Bryan Cranston
»Du brauchst Konflikte«
von Rüdiger Sturm
28. Juni 2023
Bryan Cranston spielt den Fernsehmoderator in dem Film »Asteroid City« von Wes Anderson. Im Gespräch erzählt er von der Arbeit auf dem Set, seinem Weg zur Schauspielerei und seiner Philosophie, sich dem Druck zu entziehen.
Mit Breaking Bad wurde Bryan Cranston zu einem der prägnantesten Gesichter des amerikanischen Fernsehens. Inzwischen ist der 67-Jährige auch zu einer festen Größe des US-Films geworden – wie er mit seiner Rolle in Wes Andersons Asteroid City beweist. Doch sein Weg zur Schauspielerei war kompliziert – und wäre vermutlich ohne seine Großeltern ganz anders verlaufen.
CRESCENDO: Mister Cranston: Sie haben bei Asteroid City mit dem Kultregisseur Wes Anderson (Grand Budapest Hotel) zusammengearbeitet. Wie schwer fällt es einem so etablierten Schauspieler wie Ihnen, sich einer übergeordneten Vision unterzuordnen?
Bryan Cranston: Es ist keineswegs so, dass Wes Anderson ein Gefolge aus lauter Claqueuren um sich schart. Er erwartet, dass du Ideen beisteuerst, und wie ein guter Regisseur nimmt er im Lauf des Drehs Anpassungen vor. Du musst dann nur flexibel sein, seine Änderungen umzusetzen. Letztlich ist ein Film nur eine Verschmelzung all dieser Einfälle. Wir alle haben unsere kollektive Energie beigetragen. Wobei der Regisseur seine übergreifende Vision erst im Schnitt entwickelt. Bei Asteroid City habe ich Wes gefragt, wie der Schneideprozess läuft und er meinte nur ‚Das könnte mehr ein Gedicht, als ein richtiger Film sein.‘ Das heißt, er selbst hatte kein festes Konzept, sondern hat gewissermaßen in den Film hineingehorcht, um dessen Richtung zu erkennen.
»Man muss vor die Tür gehen und Menschen studieren«
Eigentlich wollten Sie ja ursprünglich, dem Beispiel Ihres älteren Bruders folgend, Polizist werden. Gibt es irgendetwas, was diesen Beruf mit der Schauspielerei verbindet?
Als Polizist musst du von Natur aus neugierig und skeptisch sein. Du darfst dem Augenschein nicht trauen, sondern musst dich fragen: Erzählt mir diese Person die Wahrheit? Du lernst Menschen zu lesen. Man muss einfach vor die Tür gehen und Menschen studieren, am Flughafen oder im Bahnhof zum Beispiel. Das gehört auch zu meinem Beruf als Schauspieler. So lernst du, wie sich Menschen nach außen zeigen. Du versuchst zu verstehen: Sind sie nervös, weil sie jemanden zum ersten Mal treffen oder weil sie etwas zu verbergen haben? Hat dieses Paar im Restaurant sein erstes Date, oder haben sie schon miteinander geschlafen? Wenn du ständig beobachtest, dann baust du dir ein Archiv menschlicher Verhaltensweisen auf.
Aber dann wählten Sie eben doch den Weg des Schauspielers. Was war der Grund?
Als ich 20, 21 war, ging ich mit meinem Bruder auf einen Motorradtrip quer durch die USA. Der Plan war, mich zu verlieren, damit ich mich selbst finden konnte. Auf diese Weise hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, ob sich eine Zukunft für mich richtig anfühlte. So begriff ich, dass ich eigentlich die Schauspielerei liebte und darin auch gut werden konnte.
»Das Leben und Geschichtenerzählen folgen dem gleichen Prinzip«
Die Zeit davor war nicht einfach. Als Sie elf waren, verließ Ihr Vater die Familie, die Bank ließ Ihr Haus zwangsversteigern. Wie prägend waren solche Erfahrungen?
Das Leben und Geschichtenerzählen folgen dem gleichen Prinzip. Du brauchst Konflikte, die die Handlung vorantreiben. So haben auch die Menschen Konflikte nötig, denn auf diese Weise lernen sie es zu schätzen, wenn es ihnen gut geht. Abgesehen davon habe ich von meinem Vater gelernt. Im besten Fall bringen uns unsere Eltern bei, wie wir uns benehmen sollen und ein guter Mensch werden. Er dagegen hat mir gezeigt, wie du’s nicht machen sollst. Ich wurde letztlich Schauspieler, weil er auch einer war. Aber mein Vater wollte unbedingt ein Star werden. Und das war sein Problem.
Wie erklären Sie sich, dass Sie ein anderes Berufsethos entwickelten.
Das habe ich meinen Großeltern zu verdanken. Als sich meine Eltern trennten, klaffte ein riesiger Graben zwischen mir und der Welt, wie ich sie bis dahin gekannt hatte. Ich war tief depressiv, sah meinen Vater nicht mehr – ich war 22, als ich ihn wieder traf. Mein Bruder und ich wurden zu unseren Großeltern verschickt. Bei denen sollten wir ein Jahr lang leben, bis meine Mutter wieder auf die Füße gekommen war. Aber wir wollten das nicht, denn wir wussten, dass sie streng waren.
»Ich suchte nach der Freude in der Arbeit«
Was haben Sie also dort gelernt?
Wir kamen immer pünktlich zum Unterricht. Wir machten brav unsere Hausaufgaben und erledigten unsere häuslichen Pflichten. Bam, Bam, bam – wir wurden da richtig gedrillt. Wir mussten zum Beispiel auch Hühner töten. Mein Großvater war ein harter Typ, und ich hatte ein bisschen Angst vor ihm. Aber er und meine Großmutter gaben uns das, was wir brauchten, selbst wenn wir das damals nicht wussten. Und zwar war das Beständigkeit. Ja, sie waren hart, aber eben auch sehr liebevoll und konsequent. Das war eine neue Basis, und so lernte ich anders zu leben. Ich akzeptierte Arbeit nicht einfach, sie war nicht das, was mir das Leben diktierte, sondern ich begann sie zu genießen. Fortan suchte ich nach der Freude in der Arbeit. Sie wurde zu etwas, was mein Leben bereicherte.
Schauspieler stehen auch unter ständigem Druck, weil sie um dieselben Rollen wetteifern. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe eine Philosophie entwickelt, die ich bis zum heutigen Tag jungen Schauspielern vermittle: ‚Wenn ihr einen Vorsprechtermin absolviert, dann tut ihr das nicht, um einen Job zu bekommen, selbst wenn es danach aussieht. Aber wenn ihr so denkt, dann wird euch das kaputt machen. Warum? Weil es viel mehr Bewerber als offene Stellen gibt. Ihr müsst das so sehen: Ihr seid nicht hier, um einen Job zu bekommen, sondern um einen Job zu machen. Fokussiert euch auf euren Termin, bringt ihn hinter euch und sagt ‚Auf Wiedersehen.’
Und das beherzigen Sie selbst?
Ja. Ich habe das vor 25 Jahren für mich herausgefunden, und das hat mich gerettet. Wenn ein Kollege eine Rolle bekommt, um die ich mich auch bewerbe, dann sage ich nicht ‚So ein Arschloch.’ Denn diese Rolle war nicht für mich bestimmt. Es ist ungefähr so, als würde ich Ihr Portemonnaie auf der Straße finden. Ich rege mich doch nicht auf, weil ich es zurückgeben muss. Es gehört mir nicht. Ich sage: ‚Hey, ich hab’ Ihre Geldbörse gefunden. Ist das keine gute Nachricht?’
Weitere Informationen zu dem Film Asteroid City von Wes Anderson mit Jason Schwartzman (Norman Matt), Scarlett Johansson (Luise Helm), Tom Hanks (Joachim Tennstedt), Jeffrey Wright (Olaf Reichmann), Tilda Swinton (Traudel Haas), Bryan Cranston (Tom Vogt), Edward Norton (Andreas Fröhlich) u.a.: www.upig.de