Céline Moinet

Mehr Verrückt­heit wagen

von Roland H. Dippel

16. November 2019

Die Oboistin Céline Moinet vereint distinguierte Nachdenklichkeit und Passion.

CRESCENDO: Alte Musik ist für Sie Neuland. Jetzt haben Sie mit dem Orchester l’ del mondo Werke von Bach und Marcello einge­spielt. Wie kam es dazu?
Céline Moinet: Die Arbeit an einem Album beginnt nie erst vor den Mikro­fonen. Seit dem Beginn meiner Professur an der Hoch­schule 2013 erwei­tert sich mein Spek­trum inner­halb der Alten Musik. Zum Beispiel spielen meine Studie­renden regel­mäßig im Kantaten-Projekt von Hans-Chris­toph Rade­mann. Die Oboe hat in Bachs Kantaten heraus­ra­gende Bedeu­tung. Sie singt und kommen­tiert. Deshalb wollte ich mich selbst aktiv mit diesem Reper­toire ausein­an­der­setzen. Werner Ehrhardt war dafür der rich­tige Partner, weil er sich nie mit stan­dar­di­sierten Lösungen zufrie­den­gibt.

Die Oboistin Céline Moinet vereint distinguierte Nachdenklichkeit und Passion.

Die Oboistin Céline Moinet: „Auf einmal wird es faszi­nie­rend, was man 
aus einer einfa­chen Melodie heraus­holen
kann.“
(Foto: Gregor Hohen­berg)

CRESCENDO: Derzeit ist das künst­le­ri­sche Angebot bei Bach riesig. Wäre da nicht eine andere Werk­aus­wahl nahe­lie­gender?
Céline Moinet: Es geht um meinen Klang und meine Vorstel­lungen auf Basis der histo­risch infor­mierten Auffüh­rungs­praxis. Es geht auch darum, mit Respekt mögliche Frei­heiten auszu­kosten. Von dem Cemba­listen Massi­mi­liano Toni erhielt ich tolle Anre­gungen.

»Massi­mi­liano Toni ermu­tigte mich zu mehr Impro­vi­sa­tionen.«

Er hatte für das Adagio im d‑moll-Konzert und den ersten Satz im F‑Dur-Konzert verrückte Ideen, die ich mir davor nie gestattet hätte. Er ermu­tigte mich zu mehr Impro­vi­sa­tionen und einem indi­vi­du­ellen Umgang mit den Noten. Auf einmal wird es faszi­nie­rend, was man aus einer einfa­chen Melodie wie der im zweiten Satz von Marcellos d‑moll-Konzert heraus­holen kann. Wir haben mit Origi­nal­in­stru­menten gespielt, aller­dings auf 443 HZ. Im Alltag ist die moderne Oboe mein Instru­ment, Barock­oboe spiele ich erst in zweiter Linie.

Die Oboistin Céline Moinet vereint distinguierte Nachdenklichkeit und Passion.

Die Oboistin Céline Moinet: „Alte Instru­mente sind flexi­bler.“
(Foto: Gregor Hohen­berg)

CRESCENDO: Was ist denn der Unter­schied zwischen alten und neuen Oboen?
Céline Moinet: Barock­oboen klingen natür­li­cher und lassen sich einfa­cher spielen. Der Anstoß bei neuen Instru­menten ist gene­rell schwerer und auch der Druck, den man geben muss. Alte Instru­mente sind flexi­bler. Ästhe­ti­sche Vorstel­lungen spielen jetzt eine größere Rolle. Der Klang ist heute, fast sage ich leider, viel dunkler als noch in den 1970er- und 1980er-Jahren. Damit geht eine stär­kere Unbe­weg­lich­keit der Mate­ria­lien der Instru­mente einher.

»Das solis­ti­sche Spiel fördert meine eigene Neugier und meine Erfah­rung.«

CRESCENDO: Wo haben Sie Frei­heiten zwischen Erwar­tungs­hal­tungen und Gestal­tungs­willen?
Céline Moinet: Ich denke nicht in der Kate­gorie „Frei­heit“, sondern „Anspruch“. Diesen kann ich bestimmen, aber nicht meinen Körper und nicht den Eigen­klang. Sänger haben kaum Einfluss auf ihr Stimm­ma­te­rial, sondern auf den Umgang damit. Ich kann mich dem Stil verschie­dener Ensem­bles oder Diri­genten nur annä­hern. Das solis­ti­sche Spiel fördert meine eigene Neugier und meine Erfah­rung, die ich den Studie­renden weiter­geben will.

»Ich gewinne als Solistin eine andere Ebene.«

CRESCENDO: Wie sind Ihre Aufgaben zwischen den Posi­tionen verteilt?
Céline Moinet: Als Solo-Oboistin habe ich eine Voll­zeit­stelle, als Profes­sorin eine halbe. Diese Zahlen sagen aber wenig, weil mir die Professur und ihre Aufgaben sehr am Herzen liegen. Mehr als zwei Solo­auf­tritte im Monat sind bei guter Vorbe­rei­tung schwierig. Aber ich gewinne für Kammer­musik oder Auftritte als Solistin vor allem der Solo­kon­zerte von Mozart und Strauss eine ganz andere Ebene, weil ich die Erfah­rung des Gleich­ge­wichts mit dem Orchester einbringen kann.

Die Oboistin Céline Moinet vereint distinguierte Nachdenklichkeit und Passion.

Die Oboistin Céline Moinet: „Als Solistin brauche ich das Gefühl des Loslas­sens.“
(Foto: Gregor Hohen­berg)

CRESCENDO: Die hat eine große eigene Tradi­tion. Wie nehmen Sie diese wahr?
Céline Moinet: Als ich im Jahr 2008 mit 23 Jahren in anfing, war ich erstaunt – und ich konnte das nach meiner für eine Solo­kar­riere exzel­lenten Ausbil­dung am Conser­va­toire de Paris gar nicht wissen: Vor allem von älteren Kollegen habe ich Zurück­hal­tung gelernt. Extro­ver­tierte Körper­be­we­gungen beim Musi­zieren passen nicht zum Stil des Hauses. Wir präsen­tieren uns als homo­genes Kollektiv. Jede Stimme ist wichtig. Der als typisch empfun­dene so weiche und runde Klang entsteht aus diesem Selbst­ver­ständnis.

»Adre­na­lin­stöße beflü­geln mich immer.«

CRESCENDO: Was wäre, wenn Sie sich jetzt entscheiden müssten, wich­tiger: die Solis­ten­kar­riere oder das Orchester?
Céline Moinet: Als Solistin brauche ich das Gefühl des Loslas­sens. Vor zehn Jahren nahm ich bei der Staats­ka­pelle ein Urlaubs­jahr. Während dieser Zeit hatte ich nur Kammer- und Solo­auf­tritte. Danach wusste ich: Ich brauche das Orchester. Fehler sind auch bei geringer Risi­ko­be­reit­schaft nirgends auszu­schließen. Stress­re­sis­tenz bleibt also eine der wich­tigsten Eigen­schaften in unseren Berufen. Das ist für mich im Orches­ter­graben, wenn beim Solo in der Flore­stan-Arie aus Fidelio ein beson­ders lang­sames Tempo gewünscht wird, nicht anders als bei oder im Solo­part des Oboen­kon­zerts von Strauss. Solche Adre­na­lin­stöße beflü­geln mich immer.

Weitere Infor­ma­tionen: www​.celi​ne​moinet​.com

Fotos: Neda Navaee