Cristian Măcelaru
Der Komponist gibt den Ton an
von Rita Argauer
25. Oktober 2022
Der rumänische Dirigent will vor allem eines: das Vertrauen des Orchesters. Dann sei alles möglich. Mit dem Orchestre National de France, das er seit 2020 leitet, kann er nun auf seiner Tournee beweisen, ob er es gewonnen hat.
Die Musik klingt ganz zart, dabei leuchtend und detailreich, als Cristian Măcelaru im Mai 2022 das Orchestre National de France mit Debussys La Mer in Paris dirigiert. Der gebürtige Rumäne hat in den USA studiert, zunächst Geige, die er dann auch in verschiedenen Orchestern spielte. Erst 2012 gab er sein Debüt als Dirigent. Seit September 2020 ist er Chefdirigent beim Orchestre National de France, das als Rundfunkorchester zu Radio France gehört, und mit dem er nun erstmals auf Tournee geht – mit drei verschiedenen Programmen und u.a. mit den Solisten Daniil Trifonov und Xavier de Maistre.
Wie es war, in Paris anzukommen, was ihm die französische Musiktradition bedeutet, und warum der Komponist bei ihm immer die Hauptrolle spielen wird, erzählt er im Interview.
CRESCENDO: Herr Măcelaru, mitten in der Pandemie begannen Sie als Chefdirigent beim Orchestre National de France. Was haben Sie gemacht, so ohne Konzerte und Publikum?
Cristian Măcelaru: Das war ein interessanter Start für mich. Es gab nur eine ganz kurze Zeit, in der wir vor Publikum auftreten durfte. Aber durch die langen Konzertpausen hatte ich auch die Chance, mich in meiner Arbeit mit dem Orchester ganz auf die Details zu fokussieren. Ich probierte zum Beispiel verschiedene Aufstellungen aus. Und die, die wir jetzt gefunden haben, ist wohl einzigartig in der Welt.
Warum?
Wir haben die Pauken auf der einen Seite und die Kontrabässe auf der anderen gegenüber. Dann Cello und Bratsche auf der einen, die Geigen auf der anderen. Sie spiegeln sich quasi gegenseitig. Ich glaube, der Klang sollte sich so multidimensional anhören wie möglich. Wir sind so daran gewöhnt, die Bässe von der einen Seite und die Höhen von der anderen zu hören. Aber wenn man Musik auf einem guten Soundsystem hört, dann kann man gar nicht sagen, woher die Bässe kommen – sie kommen von überall. Und wir haben hier versucht, so einen klanglichen Melting Pot zu schaffen.
»Ich will, dass das Orchester dem Dirigenten vertraut«
Das passt zur runden Form ihres Konzertsaals hier in Paris …
Ja, ich wollte das akustische Problem hier in diesem Saal lösen, sodass man auf allen Plätzen gleich gut hört. Aber ich wollte auch das Orchester herausfordern. Sie sollten sich gegenseitig anders zuhören. Wenn die Bässe hinter den Geigen sitzen, sind sie gezwungen, andere Dinge zu hören. Das passt auch gut zu meiner Arbeitsweise. Ich will, dass das Orchester dem Dirigenten vertraut. Wenn ich das schaffe, dann passieren in den Aufführungen die spannendsten Dinge.
Neue Wendungen in den Konzerten?
Ja, und auch spontan sein. Aber das funktioniert eben nur, wenn das Orchester dem Dirigenten richtig vertraut. Wenn ich schneller werden möchte, dann will ich, dass wir schneller werden. Und nicht, dass das Orchester denkt, „Ah, er wird schneller, er irrt sich, wir machen mal so weiter wie immer“.
Und wie gewinnt man das Vertrauen der Musiker?
Wir müssen uns alle ein bisschen aus der eigenen Komfortzone hinausbegeben. Auch durch die neue Aufstellung. Und das verändert den Klang – er wird frischer, anders. Es verändert aber auch die Art, wie die Musiker auf mich reagieren, die Art, wie Musik gemacht wird.
Das Orchestre National de France wirbt damit, das kulturelle Erbe Frankreichs in die Welt zu bringen. Haben Sie eine spezielle Verbindung zur französischen Musik?
Kaum jemand weiß, dass Russland Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts tief verbunden war. Und das wirkt natürlich auch auf Rumänien. Während des Kommunismus war Frankreich der stärkste kulturelle Partner in Rumänien. Man merkt das auch an Künstlern wie George Enescu oder Eugène Ionesco. Und so bin ich auch mit Frankreichs Kultur aufgewachsen. Eine Identität, die ich in meiner Rolle als Dirigent dann wiederentdecke. Als ich zum ersten Mal nach Paris kam und hier mit dem Orchester geprobt habe, fühlte es sich an wie ein Traum, den ich lange im Kopf hatte: So muss diese Musik interpretiert werden.
»Was Ravel aufs Papier schrieb, ist die wahre französische Kultur«
Und wie arbeiten Sie mit dem Orchester an diesem französischen Repertoire?
Zunächst habe ich an Ravels La Valse gearbeitet. Das ist ein Stück, das eigentlich kein französisches Orchester wirklich lange proben muss. Doch als ich kam, habe ich auch gemerkt, dass sich da ganz schön viel Spieltradition auf diesem Poème chorégraphique angehäuft hatte. Ich respektiere die Tradition, aber das, was Ravel aufs Papier geschrieben hat, ist nicht Tradition. Das ist die wahre französische Kultur. Wir müssen also die ganze Tradition wegschaufeln und zurückkommen zu dem, was der Komponist geschrieben hat. Das ist pur, das ist klar. Eine Klarheit der Musik, der Gesten, der Ideen. Dabei geht es überhaupt nicht um meine Sicht auf die Musik. Die Komponisten sind alle unterschiedlich, und keiner davon ist Măcelaru. Manche Dirigenten ändern die Partitur, um die Musik ihrer Interpretation anzupassen. Ich finde das absurd. Wenn in einem Museum das Gemälde nicht an die Wand passt, dann schneidet man dem Picasso auch nicht eine Ecke ab.
»Ich rechtfertige alles, was der Komponist geschrieben hat«
Ist es schwierig den Fokus so sehr von sich selbst wegzunehmen und den Komponisten in den Fokus zu stellen?
Ganz im Gegenteil: Es ist sehr befreiend. Ich verteidige den Komponisten, und der Komponist und seine Musik verteidigen im Gegenzug mich. So fühle ich mich auf der Bühne. In der Hinsicht bin ich Purist. Ich rechtfertige alles, was der Komponist geschrieben hat.
Und Sie wissen genau, was Sie musikalisch machen sollen?
All die Antworten sind da. Von den Experten selbst gegeben: Beethoven kennt sich selbst doch viel besser als ich ihn. Warum sollte ich sagen: „Beethoven lag falsch!“ Beethoven selbst hätte das sowieso niemals akzeptiert …
Nun gehen Sie erstmals auf Tournee mit dem Orchestre National de France – und selbstverständlich rücken Sie dabei französisches Repertoire in den Mittelpunkt, wenn auch nicht ausschließlich. Warum?
Es gibt Menschen auf dieser Welt, denen erlaube ich, das zu tun, was ihr Herz ihnen sagt. Und keine Frage, Daniil Trifonov gehört zu diesen Menschen. Ich habe schon ein paar Mal mit ihm gearbeitet und ihn angerufen und gefragt, was er spielen will. Seine Antwort war: Skrjabin. Das Klavierkonzert. „Mh, das ist ein bisschen seltsam für eine Tournee“, meinte ich. Worauf er entgegnete, er glaube sehr an dieses Stück. Ok, und nun machen wir es.
Trifonov hat – gerade in Deutschland – eine große Reputation. Ich vertraue darauf, dass es gut wird. Und es ist ja auch ein fabelhaftes Stück. Da schließt sich dann auch der Kreis, denn Skrjabin ist der französischen Kultur eigentlich sehr nah. Fast sein ganzes Leben lang hat er in Frankreich gearbeitet, und das Orchester hier hat eine Menge Skrjbian gespielt. Seine Musik spricht eine Sprache, die für die Musiker hier angenehm ist. Es war eigentlich ein perfekter Vorschlag. Das ist der Grund – so einfach ist das.
Auftrittstermine und weitere Informationen zu Cristian Măcelaru: macelaru.com
Cristian Măcelaru tourt mit dem Orchestre National de France vom 26. November bis zum 8. Dezember 2022 in Deutschland, Auftakt ist am 24. November 2022 in Paris. Das Abschlusskonzert findet am 8. Dezember 2022 in Wien statt.