Christian Lacroix

Nur keine Bana­lität!

von Teresa Pieschacón Raphael

7. Juni 2019

Er zählt zu den bedeutendsten Designern unserer Zeit. Seit jeher gelangweilt vom Alltäglichen wurde Christian Lacroix der Meister des großen Kinos: auf der Bühne, auf dem Laufsteg – und im normalen Leben.

CRESCENDO: Monsieur Lacroix, die Tragödie um Notre-Dame … Was empfinden Sie?

: Fata­lismus. Es könnte auch ein Zeichen für Aufbruch sein. Die Zuver­sicht könnte wieder in unsere Seele, unseren Geist einziehen. In unserem Couture-Salon brach kurz vor der Eröff­nung 1987 Feuer aus, nachdem die Deko­ra­tions- und Maler­ar­beiten fertig­ge­stellt waren. Heute bin ich der Meinung, dass dies eine Art „Reini­gung“ war. Viel­leicht braucht die katho­li­sche Kirche mit all ihren Skan­dalen auch einen Wieder­aufbau. Notre-Dame war nicht unbe­dingt meine Kirche, und ich bin nicht so oft dort gewesen, ab und an zu den präch­tigen Orgel­kon­zerten, die es dort jeden Samstag gab. Ich mag eher archai­sche, herbe, einfache Kapellen.

Madame Butterfly
Giacomo Puccinis Madama Butterfly an der Hamburger Staats­oper in der Insze­nie­rung von Vincent Bous­sard und den Kostümen von Chris­tian Lacroix


Gar nicht herb: Ihr „Notre-Dame“, ein Hotel am Saint Michel, das Sie 2010 neu ausstat­teten mit baro­cken, bunten und opulenten Stoffen. Das hätte wahr­schein­lich auch dem Sonnen­könig gefallen.

Ich liebe den Ort mit dem herr­li­chen Blick auf die Seine und auf die Kathe­drale. Für die Lobby fand ich sogar eine aus Holz geschnitzte Uhr aus dem 19. Jahr­hun­dert in Form einer Notre-Dame-Kathe­drale!

Christian Lacroix

»Auf mich hatte die Stimme der Callas tief­grei­fenden Einfluss«

Woher der extra­va­gante Geschmack, dieser Sinn für Opulenz? Vom exzen­tri­schen Groß­vater viel­leicht oder der Groß­tante, von der Sie eine Haar­strähne mit sich tragen?

Wenn Sie nach ihnen fragen, bedeutet das, dass Sie bereits etwas über beide gelesen haben!!! Es gäbe so viel zu erzählen!! Beide waren sehr streng und fordernd, aber zugleich liebe­voll. Durch sie bekam ich so etwas wie eine „Wirbel­säule“. Er war der Vater meiner Mutter, und sie war meine Tante. Sie hatten einen Sinn für natür­liche Eleganz. Sie waren beide stolz, aber nicht nach­tra­gend – stark und zart. Er hatte sehr viel Humor und führte am Sonn­tag­abend immer eine Art Charade vor, indem er sich über aktu­elle Dinge lustig machte mit Kostümen und Perü­cken vom Dach­boden. Seine Anzüge hatten immer grünes Seiden­futter, und er ließ sein Fahrrad in Gold lackieren. Sie waren beide sehr mutig, vor allem meine Tante, die sich der Gestapo wider­setzte.

Ezio
Chris­toph Willi­bald Glucks Oper Ezio in der Insze­nie­rung von Vincent Bous­sard und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Oper am Main 2013

Mein Groß­vater weigerte sich, während des ameri­ka­ni­schen und engli­schen Bombar­de­ments im August 1944, in den Bunker zu gehen. Er schaute sich die „Show“ lieber aus einer kleinen Höhle am Fluss­ufer an und beob­ach­tete, wie die Brücken zusam­men­stürzten, um dann die toten Fische einzu­sam­meln. Ihr Haus war fast völlig zerstört. Dennoch wollte er, dass die Groß­mutter, die verzwei­felt aus dem Bunker zurück­kehrte, die Fische kochte. Möbel sollte sie verbrennen, um die elf Gäste zu bewirten, die er zum Abend­essen einge­laden hatte. Die Familie väter­li­cher­seits kam aus einer anderen Schicht. Man war sich nicht so nah, schätzte sich aber.

Mélisande
Claude Debussys Oper Pelléas et Méli­sande in der Insze­nie­rung von Éric Ruf und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix am Stadt­theater Klagen­furt 2019

Welche Rolle spielte die Musik?

Ich hörte als Kind Beet­ho­vens Fünfte und natür­lich Bizets Carmen, die Lieb­lings­werke der Südländer. Und das klas­si­sche Radio­pro­gramm am Sonn­tag­mittag. In der damals sehr berühmten Debatte um und ihre Rivalin stand mein Groß­vater auf der Seite der Tebaldi. Auf mich aber hatte die Stimme der Callas tief­grei­fenden Einfluss; wie auch Bachs Toccaten und Fugen und die Bran­den­bur­gi­schen Konzerte, der ganze Chopin. Aber auch engli­sche Barock­musik wie Purcell, da Alfred Deller oft nach Arles kam, wo ich aufwuchs. Ich war faszi­niert. Bis heute bedauere ich sehr, dass ich kein Instru­ment spielen kann. Aber ich fürchte, ich habe kein Ohr. Unver­gess­lich für mich, wie mein Groß­vater zu Weih­nachten Gounods Ave Maria sang mit seiner damals sehr alten Mutter, die Tränen in die Augen bekam.

Christian Lacroix

»Ich war immer auf der Suche nach etwas, was größer ist als das Leben.«


Woher die Liebe zum Theater?

Ich war immer auf der Suche nach etwas, was größer ist als das Leben. Ich war gelang­weilt vom alltäg­li­chen, normalen Leben, viel­leicht hatte ich nur Angst davor. Ich bevor­zugte die Illu­sion des Thea­ters, der Fantasie. Bücher, Musik, Stimmen – diese spiri­tu­elle andere Welt inspi­rierten mich. Filme übri­gens auch. Ich war glück­lich, wenn man mich ins Theater, ins Kino oder in die Oper mitnahm. Dort konnte man so viel Unge­wöhn­li­ches erleben.

I Puritani
Vincenzo Bellinis Oper l puri­tani in der Insze­nie­rung von Vincent Bous­sard und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Oper Frank­furt am Main 2018

Jeder spricht von Indi­vi­dua­lität. Trotzdem laufen alle gleich herum. Warum?

Viele koppeln Indi­vi­dua­lität an Egoismus oder Egozen­trik. Dabei ist sie Frei­heit. Doch dazu braucht man Charak­ter­stärke. Soziale Medien haben einen erschre­ckenden Einfluss. Schüch­ternen und unsi­cheren Menschen wird ein Aller­welt­stil aufer­legt, damit man ja nur im globalen Dorf bleibt. Wie in einer Sekte. Snea­kers, Jogging­hosen, T‑Shirts, Parkas!!! Alles furchtbar. Natür­lich ist alles etwas kompli­zierter, aber dafür bräuchte ich Stunden, um dies zu erklären.

Adriana Lecouvreur
Fran­cesco Cileas Oper Adriana Lecou­vreur, in der Insze­nie­rung von Vincent Bous­sard und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Oper Frank­furt am Main


Warum begnügen sich die meisten Menschen mit Bana­lität?

Soziale Medien, Fern­sehen, Insta­gram beein­flussen das Leben. Viele leben ihr Leben durch das Leben anderer. Sie folgen Blog­gern, Influen­cern, Rap-Sängern, Sport­lern, schönen Mädchen, die alle, dank plas­ti­scher Chir­urgie, gleich aussehen. Exzen­tri­zität ist zur Fiktion geworden. Sie starren alle auf ihr iPhone oder iPad und haben Angst, anders zu sein.

Christian Lacroix

»Als Kind träumte ich vom Theater«


Sie aber wollten kein banales Leben.

Nein, auf keinen Fall! Als Kind träumte ich vom Theater. Später wollte ich Muse­ums­ku­rator werden, studierte an der Sorbonne Kunst­ge­schichte und wollte Ende der 1970er-Jahre über die Klei­dung in Gemälden des 17. Jahr­hun­derts promo­vieren. Es kam anders.

Ihre Frau, die bei Hermès arbei­tete, brachte Sie mit der Mode­branche in Kontakt. Sie fingen dort als Zeichen­as­sis­tent an, von 1981 bis 1987 entwarfen Sie die Haute-Couture-Kollek­tion des Hauses Jean Patou. Gibt es einen Unter­schied zwischen einem Haute-Couture-Kleid und einem Opern­kostüm?

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre war die Welt ohnehin so thea­tra­lisch wie eine Oper. Inso­fern hatte ich kein Problem mit dem Wechsel.

Lohengrin
Richard Wagners Oper Lohen­grin in der Insze­nie­rung von und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Oper 2013

Eine Couture-Kundin bestellt ein einzig­ar­tiges Kleid für einen beson­deren Anlass. Nicht nur ihre Silhou­ette, sondern auch ihre Einstel­lung und ihr Tempe­ra­ment werden das prägen, was sie anhat. Ähnlich geschieht das bei einer Opern­diva oder einer Balle­rina. Der einzige Unter­schied ist: Haute Couture muss – aus der Nähe betrachtet – schön sein. Ein Bühnen­kostüm aber muss von Weitem „spre­chen“ und wirken.

La Fanciulla del West
Giacomo Puccinis Oper La fanciulla del West in der Insze­nie­rung von Vincent Bous­sard und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Hambur­gi­schen Staats­oper 2015

Stört Sie das als detail­ver­ses­sener Mensch, der man ja als Desi­gner sein muss?

Es ist keine Frage der Details, sondern des Maßstabs. Bühnen­ge­wänder brau­chen größere Sticke­reien, längere Bänder usw. Alles, was zu raffi­niert oder subtil ist, würde auf den großen Bühnen der Bastille- oder Garnier-Oper verloren gehen. Aber die Opéra-­Comique oder Comédie Fran­çaise sind klein. Die meisten dieser wunder­baren Häuser nicht nur in Paris, sondern auch in Berlin, Frank­furt, , , oder Graz haben Ateliers wie Couture- Häuser und das Personal dazu wie Schuh­ma­cher, Weiß­nä­he­rinnen, Modisten, Friseure, Masken­bildner.

Christian Lacroix

»Wahre Schön­heit macht sprachlos«


Was ist wich­tiger: der Charakter der Opern­rolle oder der des Inter­preten?

Man kann erst mit dem Entwerfen beginnen, wenn man die Beset­zung kennt. Ich erin­nere mich an eine Così-Produk­tion am in . Der Regis­seur schwärmte davon, dass die Teen­ager Fior­di­ligi und Dora­bella halb­nackt am Strand von liegen. Das war eine sehr schlechte Idee. Denn die Sänger, die zur Verfü­gung standen, waren nicht mehr so jung, auch nicht so dünn, und nicht bereit, ihren Körper so zu zeigen.

Was war die Heraus­for­de­rung bei den Kostümen zu Debussys Pelléas et Méli­sande, einem symbo­lis­ti­schen Drama mit wenig Action, in dem mehr ange­deutet als gesagt wird?

Éric Ruf wünschte sich eine sehr dunkle, von der Sonne und dem Planeten verges­sene Welt. Méli­sande kommt im leichten „Klimt-Look“, in einem mit goldenen Pail­letten und Spitzen auf hellem Tüll gear­bei­teten Kleid, in dem sich das Licht spie­gelt. Und einem Rüschen­kleid, in dem bestimmt 30 Meter Stoff verar­beitet wurden. Die anderen Sänger haben lange bestickte Mäntel aus Navy-Stoff an in verschie­denen Schwarz­tönen, aber auch Matro­sen­pull­over und Hosen, teil­weise von Teer und Schlamm beschmutzt. Ein großes Lob an die Mitar­beiter des Klagen­furter Stadt­thea­ters, die alle Kostüme genäht haben!

Aida
Giuseppe Verdis Oper Aida in der Insze­nie­rung von Johannes Erath und in den Kostümen von Chris­tian Lacroix an der Oper Köln 2011

Sie sind oft von Schön­heit umgeben. Was verstehen Sie darunter?

Schön­heit ist, wenn man sich mit dem Universum verbunden fühlt, mit einem Lächeln im Herzen. KEIN Wort ist stark genug, dies zu beschreiben. Wahre Schön­heit macht sprachlos. Schön­heit ist nicht Perfek­tion. Sie kann auch etwas Selt­sames, Bizarres, Uner­war­tetes enthalten. Perfek­tion hingegen fühlt sich leer an.
Ihre nächsten Projekte?

Mozarts Nozze unter der Regie des ameri­ka­ni­schen Film­re­gis­seurs James Gray am Théâtre des Champs-Elysées im November, Falstaff in unter der Leitung von Denis Poda­lydès.

Fotos: Bernd Uhlig, Patrick Swirc, Christian Lacroix, Arnold Pöschl, Barbara Aumüller / Oper Frankfurt, Oper Frankfurt, Werner Kmetitsch / Oper Graz, Brinkhoff Mögenburg / Hamburger Staatsoper, Oper Köln / Forster