Salzburger Pfingstfestspiele
Castingshow, römische Leidenschaften und Cecilia Bartoli mal zwei
von Maria Goeth
24. Mai 2021
Bei den Salzburger Pfingstfestspielen wurden Georg Friedrich Händels Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ in der Inszenierung von Robert Carsen und das Barockkonzert „What Passion Cannot Music Raise“ gegeben.
APPLAUS!!! Das Finale von „The World’s next Topmodel” findet in Salzburg statt! Robert Carsens szenische Umsetzung von Georg Friedrich Händels Oratorium Il Trionfo del Tempo e del Disinganno katapultiert die Zuschauer direkt in die Glitter-Glamour-Welt einer Castingshow, die gerade ekstatisch ihr neues Supermodel feiert. Damit gelingt Carsen der Coup, Händels rein allegorische Figuren sehr greifbar und zugänglich zu verorten: „Bellezza“, die „Schönheit“, ist die frisch gekrönte Shooting-Queen und „Piacere“, das „Vergnügen“, die diabolische Agentin, mit der sie ihren Knebelvertrag schließt. „Tempo“, die „Zeit“ präsentiert sich als spaßbefreiter Mahner in priesterlichem Gewand, während „Disinganno“, die „Erkenntnis“, als Psychotherapeut geduldig den Selbstzweifeln des jungen Supermodels lauscht und auch dem Publikum mittels bühnenraumfüllender Spiegelwand im wahrsten Sinne des Wortes einen solchen vorhält. Klar, dass am Ende die flüchtige Schönheitsblase platzt und „Bellezza“ im Angesicht der Vergänglichkeit reumütig der Eitelkeit abschwört.
Verblüffend geschmeidig
Carsens Konzept löst sich so verblüffend geschmeidig ein, dass man meinen könnte, Händel bzw. sein Librettist, der Kardinal Benedetto Pamphili, hätten das Werk genau für diese Interpretation verfasst. Darüber hinaus bereichert Rebecca Howell die Szene durch lebendige Choreographien einer Gruppe von Tänzer*innen und Statist*innen.
Musikalisch durchwachsen
Leider bleibt bei der musikalischen Ensemble-Leistung einige Luft nach oben – so wohlwollend man nach langer Livekultur-Abstinenz auch beurteilen mag. Sopranistin Mélissa Petit (Bellezza) findet erst im Laufe des Abends zu tragender Stimmstärke. Tenor Charles Workman (Tempo) artikuliert sehr sprachnah und verliert rhythmisch mehrfach das Orchester und Countertenor Lawrence Zazzo (Disinganno) überzeugt zwar mit seinem warmen Klang, könnte hier und da aber noch etwas wandlungsfähiger sein.
Selbst Grande Dame und Künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele Cecilia Bartoli (Piacere) verkörpert zwar voll Spielkraft und Dynamik die teuflische Agentin, stimmlich wirkt sie zunächst jedoch etwas fahrig und findet erst in den zum Niederknien schönen lyrischen Passagen am Schluss ganz zu sich. Les Musiciens du Prince-Monaco unter der Leitung von Gianluca Capuano machen es mit ihren rasanten Tempi und ihrem wuchtigen Klang in zudem großer Besetzung den Sänger*innen nicht einfach.
Dennoch: Dieses selten gespielte Frühwerk Händels – er schrieb es mit 22 Jahren als sein erstes Oratorium – ist hörens- und in Carsens Fassung durchaus auch sehenswert, besitzt es doch ohnehin Opernqualitäten. Vermutlich ist es nur deshalb nicht als solche deklariert, weil in Rom, wo sich Händel zum Kompositionszeitpunkt aufhielt, Opern aus Gründen des Sittenverfalls seitens der Kirche strikt untersagt waren.
Rom, Rom, Rom!
Weil Sir John Eliot Gardiner wegen Quarantänebestimmungen nicht einreisen konnte und das eigentlich für die Pfingstfestspiele geplante geistliche Konzert entfallen musste, sprangen Cecilia Bartoli und Les Musiciens du Prince-Monaco mit Gianluca Capuano kurzerhand noch für eine Konzert-Matinée ein: mit dem Programm „What passion Cannot Music Raise“, das ganz im Zeichen Roms und der Heiligen Cäcilia steht – mit barocken Arien und Instrumentalstücken von Nicola Porpora über Georg Philipp Telemann bis Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel.
Kunstvoll und harmonisch
Hier zeigt sich Bartoli nach kurzer „Aufwärmphase“ gewohnt stimmstark, agil und farbenreich. Die eigentlichen Stars des Morgens aber sind die Instrumentalsolisten, die abwechselnd zum Partner oder Kontrahenten Bartolis werden. Allen voran Flötist Jean-Arc Goujon mit einem Klang schlicht zum Dahinschmelzen, von dem man wünscht, er möge einfach nie mehr aufhören! Aber auch Oboist Pier Luigi Fabretti, der gleich zu Anfang in ein Duett mit Cecilia Bartoli einstimmt, bei dem sich die Stimmen so kunstvoll und harmonisch ineinanderwinden, wie es kaum mit einem Gesangspartner möglich wäre. Schließlich Trompeter Thibaud Robinne, der sich scherzhafte Koloratur-Gefechte nicht nur mit der Gesangsstimme und der Oboe liefert, sondern in der Zugabe sogar in den Jazz abdriftet – was Bartoli mit George Gershwins Summertime aus Porgy and Bess kontert. Natürlich dürfen bei diesen Wettstreits auch Bartolis legendäre Haltetöne nicht fehlen – man könnte meinen, sie habe eine Extralunge! Davon abgesehen, lassen die Musiciens du Prince-Monaco aber auch in diesem Konzert leider etwas die Lyrik und barocke Leichtigkeit vermissen.
Die Matinée wird mit Videoprojektionen von Barockgemälden und kleinen szenischen Elementen flankiert. Bartoli verlässt nie die Bühne, sondern verwandelt sich an einem Schminktisch mit Hilfe zweier „Tanzmeister“ in ihre jeweils nächste Rolle. Ob es dies und andere „Geschmacksverstärker-Gags“ wie den nach einem Vogel an der Angel schnappenden Dirigenten oder penetrantes Vogelgezwitscher, das die Händel’sche Bukolik persifliert, braucht oder ob diese mehr ablenken als Mehrwert schenken liegt dabei im Auge des Betrachters.
Die Kritiken beziehen sich auf die Aufführungen am 23. Mai 2021 bei den Salzburger Pfingstfestspielen.