Bibiana Beglau
»Lass uns die Köpfe heiß diskutieren«
von Rüdiger Sturm
12. Juli 2023
Dass Bibiana Beglau mit den verschiedensten Formen künstlerischen Ausdrucks jonglieren kann, beweist sie mit immenser Präsenz auf der Bühne, jetzt aber auch im Fernsehen. Mit der Satireserie »Freiheit ist das Einzigste, was zählt« taucht sie in die groteske Welt der Reichsbürger ein. Und so befremdlich die 52-Jährige dieses Klientel findet, ist sie in ihrem Denken frei genug, um sich mit fremden Realitäten zu konfrontieren.
CRESCENDO: Frau Beglau, machen Ihnen eigentlich Personen wie die Reichsbürger in der Realität Angst?
Bibiana Beglau: Nein. Ich bin eher verwundert, was in unserem Land vor sich geht. Was ist faul im Staate Deutschland? Wie kommen Leute auf solche Ideen? Diese Menschen könnten ja mit ihrem Potenzial die Welt verbessern. Doch daran liegt ihnen wenig, denn sie wollen das Glück für ganz wenige. Und über solche Menschen möchte ich reden und auch lachen dürfen. Deshalb haben wir für die Serie das Mittel der Groteske in der Tradition von Christoph Schlingensief, Alexander Kluge und Helge Schneider wieder belebt.
Als Künstlerin setzen Sie sich laufend mit der Welt und der Gesellschaft auseinander. Warum kann Sie so etwas erstaunen?
Weil es immer eine Überraschung ist, wie Menschen handeln, wie sie sich zusammenschließen und welchen Ideen sie aufsitzen. Jeder Mensch handelt ja aus „Gründen“. Es gibt zum Beispiel diese Anastasia-Bewegung, die auf einer russischen Buchreihe beruht. Deren Anhänger tun so, als würde die Romanfigur der Waldfee Anastasia wirklich existieren. Sie denken, wenn sie biologischen Anbau betreiben, Ringelreihen tanzen und dem Nachbarn, der eine andere Meinung vertritt, die Reifen zerstechen, würden sie die Welt verbessern.
Wann haben Sie selbst das Gefühl von Freiheit?
Wenn ich merke, dass um mich herum Menschen Möglichkeiten haben und nutzen können. Wenn sie nicht drangsaliert werden, ein anderes Handeln einnehmen zu müssen, sondern ihr Handeln selbst bestimmen.
»Wir befinden uns in einer Tradition von Alexander Kluge und Christoph Schlingensief«
Und mal nicht so philosophisch gedacht: Gibt es nicht auch Momente, in denen sie sich instinktiv losgelöst fühlen?
Das kann ich ganz einfach sagen. Als ich das Drehbuch zu Freiheit ist das Einzigste, was zählt von Jan Eichborn und Jan Bonny bekommen habe, und als ich dann hörte, dass das eine ZDF-Produktion ist. Ich dachte mir: Hat der Sender die erste Seite gelesen? Was ist denn los? Wollen die das wirklich machen? Das ist echte künstlerische Freiheit. Die ohne eine Produzentin wie Judith Fülle nicht möglich gewesen wäre. Und wir durften diese szenischen Miniaturen in Form einer wilden Groteske mit dem ZDF umsetzen. Ich hoffe aber, dass diese sehr radikalen und verkürzten Produktionsbedingungen jetzt nicht benutzt werden, um zu sagen: Seht ihr, wir kriegen eine Serie von sechs Teilen in sechs Tagen hin. Wir befinden uns hier in einer künstlerischen und freien Tradition von Alexander Kluge und Christoph Schlingensief.
Wie häufig erleben Sie so etwas in Ihrer Arbeit?
Ich darf jetzt in einem Film mitwirken, wo ich auch sehr große Freiheit erlebe. Es finden sich immer wieder Projekte, in denen man nicht so starken Zwängen unterliegt und es eine wunderbare Selbstverantwortung der Arbeit gibt, mit guten und seriösen Arbeitsbedingungen.
»Ich mag die Ausnahmeerscheinungen in einer spießigen Gesellschaft«
Sie genießen künstlerische Freiheit auch bei Ihren Lesungen, aktuell Allen Ginsbergs Gedicht Howl. Was erklärt Ihre Präferenz dafür?
Ich hatte immer ein großes Interesse für die Beat Generation, der Ginsberg angehörte. Ich mag die Ausnahmeerscheinungen in einer spießigen Gesellschaft – statt Goethe und Schiller lese ich lieber Kleist, Günderode, Brinkmann oder Fauser. Und Allen Ginsberg hat eine Heiligsprechung der an der Welt wahnsinnig gewordenen Freunde verfasst. Das sind die Künstler, die das Leben nicht so gut ausgehalten haben.
Kann man eigentlich zwischen den Reichsbürgern und dem Rest der Gesellschaft vermitteln?
Man braucht eine Fläche für die gemeinsame Kommunikation, auf der man diese Leute in die Gesellschaft hereinholt. Dann spielen wir alle mit offenen Karten. Wir sagen: Lass uns beisammen sein und die Köpfe heiß diskutieren, anstatt dass sich jeder in seine eigene Blase zurückzieht.
Hätten Sie Lust, mit solchen Menschen real zu diskutieren?
Das habe ich auch versucht. Für Christoph Schlingensiefs Hamlet holten wir aussteigewillige Neonazis auf die Bühne, und mit denen sind wir am Tisch gesessen. Mit Jürgen Drenhaus, dem Leadsänger einer wichtigen rechten Band, hatte ich danach eine Freundschaft, die wir auch gepflegt haben. Wir haben diskutiert und miteinander geredet. Ich möchte mein Leben nicht mit so einem Menschen tauschen, aber ich kann ihm vielleicht von meiner Lust und Freude abgeben.
Neigt man mit Lust und Freude am Leben weniger zu rechtsradikalen Positionen?
Möglicherweise. Aber nur, wenn die innere Leere und der Schmerz nicht allzu groß sind.
Freiheit ist das Einzigste, was zählt läuft ab 27. Juli 2023 in der ZDFmediathek und am 3. August 2023 ab 00:35 Uhr in ZDFneo.