Osiel Gouneo
Der schwarze Punkt
von Barbara Schulz
26. März 2024
»Menschen sind keine Farbe« hat der Tänzer Osiel Gouneo anlässlich seiner neu erschienenen Autobiografie einmal gesagt. Es ist die steinige Geschichte eines Schwarzen, der sich an die Spitze getanzt hat.
Es ist kein schwereloses Buch, wie man das von einem erwarten könnte, der das Gesetz der Gravitation scheinbar mühelos außer Kraft setzt. Und natürlich gibt es einen Grund, warum kein opulenter Bildband von und über den charismatischen Tänzer und ersten Solisten beim Bayerischen Staatsballett in München erscheint, sondern die Autobiographie des noch nicht einmal Mittdreißigers: Er ist Afro-Kubaner, also schwarz, was in der Welt des Balletts bis vor wenigen Jahren einfach nicht stattfinden durfte.
Aber von vorn: In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, tanzt er Rumba unterm Mangobaum in Matanzas und träumt eher von einer Karriere als Baseballspieler. Gerade mal neun schickt ihn die Mutter in die Kaderschmiede, ein Ballettinternat in Pastorita – Ballett hat in Kuba ungefähr den Stellenwert, den Fußball in Deutschland hat. Aber natürlich fehlte ihm als kleiner Junge die Fantasie, sich „vorstellen zu können, dass ich tatsächlich einmal auf einer Bühne stehen könnte. Ich dachte, man will mich hier mit weißen Strumpfhosen demütigen“. Er war allein, der Drill war hart, und er vermisste seine Heimat und seine Familie.
Doch er ist zäh. Braucht aber Ablenkung und Motivation. Und begräbt über Bergen von Ballettvideos leise seinen Traum, ein Baseball-Star zu werden. Stattdessen treten neue Helden in sein Leben: die weißen Romeos und Onegins … Als ihm ein Video von Carlos Acosta, ebenfalls Kubaner und ebenfalls schwarz, in die Finger kommt, hat er ein Idol. Und damit nimmt eine unglaubliche Karriere ihren Anfang: Er schafft die Aufnahmeprüfung an einer der angesehensten Ballettschulen der Welt in Havanna, einer internationalen Karriere steht damit kaum mehr etwas im Weg. Außer seiner Hautfarbe, dem vermutlich größten Hindernis in der strahlend weißen Welt des Balletts und nichts anderes als real existierender Rassismus.
Und das ist der eigentliche Grund für dieses Buch. Osiel Gouneo hat dem Autor und Journalisten Thilo Komma-Pöllath seine Geschichte erzählt, angefangen bei seiner Liebe zu den Großeltern und seinem Leben mit und unter Mangobäumen, zu denen er eine spezielle Beziehung hatte und immer noch hat. Neben wunderbar persönlichen und liebevollen Geschichten aus seiner Vergangenheit geht es aber auch und vor allem um die Steine, um nicht zu sagen um die Felsen, die man ihm seit Beginn seiner Laufbahn vor die Füße geworfen hat. Versteckter, meist aber sehr offener Rassismus – die ganze Klaviatur der Ausgrenzung musste er am schwarzen Körper erfahren, bevor er einer der ersten Principal Dancer bei den großen Compagnien wurde.
Da geht es um die wirklich beschämende Geschichte, als er in Oslo 2014 als einer von vieren – die drei anderen waren weiß – John Crankos Onegin proben sollte: Am Ende tanzte er als Einziger nicht vor und verließ den Saal unter Protest – schließlich sei er der einzig schwarze Punkt im Raum und könne insofern nicht übersehen werden. Eine traumatische Erfahrung, bei der es nicht blieb: Nur ein Jahr später verhinderte die Witwe von Choreograf Kenneth MacMillan kurz vor der Première, in der er den Liebhaber der Manon tanzen sollte, dass er als Schwarzer die Rolle tanzt.
Aber dann eben doch: Gouneo als erster schwarzer Romeo an der Pariser Oper. Gouneo als Tänzer des Jahres 2017. Und da schon wieder: gekürt ausgerechnet für seine Rolle des Spartakus am Bayerischen Staatsballett – sein Nachname ist beredter Beweis dafür, dass seine Vorfahren Sklaven waren.
Am Ende ist dieses Buch also mehr als eine Autobiographie. Am Ende ist dieses Buch eine Mahnung, die weit über die Welt des Balletts und ihre Reglements, ihren Traditionalismus und ihre Hierarchiegläubigkeit hinausgeht. Am Ende ist dieses Buch eine Frage an jeden von uns, ob es wirklich so selbstverständlich sei wie das Atmen selbst, dass die Farbe der Haut keine Rolle spielt.