Alice Sara Ott
»Musik ist nicht immer nur schön!«
von Barbara Schulz
25. Oktober 2018
Es ist diese magische Stunde, wenn Tag und Nacht sich treffen und eins werden, der die Pianistin Alice Sara Ott ihr neues Programm widmet.
Es ist diese magische Stunde, wenn Tag und Nacht sich treffen und eins werden, der die Pianistin Alice Sara Ott ihr neues Programm widmet. Weil sie wie keine andere Licht und Schatten der menschlichen Seele beleuchtet.
crescendo: Das Thema „Nightfall“ ist eine Plattform für einerseits sehr romantische Musik, andererseits aber macht sie uns die Endlichkeit sehr bewusst. Sind Sie dafür nicht zu jung?
Alice Sara Ott: Interessant ist ja, dass viele Komponisten in meinem Alter schon gestorben waren. Und haben trotzdem Werke hinterlassen, die in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Und gerade mit diesem Thema, glaube ich, hat man sich in meinem Alter schon auseinandergesetzt. Ich würde mich selbst als sehr hellen, optimistischen Charakter beschreiben. Fühle mich aber immer auch zur dunklen Seite hingezogen. Diese Zwiespältigkeit der Menschen fasziniert mich von jeher. Es geht um die Momente, wo sich Grenzen verwischen, wo man nicht mehr sagen kann, das ist gut, und das ist böse. Es ist auch die Stunde am Tag, die ich am interessantesten und mysteriösesten finde.
Die Kompositionen sind sehr filigran …
Ja, einerseits. Es gibt aber auch extrem raue und fast schon brutale und schmerzhafte Seiten in dieser Musik, gerade im Gaspard de la Nuit. Es hat viel Finesse. Debussy, der Meister der Klangfarben – er ist für mich wie Monet: Auf den ersten Blick ist alles wunderschön und harmonisch, aus der Nähe werden die Makel sichtbar. Debussy ist genauso. Alles klingt so harmlos, aber es ist teilweise grotesk. Claire de Lune zum Beispiel. Irgendwie hab ich immer gefühlt, dass es nicht nur so schön ist, wie es scheint. Und tatsächlich: Es handelt sich ja um eine Hommage an das Gedicht von Paul Verlaine: Die Menschen singen von Glück und Lebensfreude, hinter der Maske aber verbergen sich Schmerz und Ängste.
„Es geht um die Momente, wo sich Grenzen verwischen, wo man nicht mehr sagen kann, das ist gut, und das ist böse“
Sie haben einmal gesagt, Sie würden alles, was Sie fühlen, durch die Musik fühlen. Was macht so ein Programm mit Ihnen?
Tatsächlich war diese Vorbereitungszeit eine sehr düstere Zeit, in vielerlei Hinsicht. Es heißt ja oft, dass Musik Trost spendet und beruhigt. Das ist nicht immer so. Gerade, wenn man eine schmerzhafte oder traurige Erfahrung gemacht hat, kann Musik einen das noch viel tiefer empfinden lassen. Musik ist also nicht immer nur schön, sondern hat schmerzhafte und raue Seiten. Auch ich musste mich Dämonen stellen, denen ich sonst aus dem Weg gehe.
Sie haben mit Ravel, Debussy und Satie drei Komponisten gewählt, die eine Ära geprägt haben. Spüren Sie die unterschiedlichen Charaktere und Befindlichkeiten in der Musik?
Ja, aber ich denke während des Spielens nicht mehr drüber nach. Ich hab mich natürlich mit den Charakteren auseinandergesetzt, als ich die Stücke gelernt habe. Die drei sind sehr verschieden und haben einen ganz unterschiedlichen Kompositionsstil. Und dennoch: Gerade in diesem Thema gibt es einen großen gemeinsamen Nenner.
Weist „Nightfall“ ein wenig in die Richtung, in die die Marke Alice Sara Ott gehen soll?
Nein, für mich sind solche Aufgaben und Projekte nur das Festhalten eines Moments, der mir sehr wichtig ist. Aber dann gehe ich auch weiter. Deshalb höre ich mir auch nie meine alten Aufnahmen an. Das ist für mich dann Vergangenheit. Und ich schaue ungern in die Vergangenheit zurück. Aber ja, ich denke jetzt mehr über jeden Schritt nach. Ich bin ja auch kein Newcomer mehr. In meinem Alter überlegt man noch, was einen ausmacht, worüber man sich definiert und womit man sich identifiziert.
„Auch ich musste mich Dämonen stellen, denen ich sonst aus dem Weg gehe“
Sie sind gerade 30 geworden. Kommen Sie langsam an?
Ich weiß nicht, ob ich mich schon zu 100 Prozent gefunden habe. Als Musiker ist man doch immer auf der Suche.
Es heißt, Sie hätten großen Respekt vor Mozart. Ravel, Debussy, Satie fallen leichter?
Ich finde leichter Eintritt in ihre Welt. Mit ihnen fühle ich mich nicht so nackt auf der Bühne. Bei Mozart habe ich das Gefühl, dass ich in einem Spiegelraum spiele, in dem mich jeder beobachtet. Ich schätze seine Musik unglaublich und habe schon so viele Konzerte und Aufnahmen erlebt, wo es so klingt, wie es sein muss. Und dann setze ich mich hin und denke: Nein, so darf es nicht sein.
Gab es denn eine größte Herausforderung für Sie bei diesem Programm?
Gaspard de la Nuit ist auf alle Fälle eine sehr große Herausforderung. Aber eigentlich: alles. Die Stimmungen, die Struktur. Das ist es ja meistens. Ich würde generell nicht sagen, dass das eine Stück leichter ist als das andere. Das gilt für alles, was ich bisher gespielt habe. Jedes ist eine Herausforderung. Es ist geniale Musik. Muss es ja sein.