Wer ist hier gesucht?
Wie ein Raubtier auf der Lauer
29. Juli 2020
Manche sagen, er sei nicht musikalisch, habe keinen Sinn für schöne Melodien. Könne ja nicht einmal die Noten richtig lesen.
Da steht er nun also – und wartet. Mal wieder, der Arme. Gut okay, manchmal sitzt er auch einfach so da. So wie alle anderen, fast ganz normal könnte man meinen, auf einem Stuhl – und wartet. Immer noch. Denn egal, ob stehend oder sitzend: Er wartet. Mal wartet er nur einige Takte und mal mehrere Minuten lang. Manchmal muss er aber auch ganze Sätze ausharren.
Geduld, Geduld!
Geduld, Geduld – das ist seine Tugend und sein Schicksal. Er könnte sich auch hinlegen und ein Schläfchen halten, genug Zeit hätte er zumindest dafür. Doch er wartet ab, hellwach und konzentriert. Wie ein Raubtier auf der Lauer. Denn irgendwann kommt er, der richtige Zeitpunkt. Und dann schlägt er zu. Kraftvoll, schnell, präzise und vor allem mitten rein. Der Ton sitzt – wie der Prankenhieb eines Tigers. Und pünktlich kommt er auch noch.
Grandissimo! Furioso!
Manche sagen, er sei nicht musikalisch, habe keinen Sinn für schöne Melodien. Könne ja nicht einmal die Noten richtig lesen. Ach, alles Neider! Mit seinen Schlägen wird es erst so richtig feierlich und erhaben. Ja, man könnte sagen: glamourös. Und dafür muss er nicht einmal in der ersten Reihe sitzen. Zugegeben, sein großer Auftritt kommt oft erst dann, wenn sich ohnehin schon alles dem Ende zuneigt. Aber dann schlägt seine Stunde. Dann legt er ein Finale hin! Aber so was von einem Finale. Grandissimo! Furioso! Die Floskel „Hau rein“ bekommt hier eine ganz neue, bildliche Bedeutung.
Der Feind: die Generalpause
Doch Vorsicht. Auch dieser elegante Lauerjäger hat einen Feind: die Generalpause! Dieses fiese, hinterhältige Stück absoluter Ruhe. Mit einem Schlag kann hier alles versaut sein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wer zu spät kommt, den bestraft schon das Leben. Aber es geht ja noch tragischer! Denn manchmal straft es denjenigen noch viel mehr, der zu früh kommt. Er muss also an sich halten können, den richtigen Zeitpunkt abwarten. Dafür braucht es schon ziemlich abgebrühte und nervenstarke Typen. Ja, und Typinnen. So viel Zeit zum Gendern muss schon sein. Wobei es nach wie vor doch eher eine Männerdomäne ist.
Nichts für Herdentiere
Und es ist nichts für Herdentiere. Ein Exemplar sagte einmal: Wer oft allein ist, wird automatisch zur Minderheit. Und eine größere Minderheit, als allein zu sein, gibt es wohl kaum. Doch wenn dieser eine fehlt oder gar einen Fehler macht, fällt es umso mehr auf, ist es umso entscheidender. Bei einigen Gelegenheiten bildet der Lauerjäger dennoch eine kleine Herde. Dann darf gemeinschaftlich zugeschlagen werden. Zum Beispiel bei Berlioz oder Wagner. In diesem Sinne: Hau rein!
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