KlassikWoche 24/2019
Beethovens Locke, Lang Langs Flamme und Pavarottis Leben
von Axel Brüggemann
11. Juni 2019
Dieses Mal geht es um teure Locken, den Tenor mit dem Taschentuch, um den Kultur-Sparkurs in europäischen Medien und natürlich um alle aktuellen Aufführungen und Personalien.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal geht es um teure Locken, den Tenor mit dem Taschentuch, um den Kultur-Sparkurs in europäischen Medien und natürlich um alle aktuellen Aufführungen und Personalien.
WAS IST
BEETHOVENS LOCKE
Suchen Sie noch eine Geldanlage? Das Beethoven-Jahr 2020 wirft seine Schatten voraus. Während in den Fernsehstudios bereits an opulenten Beethoven-Spielfilmen gearbeitet wird (es wird geflüstert, dass Tobias Moretti die Hauptrolle in der deutschen Produktion spielen soll), steigen die Beethoven-Aktien weltweit schon jetzt. In den kommenden Wochen soll eine Locke des Komponisten bei Sotheby’s versteigert werden, und man rechnet mit einem Rekord-Gebot von mindestens 17.000 Euro. Abgeschnittene Zöpfe als Wertanlage? Das Beethoven-Haus in Bonn macht es schon lange vor: Wenn man hier für eine Doku die dort lagernden Strähnen des Komponisten für einige Sekunden filmen will, sind gleich einige hundert Euro fällig.
BELEUCHTER VS. REGISSEURE
Unbedingt lesenswert ist das Gespräch, das die Berliner Beleuchter Olaf Freese und Reinhard Traum mit der Bühnentechnischen Rundschau geführt haben. Sie erklären, dass viele deutsche Opernhäuser den technischen Anschluss verpasst hätten. Der Beruf würde immer schwerer, die Probezeiten kürzer und die Defizite in der Ausbildung größer. Vor allen Dingen aber beschweren sich die beiden Profis über unprofessionelle Regisseure: „Es gibt da ein paar Regisseure und Bühnenbildner, die selbst für das Licht verantwortlich zeichnen (und honoriert werden), die, selbst wenn sie eine Vorstellung von dem haben, was sie erzielen möchten, nicht in der Lage sind, konkrete Angaben zu machen, einen Plan oder ein Konzept zu erstellen, sodass ein Meister improvisieren muss. Der wird dann womöglich noch „zur Sau gemacht“, weil er nicht weiß, was sich der Regisseur vorher ausgedacht hat. Und so was nennt man dann im deutschen Sprachraum Lichtdesign!?“
WIENER STAATSOPERNCHOR IN KRITIK
Nun steht auch der Staatsopernchor in Wien in der Kritik. Schon vor Jahren haben sich Mitglieder des Zusatzchores über Chordirektor Thomas Lang beschwert: Sie führten arbeitsrechtliche Verstöße an und unerwünschte Anrufe des Chefs. Der Fall schien lange abgeschlossen, denn ein Arbeitsgericht gab der Oper damals bereits Recht. Jetzt wurde in einem anderen Verfahren ein Gesprächsmitschnitt dieser Zusammentreffen öffentlich, aus dem die Wochenzeitung Profil eine etwas krude Geschichte gedreht hat. Zu hören ist, wie der Kaufmännische Direktor der Oper auf die Beschwerden der Sänger reagierte. Er antwortete ihnen: „Wenn eine Straftat vorliegt, dann geht man zur Polizei. Geht man hinein und sagt: ‚Grüß Gott, da bin ich, mir ist eine Straftat bekannt geworden, ich möchte jetzt eine Anzeige machen.« Warum macht man es nicht, sondern setzt sich da her und …?“ Die Sängerin, welche die Tonaufnahmen damals gemacht hatte, wurde bereits zu einer Strafe von 300 Euro verurteilt – wegen des Vergehens des Missbrauchs von Tonaufnahmen. Die Berufung läuft. Die Staatsoper ist gerade dabei, ernsthaft die Strukturen der Ballettschule des Hauses umzubauen (hier gab es ebenfalls Vorwürfe von Missbrauch und Demütigungen). Dem alten Chor-Fall steht sie nun eher entspannt gegenüber. Chordirektor Lang weist die Anschuldigungen kategorisch zurück, und die Oper steht hinter ihm.
PAVAROTTI IM KINO
Wir haben bereits berichtet: Eine neue, opulente Doku von Regisseur Ron Howard zeigt das turbulente leben von Luciano Pavarotti. Zachary Woolfe von der New York Times hat den Film gesehen und ist begeistert, wie Pavarotti Höhen und die Tiefen der Sangeslust miteinander vereinte. „Wenn wir uns bewusst werden, warum wir diese Kunst lieben“, schreibt Woolfe, „dann weil jemand wie Pavarotti uns das schlagende Herz der Oper zu Füßen gelegt hat.“
WAS WAR
Daniel Barenboim bleibt Chef der Staatskapelle Berlin – und die Medien sollen schweigen.
REAKTIONEN AUF BARENBOIM-VERLÄNGERUNG
Daniel Barenboim bleibt Chef der Staatskapelle Berlin und der Staatsoper unter den Linden – bis 2027, dann wird der Dirigent 85 Jahre alt sein. Außerdem ernannten ihn die Berliner Philharmoniker letzte Woche zum Ehrendirigenten. Ich fand einen Satz der Orchestervertreter auf der Pressekonferenz interessant: Sie machten Journalisten für die Debatte um den Führungsstil Barenboim verantwortlich und verlangten, dass die Medien sich aus derartigen Diskursen bitteschön heraushalten sollten, da ein Orchester die Situation zwischen Dirigent und Musikern besser einschätzen könne als Leute von außen. Ich finde das befremdlich. Es ist ein bisschen so, als würde die SPD sagen: „Was bilden sich Journalisten ein, unsere Stimmung zu beschreiben! Wir sind doch die Partei und wissen besser als alle anderen, was bei uns los ist!“ Ich teile den Eifer vieler Journalisten nicht, glaube aber, dass auch die Klassik eine kritische Begleitung aushalten muss. Zumal es um staatliche Institutionen geht, deren Aufgabe die Debatte und die Infragestellung ist. Außerdem ist es natürlich richtig, dass Medien die Vorwürfe gegen den Dirigenten an die Öffentlichkeit gebracht haben – was hätten sie denn sonst tun sollen? In Verehrung und Demut schweigen?
KÜRZUNGEN IM MUSIKJOURNALISMUS
Dass der Musikjournalismus – ähnlich wie im Falle Barenboim – erst spät reagiert und sich viel zu lange zurückhält, hat vielleicht auch damit zu tun, dass Feuilletons keine Mittel mehr haben, um ihre Kritiker irgendwohin zu schicken. Stattdessen werden die meisten Journalisten, auch jene großer Zeitungen, von Orchestern oder Veranstaltern eingeladen. So entsteht oft eine Kritiklosigkeit auf journalistischer Seite und eine Erwartungshaltung auf Seiten der Künstler. Ein Grund, warum sich der Musikjournalismus oft vom kritischen und unabhängigen Journalismus anderer Branchen unterscheidet. Besserung ist nicht in Sicht, wie zwei Meldungen der letzten Woche zeigten: Der Evening Standard aus England hat gerade zwei Kritiker entlassen, um Geld zu sparen, und auch der RBB setzt seinen Sparkurs besonders in der Kultur fort – nachzulesen hier. Keine gute Perspektive für eine wirklich kritische Begleitung der Musikszene.
MUSIKPREIS FÜR SAUNDERS
Am 7. Juni wurde der Komponistin Rebecca Saunders der Ernst von Siemens Musikpreis überreicht. Die energetischen, oft fast gewaltsamen Klangwelten der Komponistin rütteln auf. Einzelne Klänge bilden die Grundlage ihrer Werke – die Stille ist Teil ihrer Kompositionen. Die Sendung Titel, Thesen Temperamente widmete der Komponistin ein Porträt.
AUF UNSEREN BÜHNEN
Karlheinz Stockhausens Licht-Zyklus dauert eigentlich 30 Stunden. Ein großer Teil davon wurde nun an drei Tagen in Amsterdam aufgeführt. Die New York Times und Michael Stallknecht von der NZZ waren begeistert: „Das Haager Konservatorium stellte nicht nur kostensparend diverse Orchesterformationen, sondern richtete auch eigens einen zweijährigen Masterstudiengang für die Solo-Instrumentalisten und die Sound-Ingenieure ein. Unterrichtet wurden sie (…) vor allem von Kathinka Pasveer, der Flötistin, Muse und Nachlassverwalterin Stockhausens.“ +++ „Ein deprimierender Rigoletto“ urteilte Manuel Brug (und mit ihm viele Kollegen) über die Inszenierung von Bartlett Sher an der Staatsoper unter den Linden im Dirigat des wohl viel zu lauten und ungenauen Andrés Orozco-Estrada. +++ Elias Pietsch berichtet im Tagesspiegel über I’d rather sink auf dem Gelände des Berghain: „Regisseurin Aliénor Dauchez von der französischen Musiktheater-Compagnie La Cage stellt zwei äußerst unterschiedliche Stücke nebeneinander: Einen Rave des russischen Komponisten Dmitri Kourliandski und die Video-Oper An Index of Metals des Italieners Fausto Romitelli.“
PERSONALIEN DER WOCHE
Mit dem Intendanten des Dortmunder Schauspielhauses Kay Voges verbindet mich eine lustige Opern-Geschichte: Einst hat er ein interview zwischen Christian Thielemann und mir in seiner Inszenierung des Freischützes in Hannover benutzt – es folgte eine geist- und humorvolle Auseinandersetzung um Rechtefragen, Verballhornung und das Deutsche Volkslied. Nun wird Voges neuer Chef des Wiener Volkstheaters, und ich sage aus ganzem Herzen: Glückwunsch! +++ Lang Lang hat geheiratet, inzwischen wissen wir auch wen: die 24jährige Pianistin Gina-Alice Redlinger, eine Deutsch-Koreanerin. Auf ihrer Feier spielten sie gemeinsam den Walzer aus dem Film Amélie. Unter den Gästen auf der Märchenhochzeit in Versailles war auch der Dirigent Franz Welser-Möst. +++ Michael Tilson Thomas hat seine Konzerte bis zum 3. September abgesagt, da er sich einer Herz-OP unterziehen muss. +++ Das Y‑Net beschreibt in einem lesenswerten Porträt die enge Freundschaft zwischen Zubin Mehta und seinem Nachfolger als Chef des Israel Philharmonic Orchestra, dem 30jährigen Shani Lahav. +++ Das Imperium von Valery Gergiev vergrößert sich: gerade hat er einen Vertrag unterschrieben, der ihn nicht nur zum Chef des Mariinsky in St. Petersburg und der Oper in Vladiwostock macht, sondern auch zum Kopf des neuen Theaterkomplexes auf der Insel Sakhalin. +++ Die Sängerin Camilla Nylund wurde zur Kammersängerin der Wiener Staatsoper ernannt. +++ Emanuel Scobel wird neuer Geschäftsführer des Thomanerchores – zuvor war er u.a. Leiter des Labes Carus und Geschäftsführer der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben. +++ Gestern wurde die Sopranistin Ileana Cotrubas 80 Jahre alt – der BR gratulierte mit einem Video.
WAS LOHNT
Die Deutsche Grammophon feiert Brigitte Fassbaender mit einer Edition.
Ebenfalls 80 wurde die Sängerin Brigitte Fassbaender. Die Deutsche Grammophon hat ihr nun eine sehr hörenswerte Fassbaender-Edition mit 11 CDs gewidmet. Ihre wunderbar erzählenden Liederzyklen, ihre beeindruckende, fast spielerisch leichten und dennoch stets todernsten Opernproduktionen. Grund genug, sich einmal durchzuhören. Ich persönlich erinnere mich gern an ein Gespräch, das wir für CRESCENDO geführt haben, in dem sie – anders als so viele ihrer Kolleginnen – nicht das Lied von „früher war alles besser“ gesungen hat, sondern aus vollem Herzen die – wie sie sagte – „neue Dummheit“ in der Klassikszene bekämpfen wollte.
Fehlt noch was? Ja! Wir freuen uns auf die nächste Vernissage in den Räumen der CRESCENDO-Redaktion in München. Am 11. Juli sind hier die Werke von Friederike Höllerer zu sehen, die u.a. das Cover der letzten Premium-CD gemalt hat. Treffen Sie die Redaktion und die Künstlerin beim After-Work-Aperó – mehr dazu an dieser Stelle.
Bis dahin halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de