Asmik Grigorian

Asmik Grigorian

Wunderbar wandelbar

von Walter Weidringer

27. März 2024

Konzeptuelle Merkwürdigkeit oder Wagnis? Die Sopranistin Asmik Grigorian stellt die »Vier letzten Lieder« von Richard Strauss in zwei Fassungen gegenüber: originalgetreu mit Orchester und in Begleitung mit Markus Hinterhäuser am Klavier. Experiment gelungen!

Das hat es so auch noch nicht gegeben: eine CD „nur“ mit den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss, dieser musi­ka­li­schen Spät­lese eines 84-jährigen Kompo­nisten, in der ein Hauch Wehmut eine fried­voll-abge­klärte Rück­schau würzt, eine Rück­schau auf ein Leben und eine Part­ner­schaft, die zugleich auf das nahe Ende voraus­blickt – und auf das, was danach kommen mag. Doch diese „Vier letzten Lieder“ sind hier in doppelter Form fest­ge­halten, in zwei Inter­pre­ta­tionen und Fassungen: Einmal wird die Sing­stimme origi­nal­ge­treu vom Orchester einge­fasst, einmal nur vom Klavier getragen. Frei­lich, bei Asmik Grigo­rian verwun­dert eine solche konzep­tu­elle Merk­wür­dig­keit nicht, sie gehören zum Charakter dieser außer­ge­wöhn­li­chen Sängerin, die sich immer auch mit ihren Part­nern und an deren Hand wandelt, verwan­delt.

Hier sind das einer­seits Mikko Frank und das Orchestre Phil­har­mo­nique de Radio France mit einer feinen Leis­tung, ande­rer­seits der phäno­me­nale, weil phäno­menal in die Tiefe gehende Markus Hinter­häuser. Man könnte annehmen, das Klavier würde allen­falls eine flüs­si­gere Darstel­lung nahe­legen. Das Gegen­teil ist hier der Fall: Hinter­häuser nimmt sich immer mehr Zeit als Frank, bei „September“ gar etwa um die Hälfte mehr. Aber das fällt nicht per se auf und schon gar nicht unan­ge­nehm – zumal er sich selbst­ver­ständ­lich keinen Allein­gang leistet, sondern zusammen mit Grigo­rian zu einer spezi­ellen Inti­mität findet: Sein Nach­spiel von „Im Abendrot“ wird da zum poeti­schen Höhe­punkt. Wer eine vom Dich­ter­wort ausge­hende Deutung wünscht, wie sie Elisa­beth Schwarz­kopf mit stimm­li­cher Fein­me­chanik erzielen konnte, wer unge­trübte, gleichsam keusche sänge­ri­sche Schön­heit sucht, wie sie Gundula Jano­witz ausge­strahlt hat oder wer sich den „Vier letzten Liedern“ mit anderen pronon­cierten Inter­essen nähert, darf hier getrost weiter­gehen: Grigo­rians vokale Physio­gnomie präde­sti­niert sie eher für die Oper als für das Lied.

Doch nicht nur erklärte Fans werden vernehmen, was ihre Stimme bereits dann auszu­drü­cken vermag, wenn sie noch gar nichts „macht“: Wie sich dieser Sopran in die vorge­ge­benen Kanti­lenen einpasst, sich zurück­nimmt, fall­weise dabei auch leicht wider­setzt – das ist hier der Akt, bei dem Vortrag, Inter­pre­ta­tion und Ausdruck zusam­men­fallen.

Fotos: Jan Frankl