71. ARD-Musikwettbewerb
Vielversprechende Künstler und Mozart als Prüfstein
27. September 2022
Rückblick auf den 71. Internationalen Musikwettbewerb der ARD
Mit etwas Abstand erinnert man sich nur noch an das Schöne, Spannende und Erhellende, das der ARD-Musikwettbewerb als erstes Großereignis der klassischen Musik in München zu Beginn des Herbstes jedes Jahr bietet, und man freut sich, dass das Publikum, letztes Jahr pandemiebedingt erst ab den Semifinalrunden zugelassen, nun wieder den Wettbewerb ab der ersten Runde in Präsenz verfolgen konnte, das auch ausgiebig tat und wie in früheren Jahren mit Feuereifer dabei war.
Vergessen sind die Mühen, die ein exzessiver Besuch auch bedeutet, dauert doch ein Semifinale im Fach Streichquartett, wie in diesem Jahr, schon mal netto sechs Stunden. Aber wann je hört man so viele spannende Werke manchmal unmittelbar nebeneinander in verschiedenen Interpretationen junger, oft vielversprechender Künstler, die für ihre Sache brennen. Und nach der „Pflicht“ des Wettbewerbs klingt mancher Vortrag in der „Kür“ bei einem der drei Preisträgerkonzerte sogar noch besser und gereifter!
Unterschiedlicher konnten die Fächer dieses Jahr nicht sein. Sie waren schon 2020 geplant, als der ARD-Musikwettbewerb ausfallen musste und wurden nun nachgeholt. Erstmals in der Geschichte wurde damit die Altersbegrenzung ausgesetzt, um allen, die vor zwei Jahren hätten dabei sein können, auch diesmal die Teilnahme zu ermöglichen: Einerseits war dies das zarte Holzblasinstrument der hellen Flöte, auch wenn die mittlerweile aus Metall ist, und die mächtige Posaune. Nur fünf Teilnehmerinnen standen hier 54 Männern gegenüber, während bei der Flöte die Geschlechter zu gleichen Teilen angetreten sind. Dazu das universelle Klavier und die Königsdisziplin der Kammermusik: das Streichquartett. Während das Solo- und Konzertrepertoire bei Flöte und Posaune reichlich überschaubar ist, stellt die Auswahl der Wahlpflichtstücke die beiden langjährigen künstlerischen Leiter des Wettbewerbs, Meret Forster und Oswald Beaujean, bei Klavier und Streichquartett vor die Qual der Wahl, ist doch das Repertoire von der Klassik bis ins 21. Jahrhundert überreich.
Allerdings gibt es in beiden Fällen für das Semifinale den absoluten Prüfstein Mozart, und so wählten dieses Jahr aus den Opera KV 414, 415, 459 und 488 gleich drei Pianisten Letzteres, während die sieben Quartett-Ensembles von den zehn späten Mozart-Quartetten, die zur Auswahl standen, sechs verschiedene wählten (KV 421, 428, 499, 575, 589 und 590). Was für ein schönes Spektrum, das einem sonst nur ein Streichquartett-Festival beschert!
Wohl kein Mittelsatz eines Klavierkonzerts von Wolfgang Amadé Mozart ist ausdrucksvoller als das fis-Moll-Adagio seines KV 488 in A‑Dur. Schon das ungewöhnlich langsam im wiegenden Siciliano-Rhythmus solistisch vorgetragene Thema entführt in andere Sphären. Der Koreaner Junhyung Kim, zweiter Preisträger im Fach Klavier des diesjährigen Wettbewerbs, spielte es im zweiten Preisträgerkonzert im Prinzregententheater zu Tränen rührend. Damit knüpfte er unmittelbar an das G‑Dur-Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven an, das er im Finale des Wettbewerbs ebenfalls solistisch mit wenigen Takten charismatisch eröffnete. Wie ausgelassen lebensfroh er dann mit dem bestens gelaunten Münchener Kammerorchester das Mozart-Finale zum fröhlichen Kehraus machte, war das perfekte Gegenstück und nicht minder überzeugend.
Manchmal wird im Wettbewerb kein erster Preis vergeben, da die Gewinner die absolute Podiumsreife beweisen sollen, mithin eine Karriere in den Konzertsälen vorgezeichnet sein müsste. Dass dem auch bei ersten Preisträgern oft nicht der Fall ist, aber KünstlerInnen, die noch nicht mal das Finale erreichten – im Fach Gesang ist das oft so – heute wohl bekannt sind, so die Sopranistin Siobhan Stagg, die gerade mit Ravel bei den BR-Symphonikern gastiert, um nur ein Beispiel zu nennen, wirft dann doch Fragen auf. Und noch ein Novum gab es dieses Jahr. Den Sonderpreis für die beste Interpretation des Auftragswerks, das extra für den Wettbewerb komponiert wird und von allen Semifinalisten gespielt werden muss, bekam, und das ist keinesfalls immer so, stets der jeweilige erste Preisträger.
Weitere Informationen zum 72. Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München, der vom 28. August bis 15. September 2023 in den Fächern Viola, Kontrabass, Klaviertrio und Harfe stattfindet, auf: www.br.de