Tänzer des Orff-Institut an der Universität Mozarteum Salzburg, (c) Universität Mozarteum/Klimt

Carl Orff

Der Tanz des mensch­li­chen Herzens

von Dorothea Walchshäusl

5. Juli 2020

Carl Orff strebte nach einem weitgefassten Musikverständnis, das die Bewegung und Körperlichkeit des Menschen ins Zentrum stellt und einen intuitiven Zugang zum Klang ermöglichen sollte.

Der Tänzer und Choreo­graph Helge Musial ist seit 2007 Leiter des Orff-Insti­tuts für Elemen­tare Musik- und Tanz­päd­agogik am Salz­burger Mozar­teum und beschäf­tigt sich intensiv mit dem Erbe von und dessen Ziel der „Rege­ne­ra­tion der Musik von der Bewe­gung her“. Ein Gespräch über die Enge der Korsette, die inspi­rie­rende Kraft der künst­le­ri­schen Viel­falt und den Tanz des mensch­li­chen Herzens.

Eine körper­feind­liche Ära ging zu Ende

CRESCENDO: Die Bewe­gung spielt in Orffs Musik­ver­ständnis eine wich­tige Rolle. Wie kam das?

Helge Musial: Man muss Orff im histo­ri­schen Kontext und als Kind seiner Zeit verstehen. In seiner Jugend ging eine eher körper­feind­liche Zeit zu Ende – denken Sie an die Klei­dung der Wilhel­mi­ni­schen Ära, zum Beispiel die Korsette. Carl Orff kann als Teil einer Erneue­rungs­be­we­gung gesehen werden, die aus dieser Starr­heit ausbre­chen und sich den tradi­tio­nellen Zwängen entziehen wollte. In diesem Sinne hat Orff mit der Musik auch die Bewe­gung als Mittel des künst­le­ri­schen und pädago­gi­schen Schaf­fens erkannt.

Helge Musial
Helge Musial, © A. Becker

Wer war Teil dieser Erneue­rungs­be­we­gung? Mit wem kam Carl Orff hier zusammen?

Für Orff war die Begeg­nung mit der Gymnastik- und Tanz­päd­agogin Doro­thee Günther, mit der er 1924 die Günther­schule gegründet hat, sehr bedeu­tend. Diese Schule war ein wich­tiger Inspi­ra­ti­onsort für Orff. Er hat mit Doro­thee Günther dort viele krea­tive Menschen aus den Berei­chen Tanz und Gymnastik um sich versam­melt und mit ihnen das Zusam­men­spiel von Musik und Bewe­gung betrachtet. Das muss sehr beflü­gelnd gewesen sein. Ganz gene­rell inter­es­sierte sich Orff für Dynamik, Rhythmus und Melodik, aber nicht nur von Musik, sondern zum Beispiel auch von Sprache. In der Günther­schule gab es Räume für Tanz und Bewe­gung, und die Studie­renden der Günther­schule wech­selten in den Lektionen vom Instru­men­ten­spiel zum Tanz und umge­kehrt.

Orffs Auftrag: Sei explo­rativ, sei offen!

Was ist für Sie an Orffs Ansatz bis heute aktuell?

Orffs Lehr­auf­trag ist für mich: Sei explo­rativ, sei offen! Orff selbst war ein aktiver Zeit­ge­nosse, der zum Beispiel ein großes Inter­esse an unge­wöhn­li­chen Musik­in­stru­menten hatte und auch an deren Bau. Mit seiner Arbeit war Orff Teil einer echten Reform­be­we­gung und seiner Zeit in gewisser Weise weit voraus. Ohne den Begriff selbst anzu­wenden, hat er Inter­dis­zi­pli­na­rität gelebt und die Viel­falt von Künst­le­rin­nen­ge­mein­schaften erkannt: Die Musi­ke­rinnen waren Tänze­rinnen und die Tänze­rinnen waren Musiker*innen.

Tänzer des Orff-Institut an der Universität Mozarteum Salzburg
Tänzer des Orff-Institut an der Univer­sität Mozar­teum , © Orff Institut

Wo endet – in Ihrer eigenen Wahr­neh­mung und nach Orffs Verständnis – die Bewe­gung, und wo beginnt der Tanz? Ist letzt­lich alles Tanz?

Musial: Ich persön­lich finde es schwierig, den Begriff des Tanzes von dem der Bewe­gung abzu­grenzen. Nehmen wir den mensch­li­chen Herz­schlag: Da ist ein Puls, da ist Bewe­gung – und in gewisser Weise kann das Tanz sein, der sich in Musik umsetzt und umge­kehrt. Orff sah im Tanz eine alltags­funk­ti­ons­über­hö­hende Kunst­form, die sich durch die stilis­ti­sche Kodi­fi­zie­rung von der Bewe­gung unter­schied.

Sie haben sich intensiv mit Orffs Konzept der Bewe­gung ausein­an­der­ge­setzt. Wie hat sich Orff wohl selbst bewegt?

Orff war selbst weder Choreo­graph noch Tänzer, aber wenn man sich Fotos von ihm anschaut, erkennt man einen sehr vitalen Mann. Ich vermute, dass Orff ein sehr körper­li­cher Mensch war.

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Weitere Informationen zu Helge Musial und der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik des Orff-Instituts am Mozarteum Salzburg: www.uni-mozarteum.at

Fotos: Michael Klimt