Woher kommt eigentlich ...
Das Klavier?
von Stefan Sell
3. September 2019
Von Bartolomeo Cristofori über Sébastien Érard bis zu Henry E. Steinway sind alle versammelt, die an der Erfindung des Klaviers beteiligt waren.
Ein ovaler Rokokosaal in den Farben Weiß und Gold, überall runde Stehtische mit weißen Hussen, von eleganten Herren mit Sektflöten und Lachshäppchen umkreist. 120 Gäste haben sich eingefunden, die die Vorsitzende der Internationalen Slagharpa Liga, Frau Prof. Dr. Tastenspiel, mit erhobenem Sektglas begrüßt:
„Meine sehr verehrten Herren, wir widmen uns heute der Frage: Woher kommt eigentlich das Klavier? Wer hat es erfunden? (Unruhe kommt auf) …ich weiß, ich weiß, Sie alle … Lassen Sie uns anstoßen auf die, die uns mit ihrer Ausdauer, ihrer Erfindungsfreude, ihrem unermüdlichen Pioniergeist ermöglicht haben, Klavier zu spielen. Skål! Ein Hoch auf leise und laute Töne. Sie alle hier hatten es sich zur Aufgabe gemacht, ein Klavier zu bauen, das sowohl Piano als auch Forte spielen kann. Sie werden sich erinnern, einst wurden die Saiten mit einem Federkiel angerissen, bis 1694 Signore Cristofori die Idee mit dem Hammer kam. Ich darf einen Zeitzeugen zitieren: ‚Es ist jedem Kenner bewußt, dass in der Musik das Schwache und das Starke gleich wie Licht und Schatten in der Mahlerey, die vornehmste Quelle sei, woraus die Kunsterfahrenen das Geheimnis gezogen, ihre Zuhörer ganz besonders zu ergötzen. So ist in Florenz von Herrn Bartolomeo Cristofori, einem bey dem Großherzog in Diensten stehenden Clavir-Macher, aus Padua gebürtig, diese so kühne Erfindung nicht weniger glücklich ausgedacht als mit Ruhm ins Werk gesetzt worden.« 1697 haben Sie das erste Hammerklavier gebaut, ein Prototyp der heutigen Klaviere. Herzlich willkommen, Signore Cristofori!“ (Applaus). Ein kleiner zierlicher Mann, von bleichem Teint erhebt sein Glas freundlich nickend in die Runde und führt es an seine schmalen Lippen.
Alle Register ziehen
„Dann kamen Sie ins Spiel, Herr Gottfried Silbermann“, fährt die Vorsitzende fort, „ohne Sie wäre wohl die Erfindung Cristoforis in Vergessenheit geraten.“ Cristofori verzieht die dünnen Lippen und wiegt zweifelnd den Kopf. „Herr Silbermann, Sie sind uns bekannt als jemand, der alle Register ziehen kann, Sie waren es, der die Mechanik verbessert hat.“ Der Sachse Silbermann reagiert prompt: „Ja, Cristoforis Idee war einfach der Hammer!“ (Der zierliche Cristofori blüht wieder auf.) „Der Hammer machte den Anschlag lauter. Ich habe allerdings die Spielfähigkeit alltagstauglich gemacht, der alte Bach war ganz verrückt danach.“
Da meldet sich der aus Stuttgart angereiste Dichter und Musiker Christian Daniel Schubart: „Stein in Augsburg hat dem Fortepiano eine Stärke, Schönheit und Wirkung gegeben.“ „Habt ihr vergessen, als der Saitenzug zunahm, baute ich aus einem Guss den Rahmen!“, ruft aufgebracht Alpheus Babcock aus Boston dazwischen. „Ohne unsere Repetitionsmechanik hätte aber niemand so schnell hintereinander anschlagen können“, wetteifert der Klavierbauer Sébastien Érard aus Paris. „Und die läuft nur wegen meiner ‚Herzfeder‘ so glatt“, drängt sich Henri Herz nach vorn. „Moment, ich habe aus den Lederkappen, die den Hammerkopf polsterten, Filzhüte gemacht“, wettert Henri Pape los.
Musikalische Folter
„Aber meine Herren“, beruhigt die Vorsitzende, „Sie alle haben Ihren Beitrag geleistet“, (Broadwood, Pleyel, Bösendorfer und Steinway schütteln verächtlich den Kopf), „auch viele, die heute Abend gar nicht anwesend sind. Ihnen allen herzlichen Dank! Aber Sie haben nicht nur Freude damit bereitet – lassen wir den Musikpapst Eduard Hanslick zu Wort kommen“: „Sie wünschen meine Ansicht über jene unbarmherzige moderne Stadtplage zu hören, die es heute glücklich bis zu der ehrenvollen Bezeichnung ‚Clavierseuche‘ gebracht hat. Ich glaube allen Ernstes, daß unter den hunderterlei Geräuschen und Mißklängen, welche tagüber das Ohr des Großstädters zermartern und vorzeitig abstumpfen, diese musikalische Folter die aufreibendste ist.“
Da platzt Heine in den Saal: „Diese ewige Klavierspielerei ist nicht mehr zu ertragen! Diese grellen Klimpertöne ohne natürliches Verhallen, diese herzlosen Schwirrklänge, dieses erzprosaische Schollern und Pickern, dieses Fortepiano tötet all unser Denken und Fühlen, und wir werden dumm, abgestumpft, blödsinnig.“
(Rundherum Schweigen)
„Meine Herren, sorgen Sie sich nicht, all Ihre haarsträubenden Argumente sind im Laufe der Zeit hinfällig geworden. Überzeugen Sie sich selbst, ich präsentiere Ihnen das Silent Piano, das über ein Pedal stummgeschaltet wird, der Hammerkopf wird gestoppt, bevor er die Saite auch nur berühren kann, ob Piano oder Forte, jeder Klang, jeder Ton kommt jetzt digital heraus. Wer spielt, kann seine Musik über Kopfhörer hören, aber niemand muss mehr mithören, geschweige denn zuhören. Ich bedanke mich bei Ihnen und beende hiermit unseren Festakt in aller Stille.“