Cate Blanchett

»Es geht immer um Abstam­mung und Tradi­tion«

von Patrick Heidmann

22. Februar 2023

Man kennt sie aus dem Kino, von Arthouse-Filmen bis Blockbuster-Produktionen. Im Film »TÁR« spielt sie eine weltweit gefeierte Dirigentin mit Gastauftritt bei der Dresdner Philharmonie: Cate Blanchett. Im deutschen Exklusiv-Interview erzählt sie, wie sie sich auf die Rolle vorbereitet hat.

CRESCENDO: Ms. Blan­chett, unser Gespräch ist für das deut­sche Magazin CRESCENDO, das in Ihrem neuen Film TÁR auch zu sehen ist, mit Ihnen auf dem Cover…

: Ich weiß! Ist es nicht groß­artig, wie das Leben auch manchmal die Kunst imitiert?

Sie spielen in dem Film die fiktive Diri­gentin Lydia Tár, die ein großes Orchester in Deutsch­land leitet. Wie wichtig war die deut­sche Sprache für diese Rolle?

Als ich mit dem Regis­seur die Szenen besprach, in denen Lydia mit dem Orchester probt, kam ich zu dem Schluss, dass wir das auf Deutsch drehen müssen. Als Gast­di­ri­gentin wäre es sicher­lich kein Problem, wenn sie mit den Musi­ke­rinnen und Musi­kern Englisch spricht. Aber für jemanden, der seit sieben Jahren fest dieses Orchester leitet, hätte ich das unglaub­würdig gefunden.

Trailer zum Film TÁR von Todd Field mit Cate Blan­chett in der Titel­rolle

Spre­chen Sie denn die Sprache tatsäch­lich?

Ich habe Deutsch in der Schule gelernt und liebe die Sprache. Wenn ich einen Babel­fisch im Ohr hätte, so wie im Roman Per Anhalter durch die Galaxis, wäre Deutsch die Sprache meiner Wahl. Was ich mal meinem Freund Thomas Oster­meier, dem Inten­danten der Berliner Schau­bühne erzählt habe, der mich daraufhin eher skep­tisch beäugte. Aber wie auch immer, so richtig gut spreche ich Deutsch nicht. Doch ich versi­cherte dem Regis­seur, dass ich mir das für den Film schon würde drauf­schaffen können, zumal all die Szenen mit dem Orchester eigent­lich fürs Ende der Dreh­ar­beiten vorge­sehen waren. Das war zumin­dest der Plan. Der sich leider verschob. Unser Zeit­fenster mit den Musi­ke­rinnen und Musi­kern der wurde knapp, und wir mussten die Szenen doch gleich zu Beginn drehen.

Und wie haben Sie das hinbe­kommen?

Ich hatte zum Glück eine wunder­bare Sprach­trai­nerin namens Fran­ziska Roth, die mir geholfen hat, meine Dialoge zu lernen. Sie arbeitet norma­ler­weise mit Opern­sän­ge­rinnen und ‑sängern an deut­schen und fran­zö­si­schen Texten, was Gold wert war für uns, weil sie deshalb nicht nur etwas von Sprache, sondern auch von Musik versteht. Der Text für diese Szenen hing natür­lich von den Orches­ter­stü­cken und Sinfonie-Passagen ab, die Todd und ich letzt­lich für den Film aussuchten. Fran­ziska und ich gaben den Dialogen den letzten Fein­schliff, damit sowohl das Deutsch als auch all die Fach­ter­mini stimmten.

Cate Blanchett

»Mit diesen Musi­ke­rInnen zu arbeiten hat mich für immer verän­dert«

Wie tief steckten Sie denn in der Materie drin, wenn Sie sogar in die Auswahl der Musik einge­bunden waren?

Dadurch, dass wir uns noch inmitten der Pandemie befanden, hatte ich mehr Zeit als sonst in einem solchen Fall. Ich war für die Dreh­ar­beiten zu einem anderen Film in Buda­pest und steckte dort ein wenig fest, aber ich fand eine fantas­ti­sche Konzert­pia­nistin, die mir nicht nur Unter­richt gab, sondern mich auch mit in die Akademie nahm, mir Orte zeigte, an denen Mahler aufge­treten war, und die mir viel über Bach beibrachte. Was das Diri­gieren angeht, bekam ich online Nach­hilfe von einem befreun­deten Diri­genten. Mit allen sprach ich immer wieder ausführ­lich über Mahlers Fünfte Sinfonie, die in TÁR eine zentrale Rolle spielt. Im Dreh­buch hatte Todd, der ja auch kein Musiker ist, nie konkret präzi­siert, welche Auszüge des Werkes im Film eigent­lich zu hören sind. Und so machte ich es zu meiner Aufgabe, fünf möglichst unter­schied­liche und dyna­mi­sche Passagen der Sinfonie auszu­wählen. Die Zeit dafür hatte ich – und vor allem entwi­ckelte ich eine große Freude daran.

Hatten Sie vorher schon einen beson­deren Bezug zu klas­si­scher Musik?

Ich habe sie immer schon gerne gehört. Aber als jemand, der selbst kein Instru­ment spielt, habe ich mich von toller klas­si­scher Musik einfach immer bloß über­wäl­tigen lassen. Manchmal auch nur berie­seln, wie ich zu meiner Schande gestehen muss – etwa während ich den Abwasch erle­digt habe. Dabei hatte ein befreun­deter Kompo­nist, den ich in meinen Studi­en­zeiten kennen­lernte, mir immer schon einge­impft, dass Musik nichts ist, was einfach im Hinter­grund laufen sollte. Das habe ich mir für den Film dann endlich zu Herzen genommen und mich enorm in Mahlers Sinfo­nien vertieft, weil ich das Gefühl hatte, wirk­lich aufholen zu müssen, was mein Musik­ver­ständnis angeht. Und dann schließ­lich mit diesen Ausnah­me­mu­si­ke­rinnen und ‑musi­kern in einem Raum zu stehen und zu arbeiten, das war wirk­lich eine Erfah­rung, die mich als Künst­lerin für immer verän­dert hat.

Cate Blanchett und Nina Hoss
Film­szene mit Cate Blan­chett als Chef­di­ri­gentin Lydia Tár und Nina Hoss als Konzert­meis­terin Sharon Goodnow und Társ Ehefrau

Haben Sie sich also in der Welt der Musik auf Anhieb wohl­ge­fühlt?

Als jemand, die sich ihre Sporen auf der Thea­ter­bühne verdient hat und viele Jahre selbst eine Thea­ter­kom­panie geleitet hat, gibt es natür­lich Aspekte, die ich dort auf Anhieb verstanden habe. Hier wie dort geht es um den Prozess des Erar­bei­tens. Ich verstehe das Konzept der Wieder­ho­lung und weiß, wieviel Tiefe dauer­hafte Wieder­ho­lung einer Arbeit verleihen kann. Ich weiß auch, wie es sich unmit­telbar vor einem Auftritt hinter der Bühne anfühlt. Und ich kenne das Gefühl, auf der Bühne zu einem Ventil für die Kunst zu werden. Gleich­zeitig war es aber natür­lich absolut einschüch­ternd, das erste Mal als Diri­gentin vor diesem Orchester zu stehen. Doch ich wusste, dass ich mit ihnen proben musste – und womög­lich haben die Musi­ke­rinnen und Musiker meinen uner­schüt­ter­li­chen Willen zum Proben als Selbst­be­wusst­sein inter­pre­tiert. Aber jenseits der Gemein­sam­keiten, die ich zwischen der im Film gezeigten Welt und meiner eigenen ausmachte, gab es natür­lich viele tech­ni­sche Details, die mir fremd waren und die ich lernen musste. Es war schließ­lich oberste Prio­rität, dass man mir abnimmt, dass Lydia Tár eine abso­lute Meis­terin ihres Faches ist.

Haben Sie sich in der Vorbe­rei­tung aufs Diri­gieren an einigen Meis­te­rinnen und Meis­tern des Faches beson­ders orien­tiert?

Wenn es darum geht, bestimmte Lern­typen zu kate­go­ri­sieren, dann bin ich vermut­lich das, was man eine kinäs­the­ti­sche Lernende nennt. Am besten lerne ich also, wenn ich die Dinge tatsäch­lich tue. Was natür­lich nicht heißt, dass ich obsessiv die größten Diri­gen­tinnen und Diri­genten der Welt ange­schaut hätte. und waren wichtig für mich, natür­lich, als Gegen­stück zu Karajan, und der wiederum als Gegen­stück zu Furtwängler. Bern­stein selbst­ver­ständ­lich auch. Aber niemand von denen war eine direkte Vorlage für meine Rolle. Und am hilf- und aufschluss­reichsten für das Verständnis der Arbeit von Diri­gen­tinnen und Diri­genten entpuppte sich letzt­lich ein Tanz­stück, das der Tänzer und Choreo­graf Xavier Le Roy entwi­ckelt hatte, nachdem er Rattle beim Diri­gieren von Stra­win­skys Le sacre du prin­temps beob­achtet hatte: Er ließ zu, dass die Musik sich durch ihn hindurch­be­wegte – das war für mich der Schlüssel. Aber so, wie wir hier reden, klingt es fast, als ginge es im Film nur ums Diri­gieren. Dabei ist ausge­rechnet das im Film ja eher Neben­sache. Das Diri­gieren ist für Lydia Tár schließ­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit wie das Atmen.

Cate Blanchett

»Die Dyna­miken der Macht sind in der Klas­sik­welt beson­dere«

Was macht diese ausge­spro­chen komplexe und durchaus kompli­zierte Frau in Ihren Augen denn jenseits der Tätig­keit als Diri­gentin aus?

Für mich war sie eine ziem­lich rätsel­hafte Figur, zu der ich mir letzt­lich Zugang vor allem durch die Erkenntnis erar­bei­tete, dass ihr Leben und ihre Karriere eben nicht einem linearen Narrativ folgen und sie selbst nicht nur die eine ist. Was sie ausmacht, sind alle die Einzel­teile der Summe ihres Lebens: dass sie in Wien studiert hat und fünf Jahre im Ucayali-Tal in Ost-Peru verbracht hat, dass sie Ameri­ka­nerin ist, in Staten Island aufge­wachsen war und – was man im Film nun gar nicht sieht – Tochter tauber Eltern ist. Dass sie 50 Jahre alt wird und mit ihrer Part­nerin ein Kind groß­zieht – all diese teil­weise wider­sprüch­li­chen Details machen sie als Person aus. Und gerade die Tatsache, dass sie eine sehr viel­sei­tige Karriere hat, in der sie höchst unter­schied­liche Inter­essen verfolgte, war etwas, wozu ich sofort einen Bezug spürte.

Gleich zu Beginn des Films scherzt sie darüber, dass in der Welt der Klassik der Begriff „viel­sei­tige Karriere“ eigent­lich eher despek­tier­lich gemein ist. Haben Sie diese Erfah­rung auch in der Film­branche gemacht?

Wenn man verschie­dene Inter­essen hat und unter­schied­liche Dinge verfolgt, wird das vermut­lich in den meisten Bran­chen oft als Unent­schlos­sen­heit oder Rast­lo­sig­keit empfunden. Dabei sehe ich das eigent­lich eher als Zeichen einer großen Neugier. Als mein Mann und ich vor 2008 die künst­le­ri­sche Leitung der Sydney Theatre Company über­nahmen, stieß das in meiner Branche auf viel Unver­ständnis. Das war kurz vor meinem 40. Geburtstag, und als Kino­schau­spie­lerin in dem Alter sahen viele diesen Schritt als Karriere-Killer. Aber ich habe mich davon nicht abhalten lassen und Erfah­rungen gesam­melt, die mich für immer geprägt haben. Ich bin ein großer Fan davon, auch mal Entschei­dungen zu treffen, die der eigenen Intui­tion wider­spre­chen. Selbst wenn es nicht immer ins bequeme Schub­la­den­denken passt und die Leute nicht damit umgehen können, wenn zum Beispiel ein Profi­sportler auch Schach und Klavier spielen möchte und Talent zu all diesen Dingen hat.

Sophie Kauer und Cate Blanchett
Film­szene mit Sophie Kauer als Cellistin Olga Metkina und Társ Geliebte und Cate Blan­chett als Chef­di­ri­gentin Lydia Tár

Eines der Themen in TÁR ist auch, was es mit Menschen macht, wenn sie zu Ruhm, Erfolg und Macht kommen. Lydia Tár scheint ja zum Beispiel voller Miss­trauen in jede ihrer zwischen­mensch­li­chen Bezie­hungen und Begeg­nungen …

Inter­es­sant, dass Sie das so deuten. Ich denke auf jeden Fall, dass es schwierig ist, neuen Menschen zu begegnen, wenn man in dem Maße wie sie in der Öffent­lich­keit steht und beinahe so etwas ist wie eine Marke. Sie muss sich immer fragen: Was willst du von mir? Und vor allem: Wen willst du? Die Privat­person oder doch eher Lydia Tár?

Auch das etwas, das Sie aus Ihrem Leben kennen?

Viel­leicht bin ich ein wenig dämlich oder auf trot­zige Weise naiv, aber ich gehe irgendwie immer erst einmal davon aus, dass jeder Mensch mir gutherzig begegnet. Und ich werde nie vergessen, was Meryl Streep vor vielen Jahren einmal sagte: „Wasch deine eigene Wäsche!“ Es ist wichtig, den Bezug zur Alltags­rea­lität nicht zu verlieren. Außerdem bin ich nicht mit der Erwar­tung groß geworden, dass sich die Leute beson­ders dafür inter­es­sieren, was ich tue, oder es gar allzu wichtig nehmen. Und in vielen Fällen tun sie das eben auch nicht. Natür­lich passiert es mir auch mal, dass ich in einem eigent­lich vollen Restau­rant plötz­lich noch einen Tisch bekomme, nachdem ich meinen Namen erwähnt habe. Aber das finde ich dann immer eher enttäu­schend, weil die Sonder­be­hand­lung so offen­sicht­lich ist. Wir sollten aller­dings auch nicht vergessen, dass vieles von dem, worum es in TÁR geht, inner­halb der Welt der klas­si­schen Musik noch einmal ganz anders wirkt.

Wie meinen Sie das?

Die Dyna­miken der Macht, sowohl in Bezug auf Lydia Tár selbst als auch auf all die Menschen um sie herum, die das System unter­stützen und von ihrer Posi­tion profi­tieren, sind in der Klas­sik­welt nochmal ganz beson­dere. Denn sie ist unglaub­lich stark in der Vergan­gen­heit veran­kert.

Cate Blanchett

»Der kultu­relle Staf­fel­stab wird eher über­geben, weniger verdient«

Viel stärker als die Film­in­dus­trie oder andere Bran­chen?

Oh ja! Denken Sie etwa an die Diri­gentin Marin Alsop. Die durfte Mahler beim ersten Mal nur diri­gieren, weil sie eine Schü­lerin von Bern­stein war, der wiederum mit Mahlers Witwe befreundet war. Und egal, wen man spricht in dieser Welt: Jeder hatte einen Geigen­lehrer, der jemanden kannte, der jemanden kannte, der noch mit Stra­di­vari verwandt war oder so ähnlich. Nur als Beispiel natür­lich. Die Privi­le­gien und die Macht werden weiter­ge­reicht. Es geht immer um Abstam­mung und Tradi­tion, der kultu­relle Staf­fel­stab wird eher über­geben, weniger verdient. Diese Gepflo­gen­heiten haben natür­lich eine lange kultu­relle Geschichte, aber sie laden eben auch dazu ein, dass Verän­de­rungen und Erneue­rungen kaum durch­zu­setzen sind. So werden Kunst­formen zu Muse­ums­stü­cken. Das ist wie mit dem Thea­ter­stück „Warten auf Godot“, bei dem Becketts Erben verfügt haben, dass jede Insze­nie­rung sich exakt an die Origi­nal­vor­gaben des Autors halten muss. Das macht das Stück nicht weniger bril­lant, aber aufre­gend und neu kann es kaum noch sein. Und in der Welt der klas­si­schen Musik ist dieses Fest­halten am Altbe­währten eben der Grund, warum so viele Umbrüche – etwa in Sachen Gleich­be­rech­ti­gung, Inklu­sion und Viel­falt – enorm viel lang­samer vonstatten gehen. Aber ganz aufhalten lassen werden sich die meisten Verän­de­rungen auch dort nicht. Deswegen bin ich gespannt darauf, wie diese Welt in 20 Jahren aussehen wird.

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Der Film TÁR mit Cate Blanchett in der Titelrolle läuft ab 2. März 2023 in den deutschen Kinos. (Eine Kritik finden Sie hier: CRESCENDO-Meinung)

Freikarten zum Film TÁR mit Cate Blanchett in der Titelrolle gibt es auf dem CRESCENDO-Instagram-Account zu gewinnen: CRESCENDO-Instagram

Fotos: Universal, Steven Chee, Courtesy of Focus Features, Florian Hoffmeister / Courtesy of Focus Features