und sie seinem Schutz höflichst anzu­emp­fehlen“. Schu­bert erhielt eine Grati­fi­ka­tion von 100 Gulden. Aber eine Auffüh­rung erfolgte nicht.

Nach Schu­berts Tod 1828 bewahrte sein Bruder Ferdi­nand die Partitur auf. Erst als bei ihm auf „einen aufge­häuften Reichtum an Hand­schriften“ stieß, wandte sich das Blatt. Schu­mann, dem das Werk den Weg zu eigenem sinfo­ni­schen Schaffen öffnete, erkannte, was er in Händen hielt. „Es ist das Größeste, was in der Instru­men­tal­musik nach Beet­hoven geschrieben worden ist“, schrieb er in seinem Brief und schickte die Partitur an das Gewand­haus nach Leipzig. So kam die Sinfonie am 22. Mai 1839 in Leipzig zur Urauf­füh­rung. „Jahre werden viel­leicht hingehen, ehe sie sich in Deutsch­land heimisch gemacht hat“, prognos­ti­zierte Schu­mann damals, „dass sie vergessen, über­sehen werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Jugend­keim in sich.“

7. : Sinfonie Nr. 7 E‑Dur

Die Siebente Sinfonie begrün­dete den Welt­ruhm Anton Bruck­ners. Mit keinem seiner anderen Werke errang er einen solchen Erfolg. Die Sinfonie entstand unter dem Einfluss Richard Wagners und ist dem Wagner-Mäzen, König Ludwig II., gewidmet. Während der Arbeit am zweiten Satz erhielt Bruckner die Nach­richt vom Tode Wagners in Venedig, und so kann man den Satz auch als Toten­klage verstehen. Bruckner lässt darin Wagner-Tuben erklingen. Sie kehren auch im vierten Satz wieder, den Bruckner als Apotheose des Glau­bens enden lässt.

Die Urauf­füh­rung erfolgte am 30. Dezember 1884 unter Artur Nikisch am Gewand­haus Leipzig. Bruck­ners Schüler, Joseph Schalk, hatte Nikisch die Sinfonie vorge­stellt, und dieser war sofort begeis­tert: „Ich gebe Ihnen hiemit mein heiliges Ehren­wort, dass ich die Sinfonie in sorg­fäl­tigster Weise zur Auffüh­rung bringen werde.“ Doch erst die zweite Auffüh­rung am 10. März 1885 in München unter Hermann Levi löste den Siegeszug der Sinfonie durch zahl­reiche Städte Europas und der USA aus.

8. : Sinfonie Nr. 4 e‑Moll op. 98

Mit seiner vierten und letzten Sinfonie verstörte Johannes Brahms Freunde und Bewun­derer. Das Werk entstand in Mürz­zu­schlag auf dem Semme­ring, wo Brahms 1884 und 1885 die Sommer­mo­nate verbrachte. „Die Kirschen werden hier nicht süß“, schrieb er in einem Brief und spielte damit an den herben Charakter der Sinfonie an.

Tatsäch­lich gelangten seine Kompo­si­ti­ons­prin­zi­pien, die durch­bro­chene thema­ti­sche Arbeit aus Motiv­keimen und die Verwen­dung tradi­tio­neller Form­schemen, in der Sinfonie zur Voll­endung. Vor allem der letzte Satz stellt ein kompli­ziertes poly­phones Geflecht dar. Die Urauf­füh­rung am 25. Oktober 1885 in Meiningen unter Brahms« eigener Leitung zeigte nicht den erhofften Erfolg. Als aber Hans von Bülow die Sinfonie anschlie­ßend mit seinem Meininger Hofor­chester auf einer Konzert­tournee spielte, war es die Sinfonie, die die Tournee zu einem Triumphzug werden ließ.

9. Pjotr Tschai­kowski: Sinfonie Nr. 6 h‑Moll op. 74

„Ich habe über­große Lust, eine gran­diose Sinfonie zu schreiben, die den Schluss­stein meines ganzen Schaf­fens bilden soll“, teilte Pjotr Tschai­kowski 1890 mit. Zwei Jahre darauf fertigte er erste Skizzen an, und 1893 begann er mit der Kompo­si­tion. Es entstand ein gran­dioses melan­cho­li­sches Tonge­mälde.

Die Urauf­füh­rung erfolgte am 28. Oktober 1893 in St. Peters­burg und brachte eine Enttäu­schung. „Ich konnte weder das Orchester noch das Publikum davon über­zeugen, dass dies mein bestes Werk ist und ich nie mehr etwas Besseres als diese Sinfonie werde schreiben können. Schade.“ Zehn Tage darauf war Tschai­kowski tot. Und da erst begann unter dem Titel Pathé­tique, den die Sinfonie auf Vorschlag von Tschai­kow­skis Brüder Modest erhielt, der große Erfolg des Werks.

10. Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 9 e‑Moll op. 95 B 178

Antonín Dvořák kompo­nierte zwischen 1865 und 1893 neun Sinfo­nien, mit denen er zu den heraus­ra­genden Vertre­tern der Gattung in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts gehört. Die Neunte Sinfonie mit dem Beinamen Aus der Neuen Welt wurde seine bekann­teste. Sie entstand während seines Aufent­halts in New York. Per Tele­gramm hatte Dvořák 1892 seine Beru­fung zum Direktor des National Conser­va­tory of Music in New York erhalten.

Als die Sinfonie am 16. Dezember 1893 durch die New Yorker Phil­har­mo­niker unter Anton Seidl in der Carnegie Hall zur Urauf­füh­rung kam, war der Erfolg enorm. Die Zeitungen schrieben, noch nie habe ein Kompo­nist einen solchen Triumph gehabt. Schon nach dem zweiten Satz tobte das Publikum, und Dvořák musste sich verbeugen. Die Kritiker verein­nahmten die Sinfonie sogleich als „ameri­ka­ni­sche“.

11. : Sinfonie Nr. 4

Jean Sibe­lius« Vierte Sinfonie war die Lieb­lings­sin­fonie von . Was er an ihr so bewun­derte, war „die radi­kale Moder­nität der Musik­sprache und die kompro­miss­lose Konse­quenz in der Form­ge­bung“. Sibe­lius setze die tradi­tio­nellen Krite­rien und Form­sche­mata seiner Sinfonie außer Kraft, betont auch sein Biograf

Tomi Mäkelä. Statt­dessen zeige er das Wachsen sinfo­ni­scher Entwick­lungen aus Motiv­keimen, die sich nur allmäh­lich zu thema­ti­schen Gebilden verdichten.

Die Urauf­füh­rung der Sinfonie erfolgte am 3. April 1911 in Helsinki durch das Sinfo­ni­sche Orchester Helsinki unter Leitung Sibe­lius«. Der Rezep­tion von Sibe­lius Werk stand lange Zeit der Sibe­lius-Kult führender Natio­nal­so­zia­listen im Wege, der ein Netz­werk selt­samer Vorstel­lungen um ihn herum spann.

12. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9

In seinem Kompo­nier­häusl in Toblach nahm Gustav Mahler 1909 Abschied von der Welt. Lange hatte er sich gescheut, seine Neunte Sinfonie in Angriff zu nehmen. Dann tat er es doch, und sie wurde das, was er befürchtet hatte, seine letzte Sinfonie. Die Urauf­füh­rung erfolgte ein Jahr nach Mahlers Tod am 26. Juni 1912 in Wien durch die Wiener Phil­har­mo­niker unter Bruno Walter.

Als „eine tragisch erschüt­ternde, edle Para­phrase des Abschieds­ge­fühls“, empfand Walter den ersten Satz, „ein einzig­ar­tiges Schweben zwischen Abschieds­wehmut und Ahnung des himm­li­schen Lichts“. Nach dem „ruhe­volle Lebe­wohl“ des letzten Satzes machte sich Befremden im Publikum breit. , der dabei war, aber empfand die Sinfonie als „das herr­lichste, das Mahler je geschrieben hat“.

13. Ralph Vaughan Williams: Sinfonie Nr. 3

Neun Sinfo­nien kompo­nierte Ralph Vaughan Williams. Sie nehmen nicht nur einen bedeu­tenden Platz in seinem Schaffen ein, sondern stellen auch einen Höhe­punkt der Gattung in England dar. In seiner Dritten Sinfonie verar­beitet Vaughan Williams seine Erleb­nisse während des Ersten Welt­krieges. Er war 1916 als Soldat in Nord­frank­reich einge­setzt, und aus dieser Zeit datieren die ersten Skizzen. Fünf Jahre später schloss Vaughan Williams in London das Werk ab.

Aufgrund des Bezugs zum Krieg wird die Sinfonie als „War Requiem“ bezeichnet. Vaughan Williams beti­telt es als Pastoral Symphony. Den pasto­ralen Charakter bringt er durch volks­lied­hafte, penta­to­ni­sche Wendungen sowie die Instru­men­ta­tion zum Ausdruck. Die Urauf­füh­rung erfolgte 1922 mit der Sopra­nistin Flora Mann und dem Royal Phil­har­monic Orchestra unter Adrian Boult.

14. : Sinfonie Nr. 7

Die Bedeu­tung der Siebten Sinfonie von Dmitri Schost­a­ko­witsch liegt vor allem im Poli­ti­schen. Entstanden mitten im Krieg in dem von deut­schen Truppen bela­gerten Lenin­grad, erhielt sie den Namen „Lenin­grader“. „Mit unserem Schaffen müssen wir dem Faschismus ein Grab schau­feln“, erklärte Schost­a­ko­witsch. Der vierte Satz symbo­li­siert nach Schost­a­ko­witschs Worten „den Sieg des Lichts über die Dunkel­heit, der Wahr­heit über den Wahn­sinn, der Mensch­lich­keit über die Tyrannei“. Die Urauf­füh­rung erfolgte am 5. März 1942 durch das Orchester des

Moskauer Bolschoi-Thea­ters unter Samuil Samossud in Kuiby­schew. Die Sinfonie wurde als Aufruf zum Kampf und als Symbol des Sieges ange­sehen.

Wie Schost­a­ko­witsch aller­dings in den von Solomon Volkov heraus­ge­geben Memoiren schreibt, fühlte er sich miss­ver­standen: „Der Krieg brachte unsag­bares Leid und Elend. Das Leben wurde sehr, sehr schwer. Es gab unend­lich viel Kummer, unend­lich viel Tränen. Doch vor dem Krieg war es noch schwerer, weil jeder mit seinem Leid allein war… Jeder hatte um jemanden zu weinen. Aber man musste leise weinen, unter der Bett­decke. Niemand durfte es merken. Jeder fürch­tete jeden. Der Kummer erdrückte, erstickte uns… Ich musste ihn in Musik umsetzten.“ Und unter Bezug auf den stali­nis­ti­schen Terror erklärt Schost­a­ko­witsch: „Ich musste ein Requiem schreiben für alle Umge­kom­menen, für alle Gequälten. Ich musste die furcht­bare Vernich­tungs­ma­schi­nerie schil­dern und den Protest gegen sie zum Ausdruck bringen.“

15. : Sinfonie Nr. 5 B‑Dur op. 100

Sergei Prokofjew beschäf­tigte sich sein Leben lang mit der Sinfonie. Seine erste, die Klas­si­sche, entstand 1917, seine letzte 1951, zwei Jahre vor seinem Tod, als er bereits krank war. Die Fünfte Sinfonie kompo­nierte er im Sommer 1944 in Iwanow, dem „Haus des Schaf­fens“ des sowje­ti­schen Kompo­nis­ten­ver­bandes. Sein Wunsch war es, „den freien, glück­li­chen Menschen zu besingen, seine Kraft, seine Großmut, die Rein­heit seiner Seele“, und von Anfang an erfreute sich das Werk großer Beliebt­heit.

Die Urauf­füh­rung erfolgte am 13. Januar 1945 in Moskau. Unmit­telbar vor der Auffüh­rung traf die Nach­richt vom sieg­rei­chen Vordringen der Roten Armee über die Weichsel ein. Es war, als spiegle die Sinfonie den bevor­ste­henden Sieg. „Niemals vergesse ich die Auffüh­rung“, erin­nerte sich der Pianist Swato­slaw Richter. „Es war das letzte Auftreten Prokof­jews als Diri­gent… Er stand wie ein Denkmal auf seinem Posta­ment. Und plötz­lich, als Stille eintrat und der Takt­stock schon erhoben war, ertönten die Artil­le­rie­salven. Er wartete und begann nicht eher, als bis die Kanonen schwiegen. Wieviel Bedeut­sames, Symbol­haftes kam da zu Wort. Wie wenn sich ein Schlag­baum vor allen erhoben hätte.“

16. : Sinfonie Nr. 1

Karl Amadeus Hart­mann kompo­nierte acht Sinfo­nien, die zu den Haupt­werken der klas­si­schen Moderne zählen. Doch blieb dieses sinfo­ni­sche Werk, das Hart­mann selbst als Kern seines Schaf­fens ansah und mehr­mals einer Über­ar­bei­tung und Neuord­nung unterzog, über seinen Tod 1963 hinaus verkannt. Der Macht­an­tritt der Natio­nal­so­zia­listen 1933 markierte eine entschei­dende Wende in Hart­manns Arbeit: „In diesem Jahr erkannte ich, dass es notwendig sei, ein Bekenntnis abzu­legen, nicht aus Verzweif­lung und Angst vor jener Macht, sondern als Gegen­ak­tion.“ Er zog sich völlig in die innere Emigra­tion zurück und entwi­ckelte eine musi­ka­li­sche Sprache des Wider­stands.

Bereits 1933 erkannte er in der Gattung Sinfonie jene Tradi­tion, die er fort­setzen wollte. Was ihm vorschwebte, war „ein durch­lebtes Kunst­werk mit einer Aussage“. Seine Erste Sinfonie für Alt-Stimme und Orchester trägt den Unter­titel Versuch eines Requiems. Sie entstand ab 1935 und besteht aus fünf Sätzen: Intro­duk­tion: Elend, Früh­ling, Thema in vier Varia­tionen, Tränen, Epilog: Bitte. Als Text­grund­lage wählte Hart­mann Gedichte von Walt Whitman: „Ich sitze und schaue aus auf alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach.“ Die Urauf­füh­rung erfolgte 1948 unter der Leitung von Winfried Zillig bei Radio Frank­furt

17. : Turangalîla-Sinfonie

Bereits 1939 erhielt Olivier Messiaen von Sergei Kusse­wizki den Auftrag, für das Boston Symphony Orchestra ein Orches­ter­werk zu schreiben. Der Krieg und die Gefan­gen­schaft Messiaens verzö­gerten die Erfül­lung. Erst am 2. Dezember 1949 konnte in Boston die Urauf­füh­rung der monu­men­talen zehn­sät­zigen Turangalîla-Sinfonie statt­finden. Kusse­wizki hatte sich bereits zurück­ge­zogen, und leitete das Orchester.

Der Titel Turangalîla bringt die über­flie­ßende Energie der Musik und Messiaens Begeis­te­rung für Zeit und Rhythmus zum Ausdruck. „Turanga“ stehe für Tempo, so Messiaen, und „lîla“ bedeute „Lebens­kraft, das Spiel der Schöp­fung, Rhythmus und Bewe­gung“. Zentrales Thema ist die Liebe, „eine unwi­der­steh­liche Liebe, die grund­sätz­lich zum Tode führt, die gewis­ser­maßen nach dem Tod verlangt, denn es ist eine Liebe, die den Körper über­steigt, die selbst die Voraus­set­zungen des Geistes über­steigt und sich ins Kosmi­sche erwei­tert“. In einem gran­diosen Finale lässt Messiaen die Stimme der Ondes Martenot in den höchsten Regis­tern erklingen.

18. Miec­zysław Wein­berg: Sinfonie Nr. 18 Krieg – kein Wort ist grau­samer op. 138

Miec­zysław Wein­berg wurde in die Tragö­dien des 20. Jahr­hun­derts hinein­ge­rissen. 1919 in Warschau geboren, zwang ihn der deut­sche Über­fall auf Polen 1939 zur Flucht. Er gelangte nach Minsk, musste jedoch später erfahren, dass seine Eltern und seine Schwester im Zwangs­lager Traw­niki ums Leben gekommen waren. 1941 floh er nach dem deut­schen Einmarsch in die Sowjet­union nach Tasch­kent. Bereits gegen Kriegs­ende aber bekam er den Anti­se­mi­tismus zu spüren. Dmitri Schost­a­ko­witsch setzte sich sehr für ihn ein und schrieb für ihn sogar einen Brief an Lawrenti Beria, den gefürch­teten Chef des sowje­ti­schen Geheim­dienstes.

Die Ausein­an­der­set­zung mit seiner jüdi­schen Herkunft und dem damit verbun­denen Leid wurden zum Leit­thema von Wein­bergs Schaf­fens. Seine 18. Sinfonie bildet das Herz­stück seiner sinfo­ni­schen Trilogie An der Schwelle des Krieges und ist der Erin­ne­rung an all jene gewidmet, die im Krieg gegen Hitler-Deutsch­land fielen. Wein­berg verar­beitet darin Gedichte von Sergej Orlov und Alex­ander Twar­dowski zu einer Refle­xion über den Krieg. Die Urauf­füh­rung erfolgte 1985 im Rahmen des Moskauer Herbst­fes­tival unter der Leitung von Wladimir Fedo­sejew.

19. : Sinfonie Nr. 9

Inner­halb von 50 Jahren entstand Hans Werner Henzes sinfo­ni­sche Werk: zehn Sinfo­nien, in denen er eine Viel­falt an Möglich­keiten sinfo­ni­schen Kompo­nie­rens zeigte. Mit seiner Neunten Sinfonie erfüllte er die Forde­rung Gustav Mahlers, „mit allen Mitteln der vorhan­denen Technik“ eine Welt aufzu­bauen. Henze betrach­tete sie als „Summa summarum eines Schaf­fens“.

Bereits die für Henze unty­pi­sche lange Entste­hungs­zeit zeigt die Bedeu­tung der Sinfonie. Sie ist die Aufar­bei­tung seines Lebens­themas, „die Last des deut­schen Erbes“. Dafür griff er zurück auf Anna Seghers Roman Das siebte Kreuz. Die Sinfonie umfasst sieben Sätze: Die Flucht, Bei den Toten, Bericht der Verfolger, Die Platane, Der Sturz, Die Nacht im Dom, Die Rettung. Die Urauf­füh­rung erfolgte am 11. September 1997 im Rahmen der Wiener Fest­wo­chen durch den Rund­funk­chor Berlin und die Berliner Phil­har­mo­niker unter der Leitung von .

20. : Sinfonie Nr. 5 Requiem, Bardo, Nirma­n­a­kaya

Zur Feier der Jahr­tau­send­wende erhielt Philip Glass von den Salz­burger Fest­spielen den Auftrag für eine große Sinfonie. Das Werk sollte nach Glass« Vorstel­lung eine Brücke zwischen Vergan­gen­heit und Zukunft bilden und eine starke posi­tive Kraft vermit­teln. Zur Erar­bei­tung schöpfte Glass aus den großen Weis­heits­tra­di­tionen der Welt. Mit James Parks Morton vom Inter­faith Center in New York und Kusu­mita P. Pedersen vom St. Francis College entwi­ckelte er einen Text, der mit der Erschaf­fung der Welt beginnt, durch das irdi­sche Para­dies (Requiem) geht und über einen Zwischen­zu­stand (Bardo) mit der erleuch­teten Wieder­ge­burt (Nirma­n­a­kaya) endet. Dem tradi­tio­nellen Orchester fügte er Chor, Kinder­chor und Solisten hinzu.

Die Urauf­füh­rung am 28. August 1999 in Salz­burg mit dem Radio-Sympho­nie­or­chester Wien unter wurde von der Los Angeles Times als „Groß­ereignis“ gefeiert. Das inspi­rie­rende 100-minü­tige Werk riss das Publikum zu begeis­terten Ovationen hin. Immer und immer wieder wurde Glass auf die Bühne gerufen. Das Beein­dru­ckende war, dass die ins Engli­sche über­tra­genen Texte, die Dutzende von Spra­chen und Kulturen sowie einen Zeit­raum von 2500 Jahren umspannten, trotz der Verschie­den­heit ihrer Themen über­ein­stim­mende Aussagen enthielten und das tiefe Gefühl einer heiligen Welt­vi­sion vermit­telten.

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