Cate Blanchett

Macht mit Mahler

von Klaus Kalchschmid

24. Februar 2023

Cate Blanchett als fiktive Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker: »TÁR« erzählt von einer charismatischen Musikerin und dem Machtmissbrauch einer lesbischen Frau, die sich unantastbar wähnt.

Der Beginn von Mahlers Fünfter Sinfonie und damit die sugges­tive Fern-Trom­pete des einlei­tenden Trau­er­marschs ist – wie das berühmte Adagietto – der rote Faden in diesem Film über eine viel­leicht charis­ma­ti­sche, jeden­falls macht­be­ses­sene und von ihrer eigenen Bedeu­tung berauschten Frau, die offen lesbisch mit der Konzert­meis­terin ihres Orches­ters (Nina Hoss) zusam­men­lebt. Sugge­riert wird, dass es die Berliner Phil­har­mo­niker seien, gespielt werden sie aller­dings von Mitglie­dern der Dresdner Phil­har­monie, die teil­weise auch sehr über­zeu­gend Neben­rollen verkör­pern! Schon das ist ein selt­samer Fake, der bezeich­nend ist für den ganzen Film, der auf viel­fache Hinsicht verstört, mehr­fach falsche Fährten legt und eigent­lich – mit Ausnahme der kleinen Adoptiv-Tochter aus Syrien namens Petra (Nomen est omen!), die Lydia Tár und ihre Frau gemeinsam erziehen – keine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­guren kennt.

Trailer des Films TÁR mit

Eine geniale Plan-Sequenz ist das Zentrum des Films: Lydia Tár läuft durch einen Hörsaal, erklärt, doziert, belei­digt und sagt doch so viel Wahres. Als Anti­zi­pa­tion ihres späteren Abstiegs und einer surrealen Szene, in der sie in einem Keller Kerberos, dem Höllen­hund, beim Abstieg in die Unter­welt begegnet, auf der Flucht vor ihm nach draußen stürzt und sich eine Gesichts­hälfte übel verletzt, geht sie im Hörsaal rück­wärts die Treppe hinunter, während sie ihren Studenten ein letztes Mal beschimpft! Aus diesen zehn zusam­men­hän­genden Minuten werden später wenige aus dem Zusam­men­hang geris­sene Sekunden zusam­men­ge­schnitten, die alle Ingre­di­en­zien eines MeToo-Falls enthalten.

Regis­seur begann seinen vor rätsel­haften Spie­ge­lungen in Raum und Zeit, zwischen Wörtern und Tönen oszil­lie­renden Film auch mit einem solchen Film­chen: Noch bevor ein Wort gespro­chen wird, sehen wir ein heim­lich aufge­nom­menes und im Chat kommen­tiertes Handy-Video, das eine Vorweg­nahme des Endes ist und sich erst spät erklärt, wenn der freie Fall von Lydia Tár längst begonnen hat. Da rächt sich, dass sie ihre Assis­tentin Fran­ziska (als ehema­lige Lieb­ha­berin verquält ehrgeizig: Noémie Merlant) eben nicht zur Stell­ver­tre­terin ernennt. Die riesige gemein­same Wohnung der Diri­gentin mit ihrer Konzert­meis­terin verströmt mit ihrem Sicht­beton abso­lute Kälte und ist nur spär­lich beleuchtet bei Nacht zu sehen. Also zieht sich die Diri­gentin immer wieder in eine schöne, lichte Berliner Altbau­woh­nung zurück, um zu kompo­nieren, da empfängt sie aber auch die in jeder Hinsicht attrak­tive Olga Metkina, von der jungen Cellistin Sophie Kauer bis hin zum russi­schen Akzent im Deut­schen groß­artig verkör­pert. Das wird der Diri­gentin ebenso zum Verhängnis wie der Suizid einer Studentin und ehema­ligen Lieb­ha­berin, die mit roten Haaren gesichtslos durch den Film spukt.

Die letzte halbe Stunde der 158 Minuten ist dann wohl weniger Realität denn ein wirrer (Alp-)Traum, wie zuvor schon des Nachts ein Metronom im Schrank tickte oder Társ Diri­gier­par­titur von Mahlers Fünfter aus dem Schrank verschwindet. Lydia Tár gönnt sich nach ihrem Fall keine Auszeit, sondern beginnt sofort eine neue Karriere, weit weg von Berlin: Da springt die Hand­lung plötz­lich ohne zeit­liche Konti­nuität von New York mit der eins­tigen elter­li­chen Wohnung voller Erin­ne­rungs­stücke und einem Bruder, der die Schwester kühl abblitzen lässt über Thai­land, eine irreale Fluss­fahrt irgendwo in Asien zu einem Finale, in dem Tár Fantasy-Film­musik vor kostü­mierten Kids diri­giert.

Cate Blan­chett spielt diese seltsam kalte und nicht nur als Diri­gentin so fordernde Frau mit einer verstö­renden Kontrol­liert­heit und scheinbar stoi­schen Unnah­bar­keit, die zwar immer mal wieder Risse bekommt, so wenn man ihre wieder­keh­renden Ticks sieht, aber nur ganz am Ende echte Emotion und so etwas wie Verzweif­lung zeigt. Selbst wenn Blan­chett diese schreck­liche Frau über­ra­gend mimt, sehr über­zeu­gend diri­giert und mit ihrem deut­schen Orchester auch – in einem englisch­spra­chigen Film! – fast akzent­frei Deutsch redet, bleibt ein gewisses Befremden und die Frage, was uns dieser Film eigent­lich erzählen wollte.

>

Verlosung von Freikarten für den Film TÁR mit Cate Blanchett auf dem CRESCENDO-Instagram-Account: www.instagram.com

Fotos: Courtesy of Focus Features