Was ist hier gesucht?
Eine Laune der Natur
26. Mai 2021
Ein typisches Schicksal ist meines: dominanter Vater, Beamter, unmusisch; schwache Mutter, Flöte, musisch versponnen.
So etwas haben Sie noch nicht gesehen. Da würde es Sie glatt von Ihren Sitzen hauen. Und die anderen, die würden wir vor uns her treiben. Da könnten sie nur so über die Saiten fliegen – die kleinen, zarten Fingerchen. Zwölf von uns! Das wäre ein Ding. Das wäre ein Spaß. Da könnte uns selbst ein ganzes Orchester nicht mehr in Schach halten. Schon rein physikalisch würde das nicht gehen. Aber ohne uns läuft hier nichts. Können Sie jeden fragen. Jeder Musiker wird Ihnen gern bestätigen, dass ein Orchester jederzeit auf den Dirigenten verzichten kann. Jahrhundertelang sind Orchester ohne Dirigenten ausgekommen, der Dirigent ist ja auch musikentwicklungsgeschichtlich eine Erfindung allerjüngsten Datums, also 19. Jahrhundert. Aber kann man auch auf uns verzichten? Sorry, ich glaube nicht.
Eine einzige Enttäuschung
Andererseits… Es ist kein Instrument, das einen zum Star macht. Wir landen nicht auf dem Titel eines Hochglanzmagazins. Es „ist das scheußlichste, plumpeste, uneleganteste Instrument, das je erfunden wurde. Ein Waldschrat von Instrument.“ Es trägt eher das Prädikat Verlierer. Nein, geboren wird man zu diesem Instrument wirklich nicht. Es ist eher eine Laune der Natur. Ein Zufall, ein Umweg, eine einzige Enttäuschung. Wir sind gezeichnet von den Schlägen, die das Leben ausgeteilt hat. Schauen Sie nur mal in unsere Gesichter. Ein typisches Schicksal ist zum Beispiel meines: dominanter Vater, Beamter, unmusisch; schwache Mutter, Flöte, musisch versponnen; ich als Kind liebe die Mutter abgöttisch; die Mutter liebt den Vater; der Vater liebt meine kleinere Schwester; mich liebte niemand – subjektiv jetzt. Aus Hass auf den Vater beschließe ich, nicht Beamter, sondern Künstler zu werden; aus Rache an der Mutter aber am größten, unhandlichsten, unsolistischsten Instrument.
Spektakulär „Sarah“ schreien
Aber es gibt noch Hoffnung. Denn da ist diese Frau. Eine Sopranistin. Und ich bin verliebt. Wenn sie da ist, spiele ich besonders schön. Nur blöd, dass ich sie nicht kriege. „Ich brauche immer eine Frau, die ich nicht kriege. Aber so wenig, wie ich sie kriege, brauche ich auch wieder keine.“ Heute Abend steht ein Giulini-Gastkonzert auf dem Programm. Da will ich mein Leben ändern und spektakulär „Sarah“ schreien.
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