
Jonathan Tetelman
Je mehr Dynamik, desto besser
von Antoinette Schmelter-Kaiser
1. Juli 2025
Seine Stimme fiel schon auf, als er ein Kind war. Heute brillierte Jonathan Tetelman auf den besten Bühnen weltweit, ein besonderes Faible hat der amerikanische Tenor für Verdi und Puccini. Am 1.8. gastiert er mit Chelsea Zurflüh unter dem Motto „Im Zauber der Verführung“ auf Schloss Neuschwanstein.
Geboren in Chile, aufgewachsen bei Adoptiveltern in New York, jetzt mit Ihrer Familie in Berlin ansässig, aber auch als Tenor regelmäßig rund um den Globus unterwegs – sind Sie als Kosmopolit in Ihrem Element?
JT: Ehrlich gesagt habe ich keine andere Wahl. Das viele Reisen gehören zu meinem Beruf. Wann immer möglich, begleiten mich meine drei Königinnen – meine Frau, unsere dreijährige Tochter und das Baby. Unterwegs muss mich natürlich auf meine Proben und Auftritte fokussieren. Aber in der knappen freien Zeit genießen wir den Luxus, die jeweiligen Städte anzuschauen, zu shoppen, uns auszuruhen. Ich hoffe, dass mir das auch rund um meinen Auftritt am 1.8. August auf Schloss Neuschwanstein gelingt. Von diesem Ort hatte ich bis zu meinem Engagement noch nie gehört.
Auf der Bühne haben Sie ebenfalls viel Abwechslung, schlüpfen immer wieder in neue Rollen. Was bedeutet Ihnen das persönlich?
Einseitige Figuren liegen mir nicht so – wie Ruggero in „La Rondine“, der nur ein Liebhaber ist. Das ist mir nicht genug, da fehlt die persönliche Entwicklung. Lieber sind mir Charaktere mit viel Dynamik – je mehr desto besser. Rollen wie Verdis Don Carlos oder Puccinis Cavaradossi genieße ich am meisten, weil ich mit ihnen eine ganze Geschichte erzählen kann.
Warum sind Puccini und Verdi konstante Begleiter Ihrer Karriere?
Ich dachte früher, dass ich ein Mozart-Bariton oder hoher französischer Bariton werde. Aber als ich ernsthaft begann, mich als Tenor auszubilden, bekam ich das Angebot, „La Bohème“ zu singen. Ich dachte: Warum nicht? Als ich mich dann in die Rolle vertiefte, befiel mich das Puccini-Virus. Ich verband mich mit diesem Komponisten, seiner Art, für die Stimme zu schreiben, und seiner Gabe, Spannung und menschliche Probleme auf eine so schöne, virtuose Art auf die Bühne zu bringen. Ich bekam danach auch andere Rollen in „La Traviata“, „Rigoletto“ oder „I due foscari“ angeboten und habe mich in das breitere lyrische bzw. Spinto-Repertoire bewegt. Größere Musik und größere Rollen bringen allerdings für Sänger auch mehr Verantwortung mit sich. Puccini war eine gute Vorbereitung auf Verdi als nächsten Schritt.
Sind Konzertabende wie auf Schloss Neuschwanstein herausfordernder, weil man sich im Gegensatz zu einer Oper nicht auf eine durchgehende Handlung und Rolle konzentrieren kann, sondern von Arie zu Arie umstellen muss?
Man könnte denken, dass das schwieriger ist. Aber sobald die Musik beginnt, weiß ich, wie ich mich fühlen und wie ich diese Emotionen teilen sollte, werde zur jeweiligen Figur. Ich kenne jedes Stück sehr gut und verstehe mein Handwerk. Außerdem suche ich für meine Programme Stücke aus, die zueinander passen.
Gibt es Auftrittsorte, die Sie mehr inspirieren als andere?
Für mich zählt vor allem die Verbindung zur Musik und den Menschen, mit denen ich arbeite. Der Ort drumherum ist für mich nicht so wichtig – das kann der intimere Rahmen des Schlosshofs von Neuschwanstein genauso wie die Wiener Staatsoper sein.
Kann mit Bühnenpartnerinnen und ‑partnern eine besondere Intensität und Energie entstehen, insbesondere zu zweit wie auf Schloss Neuschwanstein, wo Sie unter dem Motto „Im Zauber der Verführung“ mit Chelsea Zurflüh singen?
Ich kenne diese Sopranistin noch nicht. Aber wenn Kolleginnen und Kollegen kooperativ und offen sind, auch mit der Musik kommunizieren wollen, entsteht etwas sehr Spezielles. Das Publikum kann spüren, ob das authentisch ist oder nicht. Ich hoffe, dass wir auf Schloss Neuschwanstein eine besondere Verbindung und Chemie mit den Zuhörern teilen können.
Im Opern-Publikum dominieren meist grauhaarige Köpfe. Ist es Ihnen als Mittdreißiger wichtig, auch jüngere Menschen für klassische Musik zu begeistern?
Unbedingt. Das gilt genauso gut für andere Menschen, die nicht in die Oper gehen. Es ist unsere Aufgabe als Musiker, auch sie zu berühren und klassische Musik so nahebringen, dass sie gerne wiederkommen. Opernverfilmungen wie „La Bohème“, wo ich mit von der Partie war, können hilfreich sein. Aber grundsätzlich habe ich meinen Körper, meinen Geist, meine Stimme, um überzeugend zu kommunizieren.
Sie spielten früher in einer Band, haben als DJs gearbeitet. Wäre ein Mix zwischen Klassik und moderner Musik ein Weg, um mehr Menschen zu interessieren?
Es gibt einen DJ in Frankreich, der Klassik mit elektronischen Elementen kombiniert. Ich persönlich habe ganz andere Pläne, nämlich gemeinsam mit einem guten Freund Klassik und Sport zu verbinden. Sie dürfen gespannt sein.
Sie singen seit acht Jahren an den besten Opernhäusern, treten mit Berühmtheiten auf und haben hochkarätige Preise gewonnen. Sind trotzdem noch Wünsche offen?
Ich würde gerne inszenieren, auf der anderen Seite der Bühne stehen. Das spüre ich immer wieder, wenn ich mich mit einer Produktion beschäftige. Zu jeder Rolle habe ich eigene Ideen, recherchiere ausgiebig. Mir reicht es nicht, gesagt zu bekommen, wo ich stehen und wessen Hand ich schütteln soll. Ich möchte alles, was ich tue, mit der Musik und meiner Figur verbinden. Wenn man gut vorbereitet ist und seine eigene Interpretation hat, ist es hart, wenn dir ein Regisseur seine Ideen und seine Konzeption aufoktroyieren will – was nicht immer unbedingt mit dem zu tun hat, wie die Oper ursprünglich angelegt war. Mein Ideal von Opernregie wäre, die Akteure ins rechte Licht zu rücken und strahlen zu lassen. Aber man muss ihnen erlauben, das zu tun und zu fühlen. Vielen Regisseuren ist das egal. Sie wollen nur, dass das getan wird, was sie wollen. Das ist moderne, aber keine echte Oper. Insgesamt gibt es für mich eine Krise der Oper und immer weniger echte Künstler wie Elina Garanča, die mit viel Nachdenken und Seele nicht nur in ihre Stimme, sondern auch in die Zeichnung ihrer Figuren investieren.
Mehr zum Programm der Neuschwanstein Konzerte 2025, die vom 1. bis 5.8. im Innenhof stattfinden, finden Sie hier: https://www.neuschwansteinkonzerte.eu/programm/