Benjamin Bernheim

Paris, mon Amour!

von Dorothea Walchshäusl

26. April 2022

Viel wichtiger als Präzision und Perfektion ist für Benjamin Bernheim die Eleganz des Klangs. Der lyrische Tenor über seine Heimat, den Zauber der Stimmfarben und was Verdi und Adele verbindet.

CRESCENDO: Herr Bern­heim, auf Ihrem neuen Album begeben Sie sich nach Paris, wo Sie geboren sind. Was bedeutet Ihnen diese Stadt?

: Paris ist in vielerlei Hinsicht meine Heimat. Ich habe zwar nur die ersten Jahre meines Lebens dort verbracht und bin danach in Genf aufge­wachsen, aber Paris war immer mein Zentrum und ist mir bis heute sehr wichtig. Wenn ich da bin, habe ich das Gefühl, im Herzen der fran­zö­si­schen Kultur zu sein. Alle entschei­denden Dinge spielen sich dort ab, ob nun in der Musik, der Kunst oder im Sport. Ich brauche diese Stadt in meinem Leben und kehre etliche Male im Jahr dorthin zurück.

Welche Bedeu­tung hatte die Stadt für all jene Musiker, die im 19. Jahr­hun­dert dort aufein­an­der­trafen?

Paris war extrem wichtig für sie – es war ein Ort der Prüfung. Viele Kompo­nisten und auch Sänger gingen damals nach Paris, um sich auszu­pro­bieren und zu beweisen. Hier entschieden sich Karrieren, und so wie ein Regis­seur oder ein Sänger auch heute vor der Première nicht schlafen kann, kam damals ein Verdi oder ein Puccini nach Paris und wusste: Hier werde ich erfahren, ob mein Stück gut ist oder nicht.

Auf Ihrem Album widmen Sie sich der italie­ni­schen Oper in Paris und singen Arien in fran­zö­si­scher Sprache etwa von Doni­zetti, Verdi, Mascagni oder Cheru­bini. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Es war schon immer ein Wunsch von mir, eine Aufnahme mit Musik in fran­zö­si­scher Sprache zu machen. Bei der Recherche habe ich mich zuneh­mend auf Paris konzen­triert und bin auf all die italie­ni­schen Kompo­nisten gestoßen, die ihre Werke damals in fran­zö­si­scher Sprache vertont haben. Für die Zuhörer muss das unglaub­lich gewesen sein: diese Musik zum ersten Mal in ihrer Mutter­sprache zu hören und direkt zu verstehen. Letzt­lich ist das Album so auch eine Hommage an Paris geworden.

Sie haben für das Album intensiv mit der Stif­tung Palaz­zetto Bru Zane zusam­men­ge­ar­beitet. Was haben Sie bei der Ausein­an­der­set­zung mit dem Reper­toire gelernt?

Ich habe sehr viel über den Prozess des Kompo­nie­rens gelernt und über die ­Bedeu­tung, die Paris damals für die ­Kompo­nisten hatte. Sie hatten damals keines­wegs komplett fertige Werke, sondern haben konti­nu­ier­lich an den Opern ge­arbeitet, während sie reisten. In Paris haben sie dann intensiv mit dem Drama­turg und dem Libret­tisten zusam­men­ge­ar­beitet und daran gefeilt, dass ihre Oper funk­tio­niert. Diesen Ent­stehungsprozess nach­zu­voll­ziehen, ist unglaub­lich span­nend. Puccini zum Beispiel hat seine „Madame Butterfly“ etliche Male über­ar­beitet, und die Version, die wir heute überall auf der Welt hören, ist jene, die er in Paris fertig­ge­stellt hat.

Sie spra­chen eingangs von einem „Ort der Prüfung“: Herrschte denn damals in Paris eine Art Wett­be­werb zwischen all den Kompo­nisten?

Es gab mit Sicher­heit einen gewissen Wett­be­werb zwischen der Opéra-comique und der Opéra de Paris. Zudem hatte das Urteil des Publi­kums eine unglaub­lich große Bedeu­tung für die Rele­vanz eines Kompo­nisten. Wenn eine Auffüh­rung sehr erfolg­reich war, wurden damals schnell mal zehn oder 15 Vorstel­lungen mehr ange­setzt, und die Leute kamen und lechzten danach, diese neue Musik zu erleben. Sie haben sehn­lich gewartet auf den neuen Verdi oder den neuen Puccini. Das ist viel­leicht ein biss­chen so, wie die Menschen heute auf die neue Single von Adele warten. Die Kompo­nisten damals waren lebende Götter – aber sie konnten auch mit einer Auffüh­rung zerstört werden.

Das Album ist auch eine Hommage an die fran­zö­si­sche Sprache. Was macht sie für Sie so beson­ders?

Ganz egal, in welcher Sprache ein Stück geschrieben ist – es ist immer extrem wichtig, sich mit der Sprache zu beschäf­tigen. Wenn man als fran­zö­si­scher Sänger zum Beispiel Wagner oder Strauss singen möchte, ist das eine enorme Heraus­for­de­rung. Das Fran­zö­si­sche hat eine Menge einzig­ar­tiger Farben und Dyna­miken, die in der italie­ni­schen Sprache nicht vergleichbar exis­tieren. Bei den Arien auf dem Album ist es sehr span­nend zu hören, wie sich die italie­ni­schen Melo­dien, das italie­ni­sche Legato mit dem fran­zö­si­schen Text verbinden. Beides findet hier zusammen: die Präzi­sion des fran­zö­si­schen Textes mit all den Farben der fran­zö­si­schen Sprache und die italie­ni­sche Seele, die die Musik in sich trägt.

„Als Sänger bin ich ein Diener des jewei­ligen Stücks und ein Diener des Publi­kums“

Macht es für Sie einen großen Unter­schied, ob Sie in Ihrer Mutter­sprache singen oder in einer anderen?

Ja, auf jeden Fall. Meine Mutter­sprache ermög­licht es mir, Farben zu zeigen, die ich in anderen Spra­chen nicht abbilden kann. Jenseits dessen aber ist es unglaub­lich wichtig, dem Publikum den Text näher­zu­bringen und die Geschichte zu erzählen. Das größte Kompli­ment, das ich nach einer Auffüh­rung bekommen kann, ist, wenn Hörer sagen, sie hätten keine Unter­titel gebraucht, weil so klar gewesen sei, worum es geht.

Sie sind als Sänger also ein Geschich­ten­er­zähler?

Ja, absolut! Als Sänger bin ich ein Diener des jewei­ligen Stücks und ein Diener des Publi­kums. Meine Aufgabe ist es, den Zuhö­rern eine Geschichte zu erzählen. Da muss nicht zwin­gend alles perfekt sein. Aber ich muss glaub­würdig sein, damit mir das Publikum die Geschichte abnimmt.

In den verschie­denen Arien durch­leben Sie mit den Charak­teren unter­schied­lichste Emotionen. Wie erar­beiten Sie sich das Psycho­gramm der jewei­ligen Rolle?

Das braucht viel Vorar­beit. Ich lese sehr viel über den Inhalt und die Hinter­gründe der jewei­ligen Oper, um meine Rolle darin zu verstehen. Oft geht es ja um das Opfer eines liebenden Mannes und um die Macht des Schick­sals.

Ist die Durch­drin­gung der jewei­ligen Person auch ein emotio­naler Prozess für Sie?

Das hängt sehr von der jewei­ligen Rolle ab – ob es sich nun um einen Kämpfer handelt, um einen Prinzen oder einen Geist­li­chen. Ob es jemand ist, der sein Leben opfert, oder ob er jemanden verloren hat, den er liebt. Aber in dem Moment, in dem ich die Partie auf der Bühne singe, verin­ner­liche ich all jene Gefühle, die damit zusam­men­hängen.

Sie haben das Album im Studio aufge­nommen, der Live-Moment fehlte also. Fällt Ihnen das schwer?

Ja, das ist nicht einfach. Mein erstes Album war für mich eine Riesen­her­aus­for­de­rung, weil ich diese Situa­tion noch nicht kannte. Die Magie der Live-Musik ist ja gerade, dass sie im Moment geschieht, es eben keine Wieder­ho­lung gibt, keine Kopie – nur der Augen­blick zählt. Bei einer Aufnahme ist es die größte Heraus­for­de­rung, stimm­lich und emotional die Span­nung zu halten. Wenn man eine bestimmte Stelle zum fünften Mal aufnimmt, weil da viel­leicht eine einzelne Note im Orchester nicht ganz perfekt war oder irgendein Neben­ge­räusch zu hören, dann muss man sehr flexibel im Kopf sein, um sich hier wieder auf Knopf­druck hinein­be­geben zu können.

Die Arbeit mit der Stimme und die Inter­pre­ta­tion eines Stücks erfor­dern Intel­lekt, Emotio­na­lität und Körper­lich­keit glei­cher­maßen. Wie meis­tern Sie diese heraus­for­dernde Mischung bei Ihren Darbie­tungen?

Das ist manchmal sehr schwierig. Einer­seits ist die Arbeit mit der Stimme extrem persön­lich, ande­rer­seits gibt es objek­tive tech­ni­sche Para­meter. Zudem setze ich mich intel­lek­tuell mit dem jewei­ligen Stück ausein­ander. Was letzt­lich passiert, hängt immer auch sehr von der jewei­ligen Rolle ab, vom jewei­ligen Regis­seur, dem Diri­genten und den Kollegen auf der Bühne. Die abso­lute Perfek­tion ist nicht erreichbar, und es wird immer Leute geben, die nach einer Auffüh­rung monieren, diese oder jene Passage hätte noch besser gesungen werden können oder irgend­etwas sei nicht präzise genug gewesen. Letzt­lich ist es immer ein Balan­ceakt und eine stän­dige Heraus­for­de­rung, die melo­di­schen Bögen möglichst schlüssig und flie­ßend auszu­ge­stalten und gleich­zeitig den Text nicht zu verlieren. Das Wich­tigste ist mir dabei immer die Eleganz des Klangs. Sie versuche ich bei jeder einzelnen Auffüh­rung zu erschaffen.

Fotos: Christoph Koestlin